WERDER MITGLIEDER-MAGAZIN www.werder.de Nr. 364 23. September 2025 H6788 POSITIVE ENERGIE Werders neuer Cheftrainer Horst Steffen:
WIR BAUEN AUF TEAMWORK Erfolg entsteht im Team – auf dem Spielfeld und auf unseren Baustellen. Werder Bremen begeistert mit Leidenschaft und Zusammenhalt. Mit derselben Haltung sorgt Matthäi dafür, dass Straßen, Energie und Infrastruktur zuverlässig funktionieren. Gemeinsam schaffen wir die Basis für eine starke Gemeinschaft und nachhaltigen Fortschritt. Mit Innovationskraft, Mut und Erfahrung gestalten wir die Zukunft, für lebenswerte Städte, Regionen und für die Menschen, die darin leben. Matthäi und Werder Bremen – verbunden durch Werte wie Zusammengehörigkeit, Verlässlichkeit und Leistungsstärke. Darauf bauen wir und freuen uns auf eine spannende Saison! www.matthaei.de/319 HAUPT PARTNER
Es gab viele Parallelen zwischen unseren Bundesliga-Fußballern und den WERDERFRAUEN in diesem Sommer: Beide Teams haben einen personellen Umbruch im Kader hinter sich. Bei beiden steht in dieser Saison ein neuer Trainer bzw. eine neue Trainerin in der Verantwortung, jeweils mit einem neuen Trainer-Team. Und sowohl Fritzy Kromp als auch Horst Steffen feierten beim SV Werder Bremen in den vergangenen Wochen ihr Debüt im Fußball-Oberhaus, gleichzeitig können sie bereits auf viele Jahre Erfahrung in ihrem Job zurückblicken. Nach den ersten Spieltagen dürfen wir mit großer Freude feststellen: Beide Teams sind erfolgreich in die Spielzeit 2025/2026 gestartet. Horst Steffen und Fritzy Kromp ist der personelle Umbau ihrer Mannschaften und der Einbau zahlreicher neuer Spielerinnen und Spieler in kürzester Zeit gelungen. Beide haben in den ersten Wochen ihrer Arbeit gezeigt, dass sie mit ihren Werten, ihrer Fußball-Philosophie, ihrer ausgezeichneten fachlichen Expertise und ihrem sympathischen Auftreten hervorragend zu Werder passen. Diese aktuelle Ausgabe des WERDER MAGAZIN stellt beide in ausführlichen Interviews vor und gibt einen Einblick in ihre Arbeit. Der Blick richtet sich jedoch wie gewohnt nicht nur auf unsere fußballerischen Aushängeschilder. Auch im Handball hat mit Renee Verschuren eine neue Trainerin die Verantwortung für das Zweitliga-Team übernommen. Im Gegensatz zu Horst Steffen und Fritzy Kromp war sie schon vorher für den SV Werder tätig und hat als Nachwuchstrainerin junge Handballerinnen ausgebildet. Als frühere Bundesliga-Spielerin hat Renee Verschuren einen spannenden Weg hinter sich, auf den sie im Interview unter anderem zurückblickt. Viel zu erzählen hat auch Lars Unger, früher selbst Profi und heute Koordinator der WERDER LEGENDEN. Unsere Traditionsmannschaft mit jeder Menge grün-weißen Idolen der vergangenen Jahrzehnte hatte ein volles Sommerprogramm und hat mit ihren Spielen im Werder-Land viele Fans begeistert. Die interessanten Geschichten über unsere Deutsche StabhochsprungMeisterin Friedelinde Petershofen und über Dominic Abbasi, Tausendsassa der Abteilung Turnspiele und Gymnastik, runden das bunte Werder-Bild in diesem Magazin ab und zeigen wieder einmal die Vielfalt unseres Vereins. Einen bedeutenden Raum nimmt außerdem der Ausblick auf die diesjährige Mitgliederversammlung des Sport-Verein ‚Werder‘ von 1899 e. V. ein. Gerne weisen wir auch an dieser Stelle darauf hin, dass die Veranstaltung erstmals in der ENERGIELEITZENTRALE in der Bremer Überseestadt stattfindet. Damit werden wir der Bedeutung und dem erwarteten Interesse an dieser Versammlung gerecht. Denn auf der Tagesordnung stehen unter anderem die turnusmäßigen Neuwahlen für den Aufsichtsrat und den Ehrenrat. Wir laden alle Mitglieder herzlich zur Mitgliederversammlung 2025 ein! Dr. Hubertus Hess-Grunewald Claudia Lasch Axel Plaat Geschäftsführendes Präsidium des Sport-Verein „Werder“ von 1899 e. V. Foto: C. Heidmann Schatzmeister Axel Plaat, Vize-Präsidentin Claudia Lasch und Präsident Dr. Hubertus Hess-Grunewald (v. li.). LIEBE WERDERANERINNEN, LIEBE WERDERANER! EDITORIAL WERDER MAGAZIN 364 3
WESERSTADION UNSER WESERSTADION. UNSERE FLUTLICHTPARTNER.
