Leitfaden Kommunikation

23 Grundlagen der Kommunikation Ärztekammer Nordrhein dass Fachpersonen (auch) wie Computerprogramme funktionieren, indem sie Beschwerdebilder mit impliziten (der ‚klinische Blick‘) oder feststehenden Algorithmen beurteilen – die meisten Notfallstationen verfahren so, um über die Notwendigkeit von Diagnostik und Therapie zu entscheiden. Allerdings bietet der persönliche Kontakt mehr als das Abrufen von Beschwerden: das Leiden der Person, ihre Angst, ihre Verzweiflung sind ‚spürbar‘, auch ohne dass sie explizit ausgedrückt werden. Dieses Ausblenden der emotionalen Komponente kann diagnostisch durchaus sinnvoll sein, wenn z. B. in einer Triage-Situation nicht der zuerst behandelt wird, der am lautesten stöhnt, sondern der, dessen Vitalparameter einen deutlichen Abwärtstrend zeigen. Allerdings kann das Ausblenden von Emotionen auch dazu führen, dass ein tröstender Impuls, eine beruhigende Geste ausbleiben – man muss ein Symptom nicht besänftigen, manchmal aber den Menschen, der es präsentiert. Ein Mittelding zwischen Mensch-Maschine- und Mensch-Mensch-Interaktionen sind die LiveTreffen über entsprechende Programme, bei denen sich beide Interagierenden sehen und hören, sich aber nicht im gleichen physischen Raum befinden. Es ist wahrscheinlich noch zu früh, eindeutige Aussagen zu den Auswirkungen dieser Form der ‚Distanz in der Nähe‘ zu treffen, folgende Überlegungen könnten aber hilfreich sein: Der Fokus auf den Bildschirm und/oder auf die Kamera, die das eigene Bild aufnimmt, verhindert spontanes Abschweifen der Gedanken und des Blicks, Korrekturbewegungen in der Haltung stellen sich nicht spontan ein, sondern werden – wenn überhaupt – bewusst abgerufen. Eine erste Studie zeigt, dass dieses Einengen des Fokus einerseits die Fähigkeit von Teams verbessert, unter vorhandenen Ideen die beste zu finden, dass andererseits persönliche Treffen besser geeignet sind, kreative Ideen zu generieren. Vorstellbar ist auch, dass die unter 1.5. beschriebene Wahrnehmung von Atmosphären im Raum dadurch behindert wird, dass sich die beteiligten Personen eben in physisch unterschiedlichen Räumen befinden – kann sich eine prägende Atmosphäre überhaupt ausbilden? Zumindest indirekt gibt es vielleicht Hinweise darauf, dass eine lähmende Atmosphäre seltener entsteht: Studierende und Simulationspersonen beschreiben die Gespräche über Live-Kontakte im Netz als entspannter als Live-Gespräche in einem Lernzentrum – vielleicht weil die angespannte Atmosphäre in einer Gruppe, in der die anderen zuschauen, wie jemand sich verhält, sich nicht einstellen kann? Literatur Melanie Brucks and Jonathan Levav (2019): Technology-Mediated Innovation, in NA – Advances in Consumer Research Volume 47, eds. Rajesh Bagchi, Lauren Block, and Leonard Lee, Duluth, MN: Association for Consumer Research, Pages: 45–50. Langewitz et al.: Doctor-patient-communication during the Corona-Crisis – web-based interactions and structured feedback from standardized patients at the University of Basel and the LMU Munich. GMS J Med Educ. 2021; 38(4):Doc80. DOI: 10.3205/zma001477.

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