61 und durchzuführen. Im Gespräch über Tod und Sterben sind Ärztinnen und Ärzte darüber hinaus auch empathische Begleiterinnen und Begleiter, die ebenfalls an ihrem Lebensende die oben angesprochenen Entwicklungsaufgaben meistern müssen. Auf persönlicher Ebene sind wir dabei genauso unerfahren wie die Patientinnen und Patienten selbst. In der Rolle der empathischen Begleitenden geht es darum, Patientinnen und Patienten zu unterstützen, einen guten Weg für sich zu finden und die anstehende Entwicklungsaufgabe bestmöglich zu bewältigen. Diese Rolle ist eher ungewohnt. Die eigenen Erfahrungen mit dem Versterben von Angehörigen, von Patientinnen und Patienten, eigene Vorstellungen vom Tod und möglicherweise Vorstellungen von einer Existenz nach dem Tod prägen bewusst oder unbewusst die Gespräche mit den Patientinnen und Patienten. Insofern ist es gerade für solche Gespräche sinnvoll, im Kreis von Kolleginnen und Kollegen, z. B. in einer Balint-Gruppe, einer Supervisionsgruppe oder einer Selbsterfahrungsgruppe, sich der eigenen Vorstellungen, Vorbehalte, Ängste und Sorgen bewusst zu werden. Hoffnung Den Patientinnen und Patienten die Gelegenheit zu geben, über ihre Sorgen und Ängste, über ihre Belastungen und auch die negativen Gefühle wie Trauer und Wut zu sprechen, führt in der Regel zu emotionaler Entlastung und zu einer Anpassung der Hoffnung. Patientinnen und Patienten, die wissen, dass sie nicht mehr gesund werden, hoffen auf ein möglichst langes Leben in guter Lebensqualität. Patienten und Patientinnen, die wissen, dass sie bald versterben werden, hoffen auf eine gute Zeit bis zum Tod und ein gutes Sterben. Somit führt so das offene Gespräch über so belastende Themen wie Tod und Sterben nicht zu mehr Verzweiflung und Angst, sondern zu mehr Bewältigung und Hoffnung. Literatur Royal College of Physicians (ed.) Talking about dying: How to begin honest conversations about what lies ahead. 2018. Heyland D. K., Dodek P., You J. J., Sinuff T., Hiebert T., Tayler, C. ... & Downar, J.: Validation of quality indicators for end-of-life communication: results of a multicentre survey. Cmaj, 2017; 189(30), E980–E989. Ekberg S., Parry R., Land V., Ekberg K., Pino M., Antaki C., ... & Whittaker, B.: Communicating with patients and families about illness progression and end of life: a review of studies using direct observation of clinical practice. BMC palliative care, 2021; 20(1), 1–12. Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein 60 Häufig ist es aber auch der Wunsch, das Krankheitsgeschehen richtig einschätzen zu können, zu wissen, ob man auf Besserung des Allgemeinzustandes hoffen kann oder sich an eingeschränkte Leistungsfähigkeit und begrenzte Lebensperspektive anpassen muss. In letzteren Fällen geht es dann weniger um eine konkrete zeitliche Einschätzung. Die Frage nach der weiteren Prognose, nach dem anstehenden Sterben spielt in der Palliativmedizin eine noch viel größere Rolle, vor allem wenn es darum geht abzuschätzen, wann es Zeit ist, Abschied zu nehmen, oder wie lange man selbst und die Angehörigen noch durchhalten müssen. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, insbesondere bei Krebserkrankungen, ist es oft am Anfang sehr schwer, eine zeitliche Einschätzung abzugeben. In sehr fortgeschrittenen Krankheitsstadien wird die verbleibende Zeitspanne häufig besser greifbar. Da aber jeder Krankheitsverlauf individuell ist, hat es sich bewährt, Zeitangaben – wenn sie denn sinnvoll sind – eher in Zeiträumen auszudrücken. Geeignete Formulierungen im Gespräch mit Patientinnen und Patienten sind bspw.: „Wir gehen eher von Monaten als von Jahren aus.“ „Wahrscheinlich handelt es sich eher um Tage denn um Wochen.“ Gleichzeitig kann es hilfreich sein, die betroffene Person einzuladen, häufiger über die Prognose zu sprechen, gerade weil individuelle Krankheitsverläufe sehr unterschiedlich sind und prognostische Einschätzungen sich ändern können. Wenn es um so schwierige und belastende Themen geht, ist es wichtig, frühzeitig bei Patientinnen und Patienten Bewältigungsstrategien zu aktivieren, indem ihnen Lösungskompetenzen zugeschrieben werden: „Was könnte Ihnen die Situation erleichtern?“ „Was würde helfen, mit dieser Situation zurechtzukommen?“ Mit diesen Fragen geben Sie zu erkennen, dass Sie der Patientin bzw. dem Patienten zutrauen, selbst eine Idee zu haben oder zu entwickeln, wie diese schwierige Situation besser zu bewältigen sein könnte. Sie geben ebenfalls zu erkennen, dass es sich nicht um ein rein medizinisches Problem handelt, sondern dass es auch darum geht, eine der schwierigsten menschlichen Entwicklungsaufgaben zu meistern: das Leben im Angesicht des Todes und die Gestaltung des eigenen Versterbens. Rollenwechsel Im rein medizinischen und somatischen Kontext sind Ärztinnen und Ärzte gefragt als lösungssichere Expertinnen und Experten. Sie müssen in der Lage sein, Symptome zuzuordnen, Diagnosen zu stellen, sinnvolle Untersuchungen anzuordnen, die Patientinnen und Patienten über ihre Krankheit zu informieren, Fragen zu beantworten, Therapiekonzepte zu planen Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein
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