INHALT WERDER MAGAZIN 364 5 IMPRESSIONEN Bundesliga: Wachablösung .................................................... 6 WERDERFRAUEN: Stark! ....................................................... 8 Möwe TONI: Klare Kante ........................................................ 10 INTERVIEW Horst Steffen: „Die Fans sollen immer unseren Mut spüren“ ...................... 12 Fritzy Kromp: „Es ist immer noch Pionierarbeit“........................................... 20 Lars Unger: „Toni ist ein echtes Zugpferd…“ ............................................... 28 Renee Verschuren: „Fehler sind erlaubt, daraus lernen wir“................................ 34 MAGAZIN Grün-weiße Talentförderung: Ganzheitlich und nachhaltig ................................................40 VEREIN Friedelinde Petershofen: Plötzlich Deutsche Meisterin................................................ 46 Dominic Abbasi: „Ich konnte nicht Nein sagen“.................. 50 Schach-Bundesliga: Start mit vier Neuen ........................... 54 Werder-Jugend: Ferienfreizeit voller besonderer Highlights ........................57 Traumstart für Tischtennis-Team ......................................... 59 Aktuelles .....................................................................................65 MITGLIEDER Protokoll der Mitgliederversammlung 2024 ....................68 Einladung zur Mitgliederversammlung 2025 ...................74 Wichtige Hinweise zur Mitgliederversammlung .............75 Einladung zum Werder-Konvent ........................................77 Mitgliederversammlungen der Abteilungen .....................79 Deine Mitgliedschaft ...........................................................81 WERDER KOMPAKT Kontakt, Impressum ............................................................82 Titelfoto: nordphoto Diese Ausgabe wurde am 18.09.2025 redaktionell abgeschlossen. Klare Kante: Rund um den Weltkindertag standen die Rechte und der Schutz von Kindern im Mittelpunkt. 12 „Die Fans sollen immer unseren Mut spüren“: Cheftrainer Horst Steffen erklärt seine Fußball-Philosophie. Deutsche Meisterin: Friedelinde Petershofen. 46 20 Großes Interview: Trainerin Fritzy Kromp über ihre ersten Werder-Wochen und den deutschen Frauenfußball. 10 50 Vielseitig ehrenamtlich engagiert: Dominic Abbasi.
IMPRESSIONEN WACHABLÖSUNG Seit seinem Last-Minute-Treffer zum 3:3 gegen Bayer Leverkusen ist Karim Coulibaly – mit 18 Jahren, drei Monaten und sieben Tagen – der jüngste Bundesliga-Torschütze in der Geschichte der Grün-Weißen. Werders Defensivtalent löste damit Aaron Hunt ab – nach mehr als 20 Jahren. Coulibalys Treffer war zugleich das 2000. Bundesliga-Tor des SV Werder im Weserstadion. Hier jubeln seine Mitspieler mit dem am Boden liegenden neuen Rekordhalter. WERDER MAGAZIN 364 7
Erfolgreicher Saisonstart für die WERDERFRAUEN: Dem 1:1 zum Auftakt gegen den SC Freiburg folgte ein überzeugender 4:1-Sieg beim 1. FC Nürnberg. Dabei steckten die Grün-Weißen auch den Schock der schweren Knieverletzung von Tuana Mahmoud im Abschlusstraining weg. Starkes Zeichen: Nach dem frühen Führungstreffer zum 1:0 durch Medina Desic (3. v. li.), die insgesamt drei Mal erfolgreich war, feierten die WERDERFRAUEN mit dem Trikot der verletzten Mitspielerin. STARK!
