Leitfaden Kommunikation

25 Grundlagen der Kommunikation Ärztekammer Nordrhein 24 Ärztekammer Nordrhein Grundlagen der Kommunikation 1.7. Dokumentation des Gesprächs Ein oft vernachlässigter, jedoch wesentlicher Aspekt einer professionellen Begegnung zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin ist die Dokumentation. Vor allem in Polikliniken und Ambulanzen, in denen die betreuenden Ärztinnen und Ärzte häufig wechseln, aber auch in Gemeinschaftspraxen ist die kontinuierliche Betreuung durch bestimmte Ärztinnen und Ärzte nicht immer gewährleistet. Daher kommt der schriftlichen Informationsübergabe, die mittlerweile oft in elektronischer Form erfolgt, eine entscheidende Bedeutung zu. In der Regel ist der Zusammenhang zwischen der Menge an Informationen, die Patientinnen und Patienten geben, und den Einträgen in die Patientendokumentation nicht besonders zuverlässig. Ärztinnen und Ärzte dokumentieren bis zu 90 % dessen, was Patientinnen und Patienten sagen, nicht. Das mag daran liegen, dass Ärztinnen und Ärzte in der Lage sind, Einzelbefunde in diagnostischen Oberbegriffen zusammenzufassen. Allerdings gilt dies kaum für den Bereich psychosozialer Informationen: Hier besteht das Risiko, dass das, was im Moment für Patientinnen und Patienten im Vordergrund steht, keinen Eingang in die Krankenakte findet. Hier haben Ärztinnen und Ärzte ganz allein eine Entscheidung darüber getroffen, was wichtig für nachfolgende Kolleginnen und Kollegen ist. In keinem der aufgezeichneten Gespräche wurde partizipatorisch versucht, mit Patientinnen und Patienten gemeinsam zu entscheiden, welche Informationen explizit ins Krankenblatt übernommen, welche in Form einer Zusammenfassung zumindest thematisch benannt und welche weggelassen werden sollten. Diese Chance in Bezug auf die Dokumentation des Gesprächsinhaltes wird bisher nicht genutzt, scheint aber dringend geboten. Literatur Langewitz W. A., Loeb Y., Nubling M., Hunziker S.: From patient talk to physician notes – Comparing the content of medical interviews with medical records in a sample of outpatients in Internal Medicine. Patient Educ Couns. 2009; 76: 336–40. 1.8. Ärztliche Haltung und Technik Die Praxis einer professionellen Kommunikation wird oft missverstanden als eine Tätigkeit, bei der in erster Linie präzise definierte Regeln umgesetzt werden. Gerade bei der nonverbalen Kommunikation wird im Alltag meistens sehr schnell deutlich, dass jemand, der Empörung oder Trauer nur äußert, ohne selbst in diesem Moment empört oder traurig zu sein, unglaubwürdig ist. Das Gleiche gilt für jemanden, der die Rolle eines Arztes oder einer Ärztin spielt, ohne über eine ärztliche Identität zu verfügen. Sie zu entwickeln, ist Teil des verborgenen, impliziten Curriculums im Medizinstudium und wahrscheinlich auch der ersten Jahre der Weiterbildung zur Fachärztin bzw. zum Facharzt. Wenn Studierende und junge Kolleginnen und Kollegen eine ärztliche Identität entwickeln, ist sie oft zunächst eher rigide und lässt nur wenig Spielraum für unterschiedliche Ausprägungen. Für das, was da im Entstehen begriffen ist, ist der Begriff der Fassung hilfreich, der in der Neuen Phänomenologie mit dem Bonmot erklärt wird: „Fassung ist das, was ein Mensch verliert, wenn er die Fassung verliert.“ Die Anwendung dieser Definition im Alltag wird sofort zeigen, dass es unterschiedliche Herausforderungen an die Fassung einer Person gibt: Was jemanden als Vater, Tochter, Partnerin oder Partner herausfordert und an den Rand der Fassung bringen kann, ist für die Fachperson sozusagen Berufsrisiko. Daraus folgt, dass eine Person mehrere Fassungen hat, unter anderem eine berufliche; damit ist die Kritik an Kommunikationstrainings, sie würden die eigene Authentizität untergraben, obsolet: Die Fassung als junge Frau, Tochter, Freundin etc. steht gar nicht zur Debatte, sondern es geht um das Arbeiten an einer professionellen Fassung, die noch nicht ausgebildet ist. Wünschenswert ist sicher, dass bestimmte Merkmale einer Person (z. B. wie flink, wie begeisterungsfähig, beharrlich, eher pessimistisch jemand ist) in unterschiedlichen Fassungen nicht ganz verloren gehen. So etwas wie der ‚Kern einer Person‘ schimmert durch die verschiedenen Fassungen hindurch. Die ärztliche Identität ist in diesem Verständnis also eine spezielle Form der Fassung, sie kann unterschiedlich rigide sein und ist nicht dann besonders professionell, wenn sie besonders flexibel ist. Eine Person mit sehr flexibler Fassung ist womöglich zu sehr beeindruckt vom Leid eines Gegenübers und hat Mühe, einen klaren Kopf zu bewahren und z. B. einen invasiven Eingriff in Ruhe kompetent durchzuführen. Eine Person mit sehr rigider Fassung wirkt häufig kaltherzig, unempathisch („Der/die hat mich behandelt wie ein Stück Holz“). Die große Kunst besteht darin, die eigene professionelle Fassung in ihrer Flexibilität variieren zu können; wie schwierig das sein kann, wird deutlich, wenn eine Fachperson aus dem Operationssaal in die Sprechstunde wechselt und dann von der eher rigiden Fassung auf eine eher flexible Fassung

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