CORTISSIMO 09

Was wäre die Welt ohne Menschen mit Visionen? Dunkler, zum Bei- spiel. Ohne seine Erfindungskraft und sein vorausschauendes Talent hätte Thomas Alva Edison die Glühlampe kaum so weit verbessert, dass sie in Serie hätte gehen können. Sie erlaubt es uns beispiels- weise, nachts einen Roman zu verschlingen, ohne uns um die bren- nende Kerze auf dem Nachttisch zu sorgen. Der Roman wiederum hätte nicht entstehen können ohne eine sehr viel ältere Erfindung: die des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Anders als im Fall der Glühlampe, die im späten 19. Jahrhundert mehr oder weniger gleichzeitig an mehreren Orten auf der Welt entwickelt wurde, ist die Erfindung des Massendrucks im frühen 15. Jahrhundert aus- schließlich einer Person zuzuschreiben: Johannes Gutenberg. Die Revolution: Druck mit beweglichen Lettern Der als Johannes Gensfleisch geborene Mainzer ist der Prototyp eines Visionärs. Zu einer Zeit, in der Texte nur aufwendig und lang- sam mit der Hand vervielfältigt werden konnten, entwickelte er nicht nur die Idee des seriellen Massendrucks, er setzte sie auch in allen Bereichen technisch um: Gutenberg erfand alles, was zum Drucken nötig war, vom Handgerät zum Gießen der Bleilettern bis zur Druckfarbe. Ob er ahnte, welchen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss seine Erfindung auf die Welt nehmen würde? Wir wissen es nicht. Es gibt keine Tagebuchaufzeichnungen, nicht einmal ein zeitgenössisches Porträt des Mannes. Die Bilder, die unsere Vorstellung seines Aussehens geprägt haben, wurden erst lange nach seinem Tod gemalt. Der Buchdruck hat die Welt revolutioniert, hat menschliches Wissen gespeichert und verfügbar gemacht. Plötzlich konnten Texte schnell, in großen Mengen und günstig vervielfältigt werden. Gutenbergs erste Drucke waren Ablassbriefe, Kalender und Schul- grammatiken. Danach machte er sich an seine größte Aufgabe: die Bibel mit weit mehr als einer Million Buchstaben. Sein Werk verän- derte das Christentum. Keine Reformation ohne Gutenbergs Erfin- dung, da sind sich die Historiker einig. Und diese verbreitete sich schnell: Schon 30 Jahre nach Gutenbergs Bibeldruck gab es Druck- werkstätten in rund 250 Städten Europas. 500 Jahre lang blieb die von ihm entwickelte Technik imWesentlichen unverändert. Erst die Digitalisierung stellte alles auf den Kopf. N B E E G R 7 CORTISSIMO 9

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