IMPRESSIONEN WERDER MAGAZIN 364 8 WERDER MAGAZIN 364 9
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Mit zahlreichen Aktionen – unter anderem rund um das Bundesliga-Heimspiel gegen den SC Freiburg – hat der SV Werder Bremen am Weltkindertag den Einsatz für Kinderrechte in den Mittelpunkt gestellt. Das bundesweite Motto des Weltkindertags am 20. September lautete in diesem Jahr: ‚Kinderrechte – Bausteine der Demokratie!‘. Bei den Grün-Weißen zeigt nicht nur Möwe TONI klare Kante für die Rechte, den Schutz und die besonderen Bedürfnisse von Kindern. KLARE KANTE IMPRESSIONEN WERDER MAGAZIN 364 11
Horst Steffen verbreitet jede Menge positive Energie, auch in schwierigen Zeiten. Im Interview erklärt der 56 Jahre alte Fußballlehrer seine Fußball-Philosophie, erinnert sich an seine Arbeit mit Nick Woltemade und an seine eigene Karriere als BundesligaSpieler. WERDER MAGAZIN 364 13 s „DIE FANS SOLLEN IMMER UNSEREN MUT SPÜREN“ WERDER MAGAZIN: Das furiose 4:0 bei Borussia Mönchengladbach war dein erster Bundesliga-Sieg mit dem SV Werder. Wie bewertest du diesen Erfolg? HORST STEFFEN: Ich war sehr glücklich darüber, wie wir diesen Sieg eingefahren haben. Denn es war zu Beginn kein leichtes Spiel. Wir haben es allerdings geschafft, die gefährlichen Szenen der Borussia gut zu verteidigen. Insgesamt war es eine sehr starke Mannschaftsleistung. Ich habe mich besonders darüber gefreut, dass auch die Spieler, die während des Spiels von der Bank kamen, sofort ihren Anteil hatten. Das hat auch schon beim 3:3 gegen Bayer Leverkusen geklappt. Wie hast du dieses erste Heimspiel mit Werder im Weserstadion erlebt? Es hat wahnsinnig viele Emotionen freigesetzt… Schon vor dem Anpfiff, als ich das volle Weserstadion und die Choreo in der Ostkurve gesehen habe. Dann der schnelle Rückstand, die Fehler in unserem Spiel, trotzdem noch vor der Pause der Anschluss zum 1:2. Nach der Pause wieder der Rückschlag durch das 1:3 und die Rote Karte. Und am Ende hat Karim (Coulibaly, Anm. d. Red.) dem Ganzen mit dem Ausgleich die Krone aufgesetzt. Ich war sehr froh, dass wir nach diesem Spiel alle glücklich nach Hause gegangen sind. Was war das Besondere für dich an diesem Tag? Das Stadion war unglaublich laut, auch nach dem 1:3-Rückstand. Diese Unterstützung zu spüren, war etwas ganz Besonderes. Nach dem Abpfiff hat die Mannschaft ihre Runde durchs Stadion gedreht, und fast alle Fans waren noch da. Das war beeindruckend und hat gezeigt, dass es hier rund um die Mannschaft ein sehr feines Gespür dafür gibt, in welcher Situation wir uns gerade befinden. Und dass die Voraussetzungen zum Saisonstart durch die vielen Verletzungen nicht so günstig waren. Es ist bekannt, dass dir ein 3:3 lieber ist als ein 0:0… Ja, ich stehe für Spektakel (lacht). Im Ernst: Unser Fußball soll Erlebnisse bringen. Die Begeisterung nach dem Abpfiff soll den Menschen in Erinnerung bleiben. Das ist uns im ersten Heimspiel schon ganz gut gelungen… Dennoch: Du hast die Fehler erwähnt, die zum 1:3-Zwischenstand führten. Wie habt ihr diese Phase des Spiels aufgearbeitet, ohne die unglaubliche Energieleistung der Mannschaft am Ende zu schmälern? Es braucht immer beides: Eine sachliche, inhaltliche Analyse, die die Jungs von uns auch erwarten. Und trotzdem sind wir insgesamt zu Hause mit einem Erfolgserlebnis in die Saison gestartet. Wir haben gesehen, was in einer fast aussichtslosen Situation gegen einen Gegner wie Leverkusen für uns noch möglich ist. Wir sind drangeblieben, haben an uns geglaubt. Und ich habe in dieser Phase auch schon ein bisschen vom ‚gedankenlosen Spiel‘, das ich von der Mannschaft sehen will, erkannt. Wir wollen dahin kommen, dass wir von Beginn an ‚gedankenlos‘ spielen. Was genau verstehst du darunter? Als Spieler habe ich mich früher immer sehr unter Druck gesetzt, wollte unbedingt gewinnen, konnte überhaupt nicht verlieren. INTERVIEW
