CORTISSIMO 11
CORTISSIMO 11 Der Filmscore, den die KI -Software AIVA kom- poniert („The Artificial Intelligence composing emotional soundtrack music“) klingt so (un)ver- wechselbar wie jede zweite orchestrale Film- musik. Und: Es gibt „ KI -Kunst“ — und die wird sogar teuer gehandelt. Im Auktionshaus Chris- tie’s wurde im Oktober 2018 das Porträt „Ed- mond de Belamy“ für über 400.000 US -Dollar versteigert. Die Malerin: eine Künstliche Intelli- genz. Dahinter steckt das Künstlerkollektiv Ob- vious, das die KI vorher mit über 15.000 Porträts gefüttert hatte. Noch dienen solche Extremprodukte der Di- gitalisierung vorrangig als aufsehenerregende Medieninszenierungen. Sie können aber dazu führen, dass wir die Bedeutung von Autorschaft und die Frage, was Kreativität ausmacht, neu dis- kutieren und dabei vielleicht unser Verständ- nis erweitern. Um aus dem Media Innovation Report zu zitieren: 77 Prozent der Deutschen wünschen sich, „dass KI -Anwendungen als sol- che erkennbar bleiben sollten“. Es scheint einen Unterschied zu machen, wie wir einen Text (oder Musik) wahrnehmen und bewerten, wenn wir wissen, dass eine KI ihn erstellt hat. Bei Wetter- bericht und Verkehrsmeldung macht es uns we- niger aus als bei politischen Berichten, Büchern oder Musik, lässt sich der Studie entnehmen. Über die Gründe kann man trefflich spekulieren. Die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Me- dienbranche sind, wie dargestellt, zahlreich — noch ersetzt KI aber keine Arbeitsplätze in der Medienbranche, sie verändert die Arbeit nur. Vieles wird heute automatisiert, wofür die Zeit beispielsweise einer Redakteurin zu wertvoll ist. Wie sieht es aber mit Künstlicher Intelligenz aus, wenn man von der Zeitungsredaktion in die Zei- tungsdruckerei schaut? Auch hier wurden viele Prozessschritte im Zuge der Digitalisierung au- tomatisiert. Etwa mithilfe Künstlicher Intelligenz? Udo Paas, Prozessmanager Digitale Vorstufe in der Druckerei Konstanz, rückt übertriebene Er- wartungen gerade: „Künstliche Intelligenz wird bei uns im Bereich Zeitungsdruck derzeit nicht eingesetzt“, stellt Paas klar, „zumindest keine Software, von der ich der Ansicht bin, dass es sich um eine Künstliche Intelligenz handelt.“ Allerdings laufen in Konstanz viele Prozess- schritte mittlerweile so vollautomatisch ab, dass man dahinter durchaus eine KI vermuten könnte. Beispiel SÜDKURIER : Die Tageszeitung wird von der Druckerei Konstanz im wasserlosen Rollen- offsetdruck auf der Cortina produziert — „im Idealfall zu einhundert Prozent automatisch“, so Paas. Der Automatisierungsprozess beginnt schon im Verlag mit dem Redaktionssystem, in das die Redakteurinnen und Redakteure Texte und Bilder einfügen, und läuft in der Druckerei weiter. So geschieht die Seitenausgabe, also das Prüfen und Belichten der fertig erstellten Sei- ten auf die Druckplatte, in einem vollautoma- tischen Workflow. Anders wäre es auch kaum möglich: Die Druckdaten durchlaufen so viele Schritte, dass sie sich zeitlich und personell nicht mehr von Hand regeln und bearbeiten ließen. Sie werden im sogenannten Preflighting auto- matisch analysiert und geprüft. Und auch die Bildoptimierung läuft ohne menschliches Zutun ab — die eingesetzte Software analy- siert die Bilder, verbessert beispielsweise Kontraste und Hauttöne und schafft so eine konstante Qualität. Ganz ohne KI — noch. Die Entwicklung in anderen Produktionsbran- chen in Betracht ziehend, wird die Künstliche Intelligenz ihr Potenzial zukünftig auch in Drucke- reien verstärkt unter Beweis stellen und zu bislang ungeahnten Services führen. Vielleicht feilt eines der 164 deutschen KI -Start-ups genau in diesem Moment schon an der nächsten großen Idee, die die Printproduktion revolutionieren wird. Der Ak- zeptanz von KI wird es sicherlich nutzen. Weiterführende Links Wissenschaftsjahr 2019: www.wissenschaftsjahr.de Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz: www.dfki.de Ist es wichtig, dass ein Mensch den Wetterbericht schreibt? Wird KI die Druckbranche revolutionieren? Quelle: nextMedia.Hamburg recht schnell an KI . 