83 82 Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein Ärztekammer Nordrhein Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Kreislauf-Stillstand. Mehrere Untersuchungen belegen, dass diese Zurückhaltung nicht gerechtfertigt ist (Visser, M. et al., 2014). Ablauf des Gesprächs Zuerst sollte der Anlass für das Verfassen einer PV oder das Gespräch über eine Reanimation geklärt werden. Hat die betroffene Person selbst von einer schweren Erkrankung erfahren oder ist ein ihr nahestehender Mensch nach langem Leiden verstorben? Danach wird folgendes Vorgehen empfohlen: • Urteilsfähigkeit des Patienten / der Patientin erfassen. • Werteanamnese erheben. • Vorgehen in konkreten Situationen festlegen. • Eine Person oder mehrere Personen bestimmen, die im Falle einer Äußerungs- oder Urteilsunfähigkeit stellvertretend Entscheidungen über die Lebensverlängerung oder den Therapieabbruch fällen sollen. Je nach Situation, in der sich Betroffene befinden, wird dem einen oder anderen Aspekt mehr oder weniger Gewicht beigemessen. Bei gesunden Menschen wird die Klärung der persönlichen Werte ganz im Vordergrund stehen. Bei Patientinnen und Patienten, die von einer schweren eigenen Erkrankung erfahren und bei denen eine Urteilsunfähigkeit (z. B. im Rahmen einer Demenzerkrankung) zu erwarten ist, muss das Vorgehen in ganz konkreten Behandlungssituationen besprochen werden. In gleicher Weise verläuft ein Gespräch mit Patientinnen und Patienten, die sich zur Frage einer Reanimation äußern sollen. Nach einem einleitenden Gespräch zum Aufbau einer Beziehung wird die Wertehaltung der Patientin oder des Patienten erfasst und dann mit ganz konkreten Fragen die Situation einer Reanimation diskutiert. Die ärztliche Beratung ist allerdings keine Wirksamkeitsvoraussetzung der PV, sodass Betroffene eine wirksame PV auch dann erstellen können, wenn sie auf ein vorheriges Gespräch mit behandelnden Ärztinnen und Ärzten verzichtet haben. Einwilligungsfähigkeit Damit die betroffene Person überhaupt eine PV erstellen kann, muss sie einwilligungsfähig sein (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). Einwilligungsfähigkeit ist dann gegeben, wenn die Person aufgrund ihrer Einsichts- und Steuerungsfähigkeit Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der Maßnahme erfassen und ihren Willen hiernach richten kann. Auf die Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person im Sinne des § 104 BGB kommt es nicht an. Allerdings kann nur nach Volljährigkeit eine wirksame PV errichtet werden. Zur Abschätzung der Einwilligungsfähigkeit kann dem Patienten bzw. der Patientin ein einfaches Fallbeispiel vorgelegt werden. Die Person sollte in der Lage sein, dieses zu verstehen und zusammenzufassen. Auch sollte sie fähig sein, ihre Behandlungspräferenz für diese konkrete Situation zu äußern, alternative Vorgehensweisen zu bewerten und die sich aus ihrer Wahl ergebenden kurz- und längerfristigen Konsequenzen abzuleiten. Konkret kann die ärztliche Fachperson folgendermaßen vorgehen: „Ich erzähle Ihnen jetzt eine Fallgeschichte. Stellen Sie sich vor, Sie erleiden einen Hirnschlag. Als Folge des Hirnschlags können Sie Ihren rechten Arm und Ihr rechtes Bein nicht mehr bewegen. Sie können auch nicht mehr sprechen und schlucken, die Sprache Ihrer Mitmenschen nehmen Sie aber noch wahr. Wegen der Schluckunfähigkeit würde man Sie fragen, ob Sie der Einlage einer Magensonde durch Ihre Bauchwand zustimmen würden, um eine ausreichende Nahrungszufuhr zu gewährleisten. Würden Sie mir diese Geschichte bitte nochmals kurz zusammenfassen? Würden Sie einer derartigen Maßnahme zustimmen? Welche alternativen Handlungsoptionen können Sie sich vorstellen? Was, denken Sie, würde geschehen, wenn Sie der Maßnahme nicht zustimmen?“ Der Mini-Mental-State kann zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit nur als Vorabprüfung dienen (Stier, 2006). Daran muss sich eine individuelle kontextabhängige Tiefenprüfung durch die Ärztin bzw. den Arzt anschließen. Werteanamnese Sicher gibt es Situationen, in denen eine PV in einer einzigen Sitzung erstellt werden kann. Meist werden aber mehrere Sitzungen notwendig sein, denn für eine vollständige und sinnvolle PV müssen Wertehaltungen formuliert, Behandlungsziele und Vertrauenspersonen benannt und Aussagen zu verschiedenen spezifischen Behandlungssituationen gemacht werden (siehe 3.3.). In einem ersten Gespräch geht es darum, mit der betroffenen Person einen Zugang zu Themen wie schwere Krankheiten und Lebensende zu finden. Sie erzählt, wie ihre gegenwärtige Lebenssituation aussieht (Gesundheit, soziale Kontakte, Zukunftspläne), wie weit sie sich schon mit Fragen über Krankheit, Sterben und Tod auseinandergesetzt hat, welche Ängste in diesem Zusammenhang bestehen und von welchen Personen sie denkt, dass sie als Vertrauensper-
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