71 len akzeptiertes und stimmiges Krankheitsverständnis zu erarbeiten und die therapeutischen Maßnahmen stets zu kommunizieren. Nicht das kranke Kind ist die Patientin bzw. der Patient, sondern die Familie. Die Erkrankung eines Kindes wirkt sich immer auf die ganze Familie aus und beeinflusst die Paar- und Elternbeziehung, aber auch die Beziehung zu gesunden Geschwistern. Die Beeinträchtigung im Befinden von Geschwistern wird jedoch häufig nicht ausreichend wahrgenommen. Die Ärztin oder der Arzt sollte deshalb immer aktiv danach fragen, wie sich die Erkrankung auf die Familie auswirkt und wie die Geschwister mit der Erkrankung zurechtkommen. Ob das Gespräch von Beginn an zusammen mit dem Kind und den Angehörigen geführt wird, ob die Angehörigen mit dem Kind zunächst alleine über die Erkrankung sprechen oder die Ärztin bzw. der Arzt zuerst mit dem Kind alleine spricht, muss vorher zusammen mit den Angehörigen geklärt werden. In einer Arbeit über Eltern von Kindern mit akuter lymphoblastischer Leukämie wünschen sich fast alle Eltern, ohne Beisein der Kinder mit Ärztinnen und Ärzten sprechen zu können, da sie sich dann besser konzentrieren können und da sie selbst entscheiden wollen, wie sie ihrem Kind die Informationen weitergeben. Mit zunehmendem Alter wird die Autonomie des Kindes zu einem zentralen Thema. Ab etwa zwölf Jahren sind Jugendliche urteilsfähig und haben ein Entscheidungsrecht für persönliche Angelegenheiten. Sie müssen deshalb in Entscheidungen miteinbezogen werden. Damit stellt sich auch die Frage, wie weit die Eltern über das ärztliche Tun an ihren Kindern (mit)bestimmen dürfen. Das Eltern-Arzt-Patienten-Verhältnis wird komplexer und damit auch störungsanfälliger, weil strittig sein kann, welche Entscheidungen der Jugendliche selbst treffen darf. Auch die konkrete Auslegung der Schweigepflicht wird nun zentral, da sie die Frage berührt, auf welche Informationen über ihre Kinder Angehörige Anspruch haben. Das schwierige Gespräch mit den Eltern Das Gespräch mit den Eltern ist meist unkompliziert, wenn eine leicht erkennbare und gut behandelbare Erkrankung vorliegt. Darüber informiert zu werden, dass eine schwere Erkrankung des Kindes vorliegt oder ein langfristig fataler Verlauf zu erwarten ist, stellt jedoch für Angehörige und pädiatrische Fachkräfte eine große Belastung dar. Im Prinzip gelten die gleichen Empfehlungen zum Überbringen schlechter Nachrichten wie in der Erwachsenenmedizin (Kapitel 3.3.). Erschwerend kommt bei Gesprächen mit Eltern schwer kranker Kinder hinzu, dass sie sich auf der Suche nach Erklärungen und Ursachen oft Vorwürfe machen, selbst schuld zu sein, etwa Krankheitszeichen zu spät erkannt zu haben. Sie suchen nicht nur bei sich, sondern auch beim anderen Elternteil oder anderen Beteiligten Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein 70 haltensänderungen, sollten Ärztinnen und Ärzte mit allen Mitteln unterstützend eingreifen. Doch auch wenn Patientinnen und Patienten aktuell Veränderungen ablehnen, sollten diese Entscheidungen respektiert und Betroffene als Personen akzeptiert werden. Gerade hiermit schaffen Ärztinnen und Ärzte in der ärztlichen Praxis das therapeutische Klima, das es Patientinnen und Patienten erlaubt, Konflikte und Schwierigkeiten anzusprechen. Dieser gegenseitige Respekt zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin führt dann auch im schwierigen Bereich der Suchtbehandlung eher zu einer befriedigenden und erfolgversprechenden Dialogbereitschaft und erleichtert so eine Verhaltensänderung. Literatur DHS (2022) Jahrbuch Sucht 2022. Pabst, Lengerich. Di Clemente C., Prochaska J.: Toward a comprehensive, transtheoretical model of change: Stages of Change and addictive behaviors. In: Miller W R, Heather N (Hrsg.): Treating addictive behaviors. 2nd edn. Plenum, New York 1998. Kiefer F., Koopmann A., Müller C. A., Mann K. F., Heinz A.: Alkoholabhängigkeit. In: Voderholzer U., Hohagen F. (Hrsg.) Therapie psychischer Erkrankungen – State of the Art. Urban & Fischer, München Jena, 17. Aufl., S. 45–59; 2022 Rollnick S., Mason P., Butler Ch.: Health Behaviour Change – a Guide for Practitioners. Churchill Livingstone, Philadelphia 1999. S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ AWMF-Register Nr. 076-001; Stand 01.01.2021. www.awmf.org 3.9. Gespräch mit Angehörigen von kranken Kindern Gespräche mit Eltern von kranken Kindern weisen gegenüber anderen ärztlichen Gesprächen einige Besonderheiten auf. In der Regel handelt es sich um Mehrpersonengespräche, an denen die Ärztin bzw. der Arzt, die Eltern, das Kind und evtl. weitere Gesundheitsfachleute anwesend sind. Das verlangt von der Ärztin bzw. vom Arzt die Fähigkeit, sich gleichzeitig und flexibel auf mehrere Menschen mit unterschiedlichen Wünschen, Ansprüchen und kommunikativen Fertigkeiten einzustellen und zudem auch das Kind in die Gespräche miteinzubeziehen. Dafür muss es der Ärztin oder dem Arzt gelingen, eine Beziehung zum Kind aufzubauen und die Gesprächsführung an die kommunikative Kompetenz des Kindes anzupassen. Der Umstand, dass nicht die Patientin oder der Patient selbst, sondern die Eltern für ihr minderjähriges Kind sowohl Ansprechpersonen als auch Entscheidungstragende für medizinische Maßnahmen sind, macht die Zusammenarbeit komplex und störungsanfällig. Auch die Tatsache, dass die Angehörigen für ihre Kinder Entscheidungen treffen (müssen), die möglicherweise von der Ärztin bzw. vom Arzt nicht gutgeheißen werden (zum Beispiel Verweigerung einer notwendigen medizinischen Maßnahme), kann zu schwierigen Gesprächssituationen führen und in der Folge schlimmstenfalls Fragen nach Kinderschutzmaßnahmen aufwerfen. Für eine gute Zusammenarbeit ist es deshalb wichtig, gemeinsam mit der Familie ein von alHeranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=