Thema 18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 12 / 2024 entsteht Gewalt im Gesundheitswesen allerdings, weil Patienten nicht schnell genug zum Arzt vorkommen oder erst gar keinen Behandlungstermin erhalten. Es bedarf Maßnahmen, die eine zunehmende Verdichtung der ärztlichen Arbeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Patientenzahl pro Arzt verhindern. Nur mit mehr Arztzeit für die Patientenbehandlung können Konflikte reduziert werden. Verdichtung der Arbeit und emotionale Belastung durch aggressive Patienten machen Ärztinnen und Ärzte krank und erhöhen darüber hinaus die Wahrscheinlichkeit für vermeidbare Gesundheitsschäden in der medizinischen Behandlung. Wenn in diesem Kontext nun Gesetze in Aussicht gestellt werden, die Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte sowie gegen medizinisches Personal härter ahnden sollen, dann hört sich das gut an. Allerdings kosten solche Gesetze so wenig, wie sie den bereits von Gewalt Betroffenen nützen. Die Ausstattung der ärztlichen Patientenversorgung mit den notwendigen Personal- und Strukturressourcen erforderte dagegen viel Kooperation zwischen Politik und Ärzteschaft und viel Geld. Das möchte sich die Politik offensichtlich sparen und gleichzeitig keine Abstriche in der Versorgung machen. Mit diesem Vorgehen verfestigt die Politik eine Konfliktlinie zwischen Arzt und Patient, was keine Perspektive für die Entwicklung eines funktionierenden Gesundheitswesens bietet. An Stelle von Strafe nach Gewalt, bedarf es Strukturmaßnahmen, die vermeidbare Konflikte zwischen Patient und Arzt reduzieren und es dann gar nicht erst zur Gewalt kommen lassen. Automatische, aufwandslose Befüllung der elektronischen Patientenakte (ePA) – Illusion oder Lüge? Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die gematik und das Bundesministerium für Gesundheit auf, anzuerkennen, dass der ePA-Befüllungsprozess nicht ohne zusätzlichen Mehraufwand in Form von ärztlichen Ermittlungen, Aufklärung und Dokumentation in den Arztpraxen auskommt. Ende der Sanktionen zur Digitalisierung in der Medizin Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert ein Ende der Politik der Strafe bei der Digitalisierung in der Medizin. Eine weitere Durchsetzung von dysfunktionalen digitalen Anwendungen, die Mehraufwand in Praxis und Krankenhaus für ärztliche Anwender zur Folge haben, ist nicht weiter akzeptabel. Anwendungen müssen durch eine Arbeitserleichterung in Sprechstunde und Krankenhaus überzeugen und sich so von allein auf dem Anwendermarkt durchsetzen. Aufforderung zur Optimierung des Gesundheits-Digital-Agentur-Gesetzes (GDAG) Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, den aktuellen Entwurf des Gesundheits-DigitalAgentur-Gesetzes (GDAG) in folgenden Punkten nachzubessern: Verpflichtende Erprobung und Evaluation neuer Systeme Systeme zur Digitalisierung im Gesundheitswesen sollen grundsätzlich mindestens ein Quartal lang in einer repräsentativen Pilotregion getestet werden, bevor sie bundesweit ausgerollt werden. Dies gewährleistet eine umfassende Prüfung der Praxistauglichkeit und Nutzerfreundlichkeit und vermeidet Probleme durch unzureichend getestete Systeme im gesamten Gesundheitssystem. Derartige Testphasen könnten entscheidend sein, um spätere juristische Auseinandersetzungen und Anpassungen an nicht erprobte Standards zu vermeiden. Einheitliche Zertifizierungsstandards Für die Entwicklung und den Einsatz digitaler Anwendungen und Komponenten in der Telematikinfrastruktur (TI) sind einheitliche und verbindliche Standards erforderlich, gegen die zertifiziert werden kann. Ein klar definierter „Duden“ solcher Standards vermeidet Fragmentierungen und Dialekte, die zu Kompatibilitätsproblemen und Ineffizienzen führen könnten. Einheitliche Standards sind essentiell, um eine reibungslose und interoperable Nutzung zu gewährleisten. Etablierung eines unabhängigen Beirats Zur Sicherstellung einer ausgewogenen Perspektive fordert die Kammerversammlung die Einrichtung eines Beirats, der Vertreter aus der Patientenvertretung, Wissenschaft und Versorgung umfasst. Ein Beirat würde gewährleisten, dass die Digitalisierung aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird, um eine zukunftsorientierte und für alle relevante Lösung zu entwickeln. „Wer bestellt, bezahlt“-Prinzip im Gesundheitswesen Die Finanzierungsverantwortung für die Digitalagentur darf nicht ausschließlich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übertragen werden, wenn die Entscheidungshoheit beim Bund bzw. dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verbleibt. Ein fairer Lastenausgleich ist unabdingbar, um eine nachhaltige und gerechte Digitalisierung des Gesundheitswesens sicherzustellen. Agile, innovative Strukturen statt staatlicher Verwaltung Anstelle eines Bundesamtes für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eine flexible und innovative Struktur erforderlich. Die Infrastruktur im Gesundheitswesen sollte im Rahmen des bewährten Sozialversicherungsmodells zur Verfügung gestellt werden, das auf einer Kooperation zwischen staatlicher Rahmensetzung und privatwirtschaftlicher Trägerschaft beruht. Eine starre Verwaltungseinheit würde möglicherweise die Agilität und Effizienz, die für die dynamischen Anforderungen der Digitalisierung notwendig sind, einschränken. Modernisierung der Telematik-Infrastruktur Die aktuelle technische Grundlage der Telematikinfrastruktur basiert auf einem veralteten, über 20 Jahre alten Systementwurf, der den modernen Sicherheitsanforderungen und technologischen Standards nicht mehr entspricht. Die Kammerversammlung fordert die Möglichkeit zur Einbindung moderner, mindestens gleichwertiger Sicherheitskonzepte, um sowohl die Sicherheit als auch die Effektivität der TI zu gewährleisten. Telemedizinische Versorgung ärztlich gestalten Laut § 7 Abs. 4 MBO-Ä (Musterberufsordnung der Ärzte) ist eine ausschließliche Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien nur im Einzelfall ärztlich erlaubt. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber und die Kostenträger auf, 1. die Strukturen der ärztlichen Selbstverwaltung (Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen sowie ärztliche Berufsverbände) verbindlich in die Gestaltung telemedizinischer Angebote einzubeziehen. 2. telemedizinische Angebote ohne feste Bindung an Versorgungsstrukturen (Hausarztpraxis, Facharztpraxis oder Krankenhausambulanz) nur in begründeten Einzelfällen
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