Wenn ich Fehler gemacht habe, habe ich zwei Tage gebraucht, um mich zu erholen. Ich war sehr verbissen und konnte meine Bundesliga-Zeit selten genießen. Es gab ein paar Spiele, in denen ich aus meiner Sicht gedankenlos gespielt habe und hinterher dachte: Mensch, was hast du da gerade auf den Platz gebracht. Aber diesen Flow-Zustand habe ich als Spieler selten erlebt. Daher habe ich heute als Trainer das Bedürfnis, es meinen Spielern leichter zu machen. Sie sollen sich bewusst machen, dass sie den Fußball schon als Kind geliebt haben, und dieses Gefühl aufs Spielfeld transportieren. Was ist dir wichtig, wenn du jungen Spielern die Chance gibst, sich in der Bundesliga zu beweisen? Ich mache das nur, wenn die Qualität da ist. Wenn ich Fähigkeiten sehe, die mich veranlassen zu sagen: Sie können in der Bundesliga spielen. Bei Patrice Covic und Karim Coulibaly hatte ich das Gefühl, dass ich sie bedenkenlos einbauen kann. Auch andere sind auf einem guten Weg. Grundsätzlich versuche ich allen Spielern deutlich zu machen, dass ich ihnen vertraue. Klar, dass dann davon auch die jüngeren profitieren. Was brauchen Spieler wie Patrice Covic und Karim Coulibaly, um es in den nächsten Jahren zu schaffen, sich in der Bundesliga zu etablieren? Es ist wichtig, dass die Erfahrungen, die sie sammeln, wirken dürfen. Es werden nicht nur positive, sondern auch negative sein. Bei Patrice hat man in der Vorbereitung noch ein paar Fehler mit Ball gesehen, die dann zum Beispiel gegen Leverkusen nicht mehr zu erkennen waren. Im Gegenteil: Er hat sehr verlässlich gespielt. Spieltempo und Anspannung sind bei einem Bundesliga-Heimspiel viel größer, als sie es bisher kannten. Aber die jungen Spieler lernen schnell. Du hast 1988 in deinem ersten Bundesliga-Spiel gleich ein Tor erzielt… Aber vor dem Anpfiff hatte ich mir fast in die Hose gemacht… (lacht). Ich habe damals Libero gespielt, also auf einer Position, die ich nicht so gut kannte. In der zweiten Halbzeit durfte ich dann ins Mittelfeld und habe mir gedacht: Jetzt musst du rennen, was das Zeug hält, damit der Trainer (Rolf Schafstall, Anm. d. Red.) sieht, dass du ins Mittelfeld gehörst. Ich kann nachvollziehen, wie aufgeregt und nervös man beim ersten BundesligaSpiel sein kann. Und dass die ersten Ballkontakte enorm wichtig sind, um die Nervosität abzulegen. Daher versuche ich den Jungs zu vermitteln: Seid sofort aktiv, denkt nicht nach, was passieren kann. Das verstehe ich unter ‚gedankenlosem Spiel‘. Mit welchen Gedanken blickst du auf deine Karriere als Spieler zurück? Ich habe gleich in meiner ersten Bundesliga-Saison 33 Spiele gemacht, in der zweiten auch nochmal, in der dritten 24 und war dann leider insgesamt viel verletzt. Wenn ich gesund geblieben wäre, hätte ich sicher statt etwas mehr als 200 Erstliga-Spielen auch 350 machen können. Ich wollte als Spieler alles durch meinen Willen regeln und bin an die Grenzen meines Körpers gegangen oder sogar darüber hinaus. Ich habe mich so hoch belastet, dass ich nach den Spielen häufig Schmerzen hatte. Ich habe erst im Laufe der Jahre gelernt, etwas entspannter zu werden. Wenn man dich heute erlebt, ist das schwer vorstellbar… Kommt die Verbissenheit manchmal noch durch? Mit Niederlagen umzugehen und gelassen zu bleiben, das konnte ich mir bis heute nicht angewöhnen. Ich habe eine Zeit lang versucht, über den Dingen zu stehen, mir vorzunehmen, dass es 14 WERDER MAGAZIN 364 s
