CORTISSIMO 09

Beruf: das Erschaffen einer Atmosphäre, dass man Andeutungen und Assoziationen aufrufen kann, ohne dass man sie ganz klar be- nennen muss. Ein anderes Beispiel sind meine Illustrationen für das Buch „Träum schön “ . Da habe ich eine Bildsprache entwickelt, die sich anlehnt an die etwas unheimliche Atmosphäre aus Hitch- cock-Filmen und das Absurde aus der surrealistischen Malerei. In diesem Stil habe ich dann alle Situationen und Träume abgebildet, die mir für den Text interessant erschienen. Wenn man Ihr Portfolio betrachtet, fällt einem die breite Mischung an Stilen auf: Malerei und Zeichnung, aber eben auch viel Collage oder Collage-Elemente, gemischt mit Zeichnung oder Malerei. Es ist augenscheinlich alles analog entstanden und nicht rein digital am Computer. Es klingt klischeehaft, aber ich schätze den sinnlichen Zugang zum Papier, seine haptischen Eigenschaften, seinen Variantenreichtum: Papier ist dick, dünn, transparent, halbtransparent, glatt, rau, glän- zend, in allen Farben vorhanden, unbedruckt und bedruckt. Die Kombinations- und damit Wirkungsmöglichkeiten von Papier sind grenzenlos. Wenn ich Collage-Workshops für Studierende gebe, sage ich ihnen deshalb auch immer, dass sie alles sammeln sollen, alles. Die Innenseite einer Schokokussverpackung glänzt anders als Glanzpapier, das man im Bastelladen kaufen kann. Mir gefällt natürlich auch der Upcycling-Gedanke. Papier hat eine Geschichte, es verblasst mit der Zeit, wird brüchig. Dieses Le- bendige kommt mir sehr entgegen. Papier ist ein ehrliches Materi- al. Wenn ich für eine Illustration altes Papier verwende, das an den Rändern schon leicht verblasst ist, wirkt das echt und ungeschönt. Ich kombiniere gerne Neues und Altes und zeige: Es gibt nicht nur glossy und digital, sondern das Material hat im Gegenteil eine wider- ständige Kraft, eine Art Lebenserfahrung, die Teil des Bildes wird. Ir- gendwie hat es schon mal was erlebt, so ein Papier. Hemmt zeitlicher Druck die Kreativität? Oder fördert er sie sogar? Das ist Übungssache. Direkt nach dem Studium hat es mich gestresst, unter Zeitdruck zu arbeiten. Die Frage für mich ist weni- ger die, wie viel Zeit ich brauche, sondern wie viel Zeit ich habe. Denn von der Antwort hängt ab, welchen Weg ich gehe. Die Zeit definiert den Aufwand – und auch das Honorar. Wenn ich nur drei Tage habe, erstelle ich dem Kunden heute eine Skizze, die er bis morgen abgesprochen haben muss, sodass ich mit der Umsetzung anfangen kann. Ich gehe dann weniger Umwege und probiere nichts aus – das ist nicht unbedingt negativ, aber durchs Ausprobieren kann man eben auf tolle Ergebnisse stoßen. Wird zwischendurch viel mit den Auftraggebern diskutiert? Immerhin sehen sehr viele Menschen Ihre Illustrationen, zum Beispiel bei einer Veröffentlichung in einer überregionalen Zeitung. Am meisten Diskussionen gibt es, wenn ich Personen abbilde. Ich meine damit keine Porträts – bei denen geht es natürlich darum, die Porträtierten erkennbar wiederzugeben. Bei Personendarstellun- gen gibt es einfach generell viel mehr zu diskutieren, als wenn man beispielsweise Gemüse zeichnet, weil so viele subtile Informationen mitgegeben werden: Sieht die Person streng aus, lacht sie, was hat sie für eine Frisur, für Kleidung, das alles nimmt Einfluss auf die Wir- kung und die Geschichte, die man erzählt. Die Diskussion mit den Auftraggebern ist aber keineswegs lästig, sondern wichtig, weil ich natürlich das Richtige treffen möchte. Der Auftraggeber ist immer der erste, der mein Bild sieht, da ist es für mich nützlich zu wissen, welche Assoziationen das Bild bei ihm auf- ruft. Zuerst aber geht es darum, dass ich zügig meine eigene Vision eines Bildes entwickle – danach kann man dann darüber reden, eine Person freundlicher oder femininer darzustellen. Apropos femininer – passen Sie Bildsprache und Stil an Männer oder Frauen an? Illustrieren Sie anders für Männer- als für Frauenmagazine? Gute Frage. Es gibt ja so eine als feminin wahrgenommene Bildspra- che bei Illustrationen: Aquarell und Tinte, Federschwung, der sich Legen, schieben, kombinieren: Die Komposition eines Bildes entsteht unter anderem durch Ausprobieren bzw. Basteln. „Zu frühes Feedback stört den kreativen Prozess.“ 12 CORTISSIMO 9

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