CORTISSIMO 09

Wobei die Plakate für Spiekermann letztlich nur Mittel zum Zweck sind. „Eigentlich will ich nur experimentieren. Dafür braucht man aber viel Geld. Und um das Geld reinzukriegen, müssen wir ein bisschen was verkaufen. Jetzt bin ich in dem Teufelskreislauf, dass wir vor lauter Verkaufen und lauter Kommerzsachen nicht mehr zum Experimentieren kommen.“ Experimentieren, das heißt zum Bei- spiel: eigene Holzschriften für den Druck fräsen lassen oder Tests mit 3-D-Druck. „Das probieren wir so ein bisschen, das ist aber noch zu teuer. Da kostet ein Buchstabe 5 Euro. Lächerlich. Aus Holz kostet er zwei.“ Der ewige Vorteil von Print Die Cortissimo in der Hand, verrät Spiekermann: „Wir drucken übri- gens auch gerade eine Zeitung, aber im Buchdruck.“ Er spricht vom Krautreporter, dem Online-Magazin, das 2014 mittels Crowdfunding an den Start ging, um unabhängigen Journalismus ohne Werbung zu bieten. „Wir machen, vulgär gesagt, Plastikplatten, und drucken sie aber dann in Adlershof auf dieser Hochdruckmaschine, der Johannesberger von 1924.“ Auf der wurde, mutmaßlich, sogar die Weltbühne gedruckt, die einst Kurt Tucholsky und nach ihm Carl von Ossietzky herausgegeben hatte. Anders als früher werden die gestalteten Seiten heute vom Computer direkt an den Belichter geschickt, der mit Laserstrahlen Polymerplatten bebildert, die mit Wasser ausgewaschen und anschließend magnetisch in der histori- schen Maschine fixiert werden. Warum der ganze Aufwand für ein genuin digitales Online-Maga- zin? „Es geht ums Haptische und auch so ein bisschen ums Prinzip. Was gedruckt auf dem Tisch rumliegt, gucke ich mir wieder an. Arti- kel, die man auf der Festplatte oder im Browser gebookmarkt hat, die findet man doch nie wieder! Mir geht das jedenfalls so. Das ist der Vorteil von Print: Print ist physisch.“ Man könne es getrost nach Hause tragen, zitiert Spiekermann Goethes Faust. So wie Bücher, von denen hier einige Selbstgedruckte in einem Schauregal präsentiert werden. „Wenn es noch Bücher gibt in Zukunft, dann müssen das Objekte sein. Dinge, die man gerne anfasst“, weiß Spiekermann. Von billigen Taschenbüchern hält er wenig. Mit dem Suhrkamp Verlag und dem Designkollektiv Süpergrüp hat er 2017 die Edition Suhrkamp Letterpress verwirklicht: Sieben wichtige Bücher des 20. Jahrhunderts wurden neu gestaltet und gesetzt und anschließend von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder gedruckt. „Ein Versuch des Verlages, mit Buchhändlern und Lesern ins Gespräch zu kommen“, erklärt Spiekermann. Von Verlagen und Druckereien erwartet er, dass sie ein stärkeres Bewusstsein dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem fertigen Buch steckt. „Ein Autor schreibt ja kein Buch, sondern einen Text. Das weiß aber kaum ein Leser: Am Buch sind Kaufmann, Lek- tor, Korrektor, Grafiker, Setzer und Drucker beteiligt.“ Deren Arbeit müsse man stärker wertschätzen. An einer Schwelle Als wir am Ende der Führung durch die Werkstatträume vor der historischen Druckpresse „Heidelberger Tiegel“ stehen („Der macht schön viel Krach. Eine coole Kiste.“), nimmt Erik Spiekermann den Faden zum Ursprung von p98a noch einmal auf. „Angefangen habe ich das Ganze hier, weil ich vor inzwischen 40 Jahren eine Drucke- rei hatte, die mir abgebrannt ist. Vielleicht ist das ein bisschen so, wie das manche Leute machen, die später im Leben wieder das tun, was sie früher gelernt haben. Das gibt’s ja. Ein bisschen Nostalgie ist sicherlich dabei, ein bisschen auch der Wunsch, das damals nicht Beendete jetzt zu beenden, sozusagen. Aber es ist durchaus auch das Bewusstsein, dass wir im Augenblick an einer Schwelle stehen.“ www.p98a.com Erik Spiekermann, Jahrgang 1947, ist Gestalter, Schriftentwerfer und Autor. Er gründete die Designagenturen MetaDesign und Edenspiekermann. Spiekermann ist sowohl im Digitalen wie im Analogen zu Hause: Seinen ersten Macintosh kaufte er 1986, außerdem war er 1989 Mitgründer von FontShop International, dem weltweit größten, herstellerunabhängigen Versandhaus für digitale Schriften. Seine Twitter-Biografie besteht aus nur einem Wort: Typomaniac. In Zusammenarbeit mit Erik Spiekermann und der Süpergrüp entstand 2017 die Edition Suhrkamp Letterpress: Sieben Werke des 20. Jahrhunderts wurden neu gestaltet, gesetzt und von digital belichteten Platten im Buchdruckverfahren auf einem Original Heidelberger Zylinder gedruckt. 19 CORTISSIMO 9

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