INTERVIEW s „Unser Fußball soll Erlebnisse bringen“, sagt Horst Steffen, hier beim Jubel mit den Fans nach den Spielen in Mönchengladbach (großes Foto) und gegen Leverkusen (kleines Foto). WERDER MAGAZIN 364 15 mich nicht so sehr berührt, ob wir gewinnen oder verlieren. Aber das war unmenschlich, mir so etwas abzuverlangen. Deine erste Station als Trainer war 2003 der SC Kapellen-Erft in der Landesliga. Warum hast du dich für den Weg als Trainer entschieden? Ich hatte schon als Spieler die B- und die A-Trainer-Lizenz erworben und früh das Gefühl, dass ich etwas vom Fußball verstehe und in der Lage sein würde, als Trainer zu arbeiten. Als ich dann zum ersten Mal in der Landesliga auf dem Trainingsplatz stand, wusste ich, dass ich in meinem Element bin. Dass daraus eine Karriere im Profifußball wird, war allerdings nicht planbar. Schließlich gibt es viele ehemalige Spieler, die als Trainer Geld verdienen wollen. Zwischen 2008 und 2013 hast du die U19-Mannschaft des MSV Duisburg und anschließend die U17 und die U19 von Borussia Mönchengladbach verantwortet. War es danach ein bewusster Schritt, wieder in den Erwachsenenbereich zu wechseln und das Angebot des damaligen Drittligisten Stuttgarter Kickers anzunehmen? Ich wollte grundsätzlich immer im Erwachsenenfußball arbeiten. Aber einen Job zu finden, ist nicht immer leicht. Daher war ich einfach froh, als Trainer arbeiten zu dürfen, und habe mich im Nachwuchs der beiden Clubs um die Entwicklung der Talente gekümmert. Aber ich wollte immer Mannschaften entwickeln, eine Spielphilosophie auf den Platz bringen. Daher habe ich mich gefreut, als die Anfrage kam, die Stuttgarter Kickers in der 3. Liga zu übernehmen. Dafür hast du mit Mitte 40 erstmals deine Heimat am Niederrhein verlassen… Ja, ich wollte raus in die Welt (lacht). Ich bin froh über jede Station, an der ich gearbeitet habe. Denn das hat mir die Möglichkeit gegeben, die Menschen in der jeweiligen Region kennenzulernen und zu erleben, wie unterschiedlich sie sind. Das gilt auch für die jeweiligen Mannschaften. Mir ist wichtig, dass jeder so sein darf, wie er ist, vorausgesetzt natürlich, dass es der Gruppe nicht schadet. Wie hast du es empfunden, wenn dein Engagement als Trainer auch mal nach kurzer Zeit schon wieder beendet war? Ich gebe zu: Das bereitet mir regelmäßig Schmerzen. Jeder Trainer hat ein Stück weit das Gefühl, das Beste für den Erfolg seiner Mannschaft und des Vereins zu tun. Die erste Entlassung in Stuttgart war sehr hart. Dort war eine sehr gute Gemeinschaft entstanden. Wir hatten mehreren verletzten Spielern, die arbeitslos waren, eine neue Chance gegeben und waren erfolgreich. Das hat zu starken Bindungen zwischen Spielern und Trainerteam geführt. Und es war schwierig, Worte zu finden, als ich mich verabschieden musste. Danach hatte ich eher kurze Zeiten in Münster und Chemnitz. Trotzdem war es immer schade zu