83 Prozent der Deutschen — so eine weitere Studie — können sich vorstellen, mit KI zu kommunizieren — eine Steigerung um satte 25 Prozentpunkte innerhalb eines Jahres. Und: Nur 39 Prozent können einen Text, der von einer KI stammt, von einem Text unterscheiden, der von einemMenschen stammt (Quelle: Media Innovation Report 2019 ). Allerdings waren die zwei verglichenen Texte tatsächlich nur Kurzmel- dungen — eine lesenswerte Feature-Story oder einen Essay zu schreiben, gelingt einer KI nicht. Und wird es wohl auch niemals gelingen. Die Ludwig-Maximilians-Universität München be- fragte 2019 mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu den Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Prof. Dr. Markus Paulus, Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie II , betont, dass die menschliche Intelligenz viel mehr umfasse als In- selkompetenzen, die bei Robotern simuliert wer- den können. „Unsere begrifflichen Vorstellungen und Konzepte sind historisch gewachsen, sie sind Teil einer sozialen Lebensform. Nur ein Wesen, das in dieser Kultur aufwächst, kann sie wirklich verstehen“ (Quelle: LMU München ). Außerdem entwickele sich Empathie nicht, wenn man, wie Maschinen, nicht nachfühlen könne. „Da ist ein fundamentaler Unterschied zwischen Roboter und Mensch, sodass Künstliche Intelligenz nie- mals menschliche Fähigkeiten erreichen kann.“ Und die braucht es nun mal, um beispielsweise einen Essay über die Bedeutung von Romantik in Zeiten des Online-Datings zu schreiben. Trotzdem dringt KI längst auch in den menschlichen Bereich der Kreativität vor: Es gibt Musik, die von KI geschrieben wird und „am Selbstverständnis einer ganzen Kreativbranche“ rüttelt („ KI will rock you!“ titelte 2017 die ZEIT ). „Edmond de Belamy“, 2018 Signiert wurde das Werk mit einer handgeschriebenen Programmcode-Zeile Zitierte und verarbeitete Quellen: LMU München, nextMedia.Hamburg, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Cloud-Blog Arvato, Zukunftsinstitut, Wissenschaftsjahr 2019, Lernende Systeme — die Plattform für Künstliche Intelligenz, ZEIT online, Börsenblatt 06 Wie lernt eine KI? „Machine Learning“ lässt sich in drei Lernmodelle unterteilen: Un-supervised Learning Beim „unüberwachten Lernen“ lernt eine Maschine mittels KI , vorab nicht bekannte Zusammenhänge, sich wiederholende Muster zwischen Objekten zu erkennen und selbst eine Struktur für die ent- stehenden Daten anzulegen. Beispiele sind unter anderem die Spracherkennung oder Sprache-zu- Text-Transkription. Reinforcement Learning Beim „bestärkenden Lernen“ lernt eine Maschine mittels KI , in einer bestimmten Umgebung definier- te Aktionen durchzuführen, sobald ein genau fest- gelegter Zustand eintritt. Die Umgebung reagiert auf diese Aktion mit einer positiven („Belohnung“) oder negativen Bewertung. KI merkt sich diese und weiß, sobald der gleiche Zustand wieder eintritt, welche Handlung die richtige ist. Nach diesem Trial-and-Error-Prinzip verfeinert es sein Verhalten und gibt immer bessere Ergebnisse aus. Dieses Mo- dell wird zum Beispiel für Empfehlungen von Filmen oder Produkten auf Netflix und Amazon eingesetzt. Supervised Learning Beim „überwachten Lernen“ lernt eine Maschine mittels KI , Eigenschaften in Objekten wiederzuer- kennen und zu kategorisieren. So lassen sich zum Beispiel Bilder, Texte und Videos verschlagworten.
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