42 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 12 / 2024 Kulturspiegel Verwechselungsspiel der Götter Die Gruppe wird zum Chor. „Meine Inszenierungen entstehen aus der gemeinsamen Arbeit mit den Schauspieler:innen heraus. Deshalb verändert sich der Schwerpunkt während des Probenprozesses immer wieder“, sagt die Regisseurin Michalek zu ihrer Herangehensweise. Es steckt somit viel Entwicklungsarbeit des gesamten Ensembles in der Düsseldorfer Aufführung, die von der begeisternden Spiellust der jungen Künstler lebt, die auf der Bühne mit wenigen Requisiten ideen- und phantasiereiche Bilder entstehen lassen. Beispielsweise verschwindet Jupiter-Amphitryon in einer Nebelwolke, die aus ihm selbst herauszuwabern scheint. Ein Kleid aus elastischem Stoff und eine Nebelmaschine, die ihn von unten anbläst, lassen hin Amphitryon an der Reihe ist, erstaunt zu sein. Er echauffiert sich – in seinen Augen – zu Recht, ob der Treulosigkeit seiner Gemahlin, die diesen Vorwurf brüsk zurückweist. Das Verwirrspiel dreht sich immer weiter, bis sich zu guter Letzt der göttliche, aber falsche und der menschliche, aber wahre Amphitryon im Beisein von Alkmene gegenüberstehen. Schließlich lässt Jupiter die Maske fallen und offenbart sich als derjenige, der sich eine Liebesnacht ergaunert hat. Bei Kleist endet die Komödie mit Jupi- ters Ankündigung, dass Alkmene von ihm Am Düsseldorfer Schauspielhaus ist das Lustspiel „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist in einer Bearbeitung von Milena Michalek zu sehen. von Jürgen Brenn Im Jahr 1807 verfasste Heinrich von Kleist „Amphitryon“ als „Lustspiel nach Molière in drei Akten“. Die erste Aufführung als Theaterstück fand allerdings lange nach Kleists Tod im Jahr 1899 in Berlin statt. Der Stoff aus der griechischen Mythologie, für den rund 40 Bühnenfassungen existieren, ist im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspiels in einer Bearbeitung von Milena Michalek zu sehen, die auch Regie führt. Die in Hannover und Dresden aufgewachsene Autorin und Regisseurin studierte Philosophie in Wien. Sie schreibt für das Theater und entwickelt Stücke mit verschiedenen Ensembles sowie ihrem Theaterkollektiv „YZMA“, das sie 2014 mitbegründete. „Amphitryon“ ist eine erotische Verwechslungsgeschichte, bei der vor allem die Götter Jupiter und Merkur zwar ihren Spaß haben, aber am Ende nicht gut wegkommen. Denn Jupiter, gespielt von Jonas Friedrich Leonhardi, schlüpft in die Gestalt des Feldherrn Amphitryon und erschleicht sich so eine Liebesnacht mit dessen Gattin Alkmene, beeindruckend gespielt von Fnot Taddese. Merkur wiederum, gespielt mit einer Handstandeinlage und musikalischem Talent von Blanka Winkler, schlüpft in die Gestalt der Dienerin des Feldherrn, Sosias, die von Sophie Stockinger verkörpert wird. Hier, eine gesellschaftliche Ebene tiefer, vollzieht sich ebenfalls eine Verwechslungsgeschichte, bei der die Götter meinen, mit den Menschen spielen zu können, wie sie wollen. Double und Original treffen bei der Dienerschaft allerdings früher aufeinander, sodass Sosias den Befehl ihres Herrn Amphitryon, gespielt von Claudius Steffens, nicht ausführen kann. Sie sollte die Rückkehr des siegreichen Feldherren bei seiner jungen Gemahlin für den kommenden Tag ankündigen. Als der echte Amphitryon nun 24 Stunden später als Jupiter-Amphitryon seine Frau innig in die Arme nehmen will, ist diese sehr erstaunt über dessen Erscheinen. Alkmene erinnert ihn an die heiße Liebesnacht am Vorabend, woraufClaudius Steffens versichert als Amphitryon seiner Frau Alkmene, gespielt von Fnot Taddese, dass er der einzige und richtige Amphitryon sei. Foto: Thomas Rabsch schwanger sei und einen Halbgott namens Herkules zur Welt bringen werde. Diese Ankündigung spart sich die Düsseldorfer Inszenierung ebenso wie den Aufstieg Jupiters in den Olymp. Was die Inszenierung von Milena Michalek besonders macht, ist die zweite, scheinbar von der antiken Handlung völlig losgelöste Erzählebene. Die Geschichte beginnt nicht im alten Theben, sondern im Hier und Jetzt. Das fünfköpfige Ensemble, das in seinen bunten Kostümen eher wie eine Zirkustruppe wirkt, diskutiert über den Sinn, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen. Sie sprechen sich auch nicht mit den kleistschen Rollennamen an, sondern heißen Amphi, Alkmeni, Sosia, Choris und Merkür. Immer wieder verlassen die jungen Schauspieler ihre Rollen, unterbrechen das Stück, um nicht nur als Gruppe Alltägliches wie einen Fahrradhelm zu diskutieren. Beinahe wie zufällig finden sie sich am linken Rand der Bühne wieder, wo ein Keyboard steht und stimmen einen Kanon oder kurze Lieder an. Jonas Friedrich Leonhardi als wahrhaftigen Gott erscheinen, der in den Wolken wohnt. Die Inszenierung endet, wie sie begann: mit einer weiteren Gruppendiskussion, die nur in unserer Jetztzeit so geführt werden kann. Am Schmunzeln im Publikum ist zu erkennen, dass viele diese Debatte so oder so ähnlich kennen: Es geht darum, mit welchem Messengerdienst eine Chatgruppe gebildet werden soll, wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass manche nur einen bestimmten Dienst nutzen, andere SMS ablehnen und E-Mails als Old School gelten. Selbstverständlich müssen auch die HandyGewohnheiten und -Zeiten der einzelnen Gruppenmitglieder berücksichtigt werden. Daraus lässt sich trefflich ein rund fünfminütiges Ping-Pong-Spiel von möglichen Chatvarianten entspinnen, bevor die Diskussion von vorn beginnt, weil jemand das Gefühl hat, dass doch noch nicht alle Befindlichkeiten ausreichend berücksichtigt wurden. Informationen unter www.dhaus.de und Tel.: 0211 3699-11.
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