gehen, weil ich überall viele Menschen mochte und sie nicht freiwillig verlassen habe. Umgekehrt war es in Elversberg wohl so, dass auch viele Schmerzen hatten, als ich gesagt habe, dass ich zu Werder Bremen gehe. Wer verlassen wird, ist immer etwas betroffener, als die Menschen, die verlassen. Ich habe mir vorgenommen, nichts mehr persönlich zu nehmen. Und ich hoffe, dass hier erstmal keine Trainerentlassung ansteht… (lacht) Viele Fans in ganz Fußball-Deutschland haben mit euch gelitten, als ihr mit der SV Elversberg den Aufstieg in die Bundesliga durch die unglückliche 1:2-Niederlage im Rückspiel der Relegation gegen Heidenheim nur ganz knapp verpasst habt. Wie hast du diesen Abend erlebt? Es war sehr hart… Ich hätte es allen im Verein gegönnt. Und das Rückspiel verlief auch so, dass man das Gefühl hatte: Es ist möglich. Wir haben den Gegner kontrolliert, das 2:1 geschossen, das wegen minimaler Abseitsstellung nicht anerkannt wurde. Die Jungs haben alles auf dem Platz gelassen, um diesen Erfolg zu feiern. Direkt nach dem Abpfiff habe ich gedacht: Das gibt es doch nicht. Aber dann war es meine Aufgabe, die Jungs zu trösten, in den Arm zu nehmen und meine eigene Enttäuschung erstmal hintenanzustellen. Wie verliefen deine ersten Gespräche mit den Verantwortlichen des SV Werder? 16 WERDER MAGAZIN 364 Wir haben uns gegenseitig kennengelernt, versucht, Werte auszutauschen. Mich hat beeindruckt, dass das gleich zu Beginn unseres ersten Gesprächs kam und es nicht erst darum ging: Wie werden wir leistungsfähiger? Welche Punktzahl müssen wir erreichen? Welche Titel wollen wir holen? Wie wollen wir besser werden? Dass sich zunächst der Verein vorgestellt hat, hat mir imponiert. Mir wurde dadurch deutlich, dass es hier sehr darum geht, familiär miteinander umzugehen. Ich hatte Werder als Außenstehender so wahrgenommen und dann im Gespräch den Eindruck, dass es tatsächlich so gelebt wird. Wir saßen insgesamt vier Stunden zusammen. Ich habe vorgestellt, wie ich bisher gearbeitet habe. Das hat offensichtlich alle so überzeugt, dass sie gesagt haben: Wir wollen das gerne mit Horst machen (lacht). Hast du Werder in den ersten Wochen so erlebt, wie es dir beschrieben wurde? Der Umgang miteinander ist hier außergewöhnlich, sehr offen, sehr klar. Es wird wenig persönlich genommen. Es geht immer um die Sache, um die Frage, wie wir gemeinsam weiterkommen, wie wir die Werder-Werte transportieren und unser Spiel sehen wollen. Wie hat sich deine Spielidee als Trainer im Laufe der Zeit ausgeprägt? Ich habe als Spieler unter meinem damaligen Trainer Wolfgang Ob erfahrener Profi wie Marco Grüll (Foto li.) oder Nachwuchstalent Salim Musah – Cheftrainer Horst Steffen betont: „Ich versuche allen Spieler deutlich zu machen, dass ich ihnen vertraue.“ s Foto: nordphoto Foto: nordphoto
INTERVIEW WERDER MAGAZIN 364 17 Frank die Viererkette kennengelernt. Vorher war ich als defensiver Spieler auf den ‚Zehner‘ des Gegners angesetzt und wusste: Wenn er mich ausspielt, hat er 20, 30 Meter Rasen vor sich, und ich muss ihn wieder einholen. Dass man gemeinschaftlich verteidigt, in der Balleroberung ein Wir-Gefühl entwickelt, war neu für mich und hat mich geprägt. Das möchte ich als Trainer meinen Jungs auch anbieten. Außerdem war mir schon sehr früh klar, dass ich offensiven Fußball spielen lassen will. Warum? Ich habe mal ein Spiel live gesehen, das am Ende 0:0 ausging und bei dem beide Mannschaften kaum nach vorne gespielt haben. Da habe