Leitfaden Kommunikation

44 Ärztekammer Nordrhein Heranführen an spezifische Gesprächssituationen 3. Heranführen an spezifische Gesprächssituationen 3.1. Erstgespräch Der erste Kontakt mit einem anderen Menschen birgt die große Chance, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Mit diesem Begriff ist das umfassende und im Einzelnen nicht zu erklärende Phänomen angesprochen, dass wir oft einen eindeutigen Eindruck vom Gegenüber haben, der weit über das hinaus geht, was wir an einzelnen Fakten von ihm wissen. Ein typisches klinisches Anwendungsbeispiel wird vor allem pädiatrischen Fachkräften vertraut sein: Dass ein Kind krank ist, kann spürbar sein, ohne dass sich dieser Eindruck so einfach wie in der Erwachsenenmedizin mit einem Laborbefund oder einem bildgebenden Verfahren verifizieren ließe. In der tiefenpsychologischen Psychotherapie wird diesem ersten Eindruck große diagnostische Bedeutung beigemessen: Es gilt, dass im ersten Eindruck atmosphärisch und szenisch wie in der Ouvertüre eines Musikstücks bereits im Kleinen alle wichtigen Themen des Patienten / der Patientin dargestellt sind. Hierfür ist es aber notwendig, dass sich dieser erste Eindruck entfalten kann und dem Patienten / der Patientin zu Beginn des Gesprächs möglichst viel Raum gegeben wird. Im idealtypischen Erstgespräch lassen sich zwei grundlegend verschiedene Modi unterscheiden: • Phasen, in denen Ärztinnen und Ärzte nicht wissen, worum es geht, in denen sie keine Hypothesen zur Art des Problems formulieren können, geschweige denn zur weiterführenden Diagnostik • Phasen, in denen sie Hypothesen haben, die sie durch gezieltes Explorieren überprüfen Um Hypothesen zu generieren, sind gezielte Fragen sinnlos, denn das Ziel ist nicht bekannt. Hier ist es angebracht, dem Patienten / der Patientin einen Erzählraum zu öffnen, zum Beispiel mit der unter 2.2. beschriebenen Technik WWSZ. Um Hypothesen zu überprüfen, sind gezielte Fragen geeignet, die der Präzision oder Unschärfe der Arbeitshypothese angemessen sein sollten. Beispiele: • Die Frage „Haben Sie in letzter Zeit vermehrt Probleme beim Atmen gehabt?“ zielt eher auf eine sich verschlechternde Herz- oder Lungenfunktion. • Die Frage „Haben Sie denn die Wassertabletten in letzter Zeit nicht mehr so regelmäßig genommen?“ zielt punktgenau auf vermutete Probleme mit der Therapietreue.

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