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Wie fühlt sich der Moment an? Eines dieser einfachen Mittel sind die selbstgebauten gelben Bilder­ rahmen, mit denen Chiara Kleinke beliebte Punkte (bzw. Foto­ motive) entlang der Elbe aufsuchte, die ganz eigene Erlebnisquali­ täten beinhalten bzw. „prototypische haptische Ortserfahrungen“ bieten. Clever platziert, lenkten die gelben Rahmen den Blick auf bislang Nebensächliches, machten etwas Alltägliches, etwa das Efeu am Altonaer Balkon oder den Sand des Elbstrands, zu etwas Besonderem: indem sie dazu einluden, das Alltägliche durch den Rahmen neu zu sehen und zu „be-greifen“, die Zweidimensiona­ lität des Bildes mit der Hand zu durchbrechen und die Objekte dahinter sensorisch und motorisch zu erforschen. Wie kam die Studentin auf das Thema Haptik? Ein Anlass war eine Erfahrung, die nicht nur junge Menschen wie sie selbst, son- dern alle Menschen mit einem Smartphone machen dürften: „Augenblicke der Ruhe und Schönheit nicht mehr bewusst erle- ben zu können“, wie Chiara Kleinke es formuliert. Zu eingenom- men ist der Mensch von den audiovisuellen Reizen seiner medialen Umwelt: „Während sich der Mensch im digitalen Zeitalter immer öfter mit Benutzeroberflächen auseinandersetzt, bleiben die hap- tischen Erlebnismöglichkeiten begrenzt.“ Elbstrand, Altonaer Balkon, Fischmarkt, Landungsbrücken — vielen dürften die Hamburger Wahrzeichen entlang der Elbe ein Begriff sein. Wer sie nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kennt sie zu- mindest von Postkarten oder Fotos. Doch was passiert, wenn man den visuellen Eindruck eines bekannten Ortes für den Moment vergisst und sich stattdessen auf seine haptischen Merkmale kon- zentriert? Wie fühlt sich Hamburg an? Chiara Kleinke weiß es. Anfang 2019 erwarb die gebürtige Hessin den Bachelor an der University of Applied Sciences Europe in Ham- burg. Im ersten Teil ihrer Abschlussarbeit — „Gefühlte Realitäten“ — beschäftigt sie sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen und der Bedeutung des Tastsinns sowie der Möglichkeit, Menschen mit haptisch konzipiertem Design auf persönlicher Ebene zu erreichen. Die erworbenen Erkenntnisse bilden die Basis für den zweiten Teil: „Touchpoints“. Namensgebender Mittelpunkt des Projekts ist eine Erlebnisroute mit „Berührungspunkten“ entlang der Elbe: Die Route soll mit einfachen Mitteln dazu verführen, die Wahrnehmung nicht auf die Elbe, den Klang des Wassers oder seinen Geruch zu fokussieren, sondern auf haptische Elemente. Touchpoints sind, wörtlich übersetzt, „Berührungspunkte“. Im Marketing beschreibt der Begriff den Kontaktpunkt von Kunde und Marke. Das raffiniert gefaltete Poster führt Interessierte in das Thema Haptik und bewusstes Erleben ein und stellt zudem die Routenpunkte der haptischen Erlebnistour vor. „Die Brücke zurück in den Moment können wir durch unsere Hände finden.“ Chiara Kleinke 13 CORTISSIMO 10

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