ich mir geschworen: Das machst du nie… (lacht). Die Menschen im Stadion sollen für ihr Geld attraktiven, offensiven Fußball erleben. Wenn es die Situation erfordert, muss man als Mannschaft natürlich auch mal ein 1:0 mitnehmen. Aber die Fans sollen immer unseren Mut spüren, das Gefühl haben, dass wir Tore schießen wollen. Und dass wir zusammenstehen. Diesen Grundgedanken hatte ich schon sehr früh. Mir ist es wichtig, ein Wir-Gefühl in der Kabine zu haben und dann auch in der fußballerischen Ausrichtung auf dem Platz. Was machst du als Trainer heute anders als vor 20 Jahren? Ich habe von der Landesliga aufwärts mittlerweile jede Liga als Trainer erlebt. Wenn es für mich eine Liga höher ging, brauchte ich immer ein paar Spiele, um mich in meiner Arbeit anzupassen. Die Intensität, die ich heute im Training abverlange, ist sicher größer. Ich habe an mir gearbeitet, um noch offener für die Belange der Jungs zu werden und weniger Dinge persönlich zu nehmen. Ich kann heute Gespräche führen, bei denen ich früher gesagt hätte: Geh bitte, mir reicht es jetzt. Mittlerweile habe ich mehr Verständnis. Zu deinen Spielern während der Zeit in Elversberg gehörte in der Saison 2022/2023 Nick Woltemade. Was brachte er damals bereits mit? Er war unglaublich gut mit dem Ball am Fuß, hatte eine großartige Ballbehauptung, dazu für seine Körpergröße ein wahnsinnig gutes Dribbling, Kreativität auf dem Spielfeld und einen guten Torabschluss. Woran hast du mit ihm gearbeitet? Fokus und Intensität waren zwei wichtige Themen, die wir ihm immer wieder abverlangt habe. Die Anzahl der guten Aktionen musste bei ihm größer werden, auch die Intensität der Arbeit s Starker Kommunikator: Horst Steffen im Training und im Austausch mit Werders Leiter Profifußball Peter Niemeyer (kleines Foto).
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INTERVIEW s wir spielen genau so weiter, treffen aber plötzlich das Tor nicht mehr… Oder man führt 2:0, kontrolliert die Partie. der Gegner schießt zwei Mal aufs Tor, auf einmal steht es 2:2. Oder der Schiedsrichter gibt eine Rote Karte, obwohl es keine war. Es gibt so viele Unwägbarkeiten, dass ich mir vorab keine Vorstellungen von einer Saison mache. In Elversberg wollten wir im zweiten Zweitliga-Jahr ein ordentliches Ergebnis schaffen und sind am Ende fast aufgestiegen. Und unabhängig von einem bestimmten Tabellenplatz? Natürlich wollen wir gerade hier im Weserstadion die Fans begeistern und glücklich machen. Aber es ist auch klar, dass uns die Gegner das nicht immer gestatten werden. Wir wollen immer das Beste herausholen – so wie zum Beispiel das 3:3 nach 1:3-Rückstand und Unterzahl gegen Leverkusen. Werder ist deine erste Station in Norddeutschland. Wie gefällt dir Bremen? Die Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, waren unglaublich wohlwollend. Ich habe es noch nie erlebt, dass überall in der Stadt die Fans gute Wünsche aussprechen oder ein Foto mit mir machen wollen. Viel gesehen habe ich bisher leider nicht. Ich hoffe, dass ich mir in den nächsten Wochen häufiger das Fahrrad nehmen kann, um die eine oder andere Ecke Bremens zu erkunden. Interview: Martin Lange WERDER MAGAZIN 364 19 gegen den Ball. Nick musste dabei auch schmerzhafte Momente aushalten, hat zunächst wenig gespielt. Ich erinnere mich daran, dass ich ihn im Spiel bei Viktoria Köln in der 88. Minute eingewechselt habe. Ich habe gespürt, dass ihm das wehtat. Daraufhin habe ich ein längeres Gespräch mit ihm geführt, um ihm mein Vertrauen auszudrücken, ihn zu stärken. Das hat er als sehr wertvoll erachtet und sich nicht hängengelassen. Er hat neuen Mut gefasst, ist am Ball geblieben. Und es hat dann nur noch ein paar Spieltage gedauert, bis er total drin war und in der 3. Liga richtig gute Leistungen gezeigt hat. Wird dir schwindelig, wenn du nun die Ablösesumme für seinen Wechsel zu Newcastle United siehst, die mit mehr als 80 Millionen Euro kolportiert wird? Nick hat es selbst in einem Interview gesagt: Er hat seinen Preis nicht gemacht. Grundsätzlich gilt: Wir machen als Fußballer unsere Arbeit, lieben unseren Job und können uns glücklich schätzen, dass das viele interessiert und wir mit dem Fußball Geld verdienen können. Es gibt viele andere, die ein Hobby mit großer Leidenschaft betreiben, aber kein Geld dafür bekommen. Wir dürfen uns selbst nicht zu wichtig nehmen. Wenn wir Geld verdienen, ist es gut. Wenn es etwas mehr ist, dann auch. Wir nehmen es keinem weg. Und was man damit macht, ist letztlich jedem selbst überlassen. Wie hast du reagiert, als du erfahren hast, dass es am Ende der Transferperiode die Möglichkeit gab, Victor Boniface für Werder zu gewinnen? Ich habe gedacht: Wenn wir einen solchen Spieler bekommen können, ist das für uns sehr gut. Ich fand sein Spiel für Bayer Leverkusen großartig. Wir freuen uns sehr, dass er zu unserem Team gehört und hoffen, dass er ähnlich spielen kann wie dort. Du machst grundsätzlich einen sehr entspannten Eindruck. In welchen Momenten hast auch du mal Stress? Die ersten Wochen bei Werder waren anspruchsvoll. Bei meinem Torjubel nach dem Treffer der Mannschaft zum 3:3 gegen Leverkusen konnte man sehen, dass einiges aus mir herausgekommen ist (lacht). Meistens lasse ich es nicht zu, dass das jemand mitbekommt. Weil es nicht um mich geht, sondern um die Gruppe. Und meistens habe ich tatsächlich keinen Stress. Ich versuche so zu arbeiten, dass ich von meinen Spielern Energie bekomme, auch von unserer Spielweise, von den Fans im Stadion. Wenn ich täglich trainiere, ist viel Energie da. Klar ist aber auch: Wenn man ein paar Mal verliert, kommen andere Gedanken. Und die rauben Energie. Wenn ich viel über die Zukunft nachdenke, wird es meistens etwas stressiger. Was muss passieren, damit du am Ende dieser Saison ein positives Fazit ziehst? Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, wie unsere Zukunft aussehen wird. Dass wir in den ersten Wochen meiner Arbeit so viele Verletzungen zu beklagen hatten, konnte man nicht vorhersehen. Das kann so weitergehen, kann aber hoffentlich auch sehr viel besser werden. Es gibt unglaublich viele Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann, die aber letztlich das Ergebnis beeinflussen. Ich habe schon einiges erlebt: 17 Punkte Vorsprung in der 3. Liga, Horst Steffen: „Ich versuche so zu arbeiten, dass ich von meinen Spielern Energie bekomme, auch von unserer Spielweise, von den Fans im Stadion.“
INTERVIEW WERDER MAGAZIN: Die Anfangszeit bei Werder war für dich nicht nur Arbeit auf dem Trainingsplatz. Du hast auch den Medien umfänglich Rede und Antwort gestanden. Hattest du dieses große Interesse an deiner Person erwartet? FRIEDERIKE ‚FRITZY‘ KROMP: Ehrlicherweise habe ich keinen Vergleich (lacht). Beim DFB und bei der U20 von Eintracht Frankfurt war die Situation anders als jetzt bei Werder. Aber ich