Leitfaden Kommunikation

25 Grundlagen der Kommunikation Ärztekammer Nordrhein sein, unglaubwürdig ist. Das Gleiche gilt für jemanden, der die Rolle eines Arztes oder einer Ärztin spielt, ohne über eine ärztliche Identität zu verfügen. Sie zu entwickeln, ist Teil des verborgenen, impliziten Curriculums im Medizinstudium und wahrscheinlich auch der ersten Jahre der Weiterbildung zur Fachärztin bzw. zum Facharzt. Wenn Studierende und junge Kolleginnen und Kollegen eine ärztliche Identität entwickeln, ist sie oft zunächst eher rigide und lässt nur wenig Spielraum für unterschiedliche Ausprägungen. Für das, was da im Entstehen begriffen ist, ist der Begriff der Fassung hilfreich, der in der Neuen Phänomenologie mit dem Bonmot erklärt wird: „Fassung ist das, was ein Mensch verliert, wenn er die Fassung verliert.“ Die Anwendung dieser Definition im Alltag wird sofort zeigen, dass es unterschiedliche Herausforderungen an die Fassung einer Person gibt: Was jemanden als Vater, Tochter, Partnerin oder Partner herausfordert und an den Rand der Fassung bringen kann, ist für die Fachperson sozusagen Berufsrisiko. Daraus folgt, dass eine Person mehrere Fassungen hat, unter anderem eine berufliche; damit ist die Kritik an Kommunikationstrainings, sie würden die eigene Authentizität untergraben, obsolet: Die Fassung als junge Frau, Tochter, Freundin etc. steht gar nicht zur Debatte, sondern es geht um das Arbeiten an einer professionellen Fassung, die noch nicht ausgebildet ist. Wünschenswert ist sicher, dass bestimmte Merkmale einer Person (z. B. wie flink, wie begeisterungsfähig, beharrlich, eher pessimistisch jemand ist) in unterschiedlichen Fassungen nicht ganz verloren gehen. So etwas wie der ‚Kern einer Person‘ schimmert durch die verschiedenen Fassungen hindurch. Die ärztliche Identität ist in diesem Verständnis also eine spezielle Form der Fassung, sie kann unterschiedlich rigide sein und ist nicht dann besonders professionell, wenn sie besonders flexibel ist. Eine Person mit sehr flexibler Fassung ist womöglich zu sehr beeindruckt vom Leid eines Gegenübers und hat Mühe, einen klaren Kopf zu bewahren und z. B. einen invasiven Eingriff in Ruhe kompetent durchzuführen. Eine Person mit sehr rigider Fassung wirkt häufig kaltherzig, unempathisch („Der/die hat mich behandelt wie ein Stück Holz“). Die große Kunst besteht darin, die eigene professionelle Fassung in ihrer Flexibilität variieren zu können; wie schwierig das sein kann, wird deutlich, wenn eine Fachperson aus dem Operationssaal in die Sprechstunde wechselt und dann von der eher rigiden Fassung auf eine eher flexible Fassung

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