Leitfaden Kommunikation

68 sprechendes Gespräch genügend Zeit reservieren. Die Patientin bzw. der Patient muss die Gelegenheit haben, sich zu erklären, die Ärztin bzw. der Arzt muss die Möglichkeit haben, Rückfragen zu stellen und weitere Schritte anzubieten. Die Diagnostik und Einteilung der Schwere des Alkoholkonsums verfolgen zwei Ziele: zum einen die Exploration des aktuellen Status und zum anderen die Erfassung der Stufen der Bereitschaft (Motivation), ein allfälliges Alkoholproblem zum Thema zu machen und sich gegebenenfalls auf einen Veränderungsprozess einzulassen (DiClemente und Prochaska, 1998). Die Ärztin oder der Arzt kann ein Gespräch so einleiten: „Sie haben mir einige wichtige Informationen zu Ihrem Gesundheitsverhalten wie körperliche Aktivitäten, Trink- und Rauchgewohnheiten gegeben. Das ist nicht selbstverständlich, vielen Dank! Ich möchte mit Ihnen kurz darüber reden. Einverstanden?“ Für das ärztliche Gespräch in der Praxis eignen sich am ehesten Kurzinterventionen nach den Gesprächsprinzipien des „motivational interviewing“ (siehe Rollnick et al., 1999). Solche Kurzinterventionen helfen der Ärztin oder dem Arzt herauszufinden, inwieweit Patientinnen und Patienten motiviert sind, ihr Verhalten zu ändern, und wie sie dabei am besten unterstützt werden könnten. Im Gegensatz zu einer paternalistischen, unter Umständen als bevormundend erlebten ärztlichen Kommunikation, die Patientinnen und Patienten quasi vorschreibt, was sie zu tun haben, setzt das „motivational interviewing“ (MI) auf die Aktivierung der Ressourcen der Patientinnen und Patienten. Zu den Gesprächsprinzipien des MI gehört die Annahme, dass die Patientin oder der Patient grundsätzlich zu einer angemessenen Verhaltensänderung in der Lage ist (self-efficacy) und hierfür selbst die Verantwortung (responsibility) trägt. Hierbei können Ärztinnen und Ärzte Veränderungsprozesse anstoßen, indem sie – ohne die Patientin oder den Patienten entlarven oder überführen zu wollen – medizinische Befunde, zum Beispiel Laborwerte, in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum stellen (Feedback) und die betroffene Person zum Nachdenken über Schlussfolgerungen aus solchen Befunden für ihren Alkoholkonsum anregen. Die Ärztin oder der Arzt kennt die regionalen Hilfsangebote und kann ihre Besonderheiten erläutern. Das Gespräch ist getragen von einem einfühlenden Verständnis (empathy) für die Lebenslage der Patientin oder des Patienten und die Schwierigkeiten einer Verhaltensänderung. Letztlich bestimmt jedoch die betroffene Person selbst, wie viel und welche Verhaltensänderungen sie angehen möchte. Der Arzt bzw. die Ärztin prüft hierbei, in welchem Veränderungsstadium („Stages of Change“) sich die betroffene Person befindet, was wiederum die Ziele des Gespräches bestimmt und unnötige Interventionen, zum Beispiel in Hinblick auf die aktuelle Aufnahme einer abstinenzorientierten Behandlung, vermeidet, wenn der Patient bzw. die Patientin im Moment dafür gar nicht zugänglich ist. Heranführen an spezifische Gesprächssituationen Ärztekammer Nordrhein

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=