Leitfaden Kommunikation

55 Futility Im klinischen Alltag sind Ärztinnen und Ärzte gelegentlich mit Situationen konfrontiert, bei welchen Reanimationsversuche von Seite der Patientinnen und Patienten möglicherweise gewünscht, aus medizinischer Sicht aber als nicht sinnvoll erachtet werden. Ein Beispiel hierfür sind Reanimationsversuche bei Patientinnen und Patienten mit palliativen Erkrankungen, bei denen ein Herz-Kreislauf-Stillstand als ein natürlicher Verlauf der Erkrankung angesehen werden muss, oder bei polymorbiden Patientinnen und Patienten mit verschwindend geringer Überlebenswahrscheinlichkeit. Reanimationsversuche zeigen in diesen Fällen in der Regel keinen Nutzen, sondern führen vielmehr zu einer Leidensverlängerung oder man muss damit rechnen, dass die Patientinnen und Patienten den Kreislaufstillstand nur mit schwersten neurologischen Einbußen überleben. Medizinische Guidelines schätzen Reanimationsversuche in diesen Situationen als sinn- oder nutzlos (englisch „futile“) ein. Das Gespräch über die Aussichtslosigkeit von Reanimationsmaßnahmen bei möglichem Herz-Kreislauf-Stillstand ist herausfordernd und wird von Ärztinnen und Ärzten oftmals als unangenehm empfunden. Häufig besteht von ärztlicher Seite die Sorge, dass ein solches Gespräch für Patientinnen und Patienten zu belastend sein könnte. Die Literatur zeigt jedoch, dass die Thematisierung von schlechter Prognose oder Tod bei polymorbiden Patientinnen und Patienten nicht grundsätzlich als belastend erlebt wird. Allerdings sind kommunikative Fertigkeiten in diesen Gesprächen gefragt. Hierbei können unter Umständen auch Techniken zum Überbringen schlechter Nachrichten (vgl. Kapitel 3.4.) hilfreich sein. Die Beurteilung einer möglichen „Futility“ im Hinblick auf potenzielle Reanimationsmaßnahmen basiert häufig auf subjektiver Einschätzung der Ärztin oder des Arztes. Untersuchungen Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein 54 einträchtigungen aufgrund einer hypoxischen Enzephalopathie davon und ist im Verlauf auf Hilfe oder Pflege angewiesen. Die Prognose eines Herz-Kreislauf-Stillstands hat sich trotz medizinischer Fortschritte in den letzten Jahren nicht verbessert. Mit Patientinnen und Patienten zu besprechen und zu entscheiden, ob im Falle eines HerzKreislauf-Stillstands Wiederbelebungsversuche eingeleitet werden sollen oder man sich auf palliative Maßnahmen beschränkt, ist ein typisches Beispiel einer partizipatorischen Entscheidungsfindung (vgl. Kapitel 2.6.). Die wesentliche Aufgabe der Ärztin oder des Arztes während eines Gesprächs über Re- animationsmaßnahmen ist es, der betroffenen Person die beiden potenziell möglichen Therapieoptionen (Reanimationsversuch vs. palliativer Fokus) sowie deren Vor- und Nachteile näherzubringen. Hierdurch kann man es Patientinnen und Patienten erleichtern, die Therapieoptionen gemäß ihren Präferenzen und Wertvorstellungen abzuwägen und die medizinische Entscheidungsfindung aktiv zu beeinflussen. Allerdings haben viele Patientinnen und Patienten mit einer niedrigen Gesundheitskompetenz (engl. „health literacy“) Schwierigkeiten, medizinische Informationen zu verstehen oder zu beurteilen. Eine nationale Erhebung aus den Jahren 2019–2021 ergab, dass in der Schweiz 49 % der Bevölkerung eine niedrige Gesundheitskompetenz aufweisen und daher Mühe haben Therapieoptionen abzuwägen und eine sinnvolle Entscheidung zu treffen. Bei diesen Patientinnen und Patienten kann der Einsatz von Entscheidungshilfen (engl. „Decision Aids“) förderlich sein. Entscheidungshilfen bereiten medizinische Informationen in Form von leicht verständlichen Tabellen, Diagrammen oder Bildern auf und können hierdurch das Wissen und Verständnis von Patientinnen und Patienten verbessern. Studien konnten zeigen, dass durch den Einsatz von Entscheidungshilfen die Beteiligung von Patientinnen und Patienten in der Entscheidungsfindung gesteigert werden kann. Zur Illustrierung der Prognose eines Herz-Kreislauf-Stillstands kann beispielsweise ein Cates Plot verwendet werden. Cates Plots stellen Outcomes in Form von Smileys in unterschiedlichen Farbvarianten beziehungsweise Gesichtsausdrücken dar. Sind Patientinnen und Patienten unsicher im Hinblick auf ihre Entscheidungsfindung, kann es im Gespräch nützlich sein, mithilfe einer weiteren Decision Aid (Tabelle 1) die Präferenzen oder Einstellung zum Leben zu erfragen. Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein Wie wichtig ist Ihnen Nicht wichtig wichtig Option erwägen, wenn einem dieses wichtig ist ... länger leben 1 2 3 4 5 6 Reanimation befürworten ... schwere Hirnschäden vermeiden 1 2 3 4 5 6 Reanimation ablehnen Adaptiert nach: Cardio-Pulmonary Resuscitation (CPR): A Decision Aid For Patients And Their Families. (© Chris Frank, Jennifer Kryworuchko, Daren Heyland and Romayne Gallagher. Version: November 2010) Tabelle 1: Beispiel einer Decision-Aid-Tabelle zum Thema Reanimation

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