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elbst würde sich der zurückhal-
tende Tscheche nie als ‚Muster-
Profi‘ bezeichnen. „Ein längeres
Interview? Mit mir? Ich bin
doch gar nicht so interessant.“
So entgegnete Theodor Gebre Selassie die
Bitte von WERDER MAGAZIN und WER-
DER.TV um einen Interview-Termin – zu-
nächst mit ernster Miene, erst einige Sekun-
den später mit einem verschmitzten Lächeln.
Einspruch!“
kann da nur die entschiedene
Antwort lauten. Schließlich blickt Werders
neuer Rechtsverteidiger nicht nur auf eine
nicht alltägliche familiäre Herkunft, son-
dern auch auf einen keinesfalls geradlinigen
Karriereweg im Fußball zurück. Dieser hat
ihn nun nach Bremen geführt. Und darüber
ist Theodor Gebre Selassie nach eigenem
Bekunden sehr glücklich. Als „der FC Li-
verpool Deutschlands“ habe man ihm den
SV Werder vorher beschrieben, verrät der
25-
Jährige. Bemüht worden sei der Vergleich,
als es darum ging, die ruhige und familiäre
Atmosphäre beim SV Werder zu beschrei-
ben. „Dieses Familiäre gibt es wirklich“,
sagt ‚Theo’ nach mittlerweile vier Monaten
bei den Grün-Weißen. Und sein strahlendes
Lachen, das diesen Satz begleitet, zeigt, dass
dem Nationalspieler genau diese Atmosphä-
re im Verein dabei hilft, sich schnell an der
Weser einzuleben.
Auch das herbstliche Grau,
das sich mittler-
weile über die Hansestadt gelegt hat, kann
Thodor Gebre Selassie nicht die gute Lau-
ne verderben. „Ich gehe gerne mit meiner
Freundin und unserem Hund spazieren“,
verrät er. „Das ist sehr entspannend. Dabei
kann ich gut vom Fußball abschalten. Ich
mag es, auch mal ruhige und leise Momente
im Leben zu haben.“ Fürs Interview macht
Theo’ dann aber doch eine Ausnahme und
spricht über den Wechsel in die Bundesliga,
seine Familie und deutsches Kino.
WERDER MAGAZIN:
Theo, wie gut hast du
dich mittlerweile an die Bundesliga gewöhnt?
THEODOR GEBRE SELASSIE:
Es wird sicher
noch einige Zeit dauern, bis dieser Prozess
komplett abgeschlossen ist. Das Spiel hier ist
viel körperlicher und schneller als in Tsche-
chien. Das Niveau der Spieler ist durchweg
höher. Sich hier durchzusetzen, ist viel
schwerer für mich als in Tschechien. Aber
ich bin hierher gekommen, um zu beweisen,
dass ich auch in einer großen europäischen
Liga mithalten kann. Und bisher gefällt es
mir in der Bundesliga sehr gut. Vor allem
ganz am Anfang war es nicht einfach für
mich. Ein neues Land, neue Leute – alles
war neu für mich in Bremen. Mittlerweile
habe ich mich gut eingelebt. Und wenn wir
gut spielen und gewinnen, dann ist es natür-
lich noch einfacher, sich wohl zu fühlen.
Gleich in deinem ersten Bundesliga-Spiel in
Dortmund ist dir ein Tor gelungen. Ein beson-
deres Erlebnis?
Ich schieße nicht so oft Tore, also war es et-
was Besonderes. Aber wir haben das Spiel
verloren, und es hat nichts genützt, dass ich
getroffen habe. Allerdings war die Atmo-
sphäre in Dortmund wunderbar, sehr be-
eindruckend. Ein toller Tag, nur die Punkte
fehlten.
Hat dir dieses Tor Selbstvertrauen gegeben?
Ich würde nicht sagen, dass es das Tor war.
Jedes gute Training und jedes gute Spiel stei-
gern mein Selbstvertrauen und den Glauben
daran, dass ich es in der Bundesliga schaffen
kann.
Du hast deine fußballerischen Fähigkeiten
recht spät entwickelt...
Ich habe schon öfter gehört, dass das so
wahrgenommen wird. Es stimmt, dass ich
relativ spät begonnen habe, auf höchstem Ni-
veau zu spielen. Mit 19 habe ich in der zwei-
ten Mannschaft von Jihlava gespielt – in der
dritten Liga. Das war nur 30 Kilometer von
meiner Heimatstadt Trebic entfernt. Und es
gab dort auch keine Profi-Mannschaft in der
Nähe, die in der ersten Liga spielte. Manch-
mal ist der Weg in den Profifußball nicht so
einfach. Nicht jeder Spieler schafft es direkt
an die Spitze. Ich musste Schritt für Schritt
vorangehen. Nach der Schule habe ich daher
zunächst ein Studium begonnen.
Was hast du studiert?
Es war ein Studium an der gesundheitswis-
senschaftlichen Fakultät und beschäftigte
sich mit Katastrophenschutz, der Hilfe für
Menschen nach Erdbeben oder ähnlichem.
Ich habe meine Zukunft damals noch nicht
unbedingt im Profifußball gesehen.
Wie lange hast du studiert?
Drei Monate nach Beginn des Studiums
habe ich bei Jihlava den Sprung ins A-Team
geschafft, in die zweite Liga. Ich bekam ei-
nen Profi-Vertrag, hatte jeden Tag Training
mindestens einmal. Das hat zeitlich nicht
mehr zum Studium gepasst. Also habe ich es
beendet.
Haben dich deine Eltern bei diesem Schritt un-
terstützt?
Meine Mutter arbeitet als Lehrerin und woll-
te damals, dass ich weiter studiere. Zusam-
men mit meinem Vater, der Arzt ist, hat sie
schon immer sehr hohe Ansprüche und Er-
wartungen an meine Ausbildung gehabt. Ich
glaube aber, dass sie heute sehr zufrieden
damit ist, was ich mache. Und dass mittler-
weile auch sie sieht, dass ich eine Zukunft im
Fußball habe
(
lacht)
.
Dein Vater stammt aus Äthiopien. Warum kam
er nach Tschechien?
Er hat in Tschechien Medizin studiert, da-
bei schon an der Universität meine Mutter
getroffen. Nach dem Studium kam ich zur
Welt. Mein Vater ging dann noch einmal
für vier Jahre zurück nach Äthiopien. Es
herrschte Bürgerkrieg, und er half dort als
Arzt den Menschen.
Seinen Namen hat dein Vater...
...
schon seit seiner Geburt. Das Gerücht,
dass er ihn erst später angenommen hat,
weil der Läufer Haile Gebrselassie so erfolg-
reich war, ist kompletter Quatsch. Keine Ah-
nung, warum das mal so geschrieben wurde.
Hast du aufgrund der Herkunft deines Vaters
auch einen äthiopischen Pass?
Nein, ich wurde in Tschechien geboren,
habe auch nur diesen einen Pass.
Wie groß ist dein Interesse für das Heimat-
land deines Vaters?
Ich möchte auf jeden Fall eines Tages dorthin
reisen, um zu erfahren, wie die Menschen
dort leben. Ich habe Verwandte in Äthiopien,
die ich nicht mehr gesehen habe, seit ich ein
kleines Kind war. Ich weiß, dass es ein sehr
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WERDER MAGAZIN 295
INTERVIEW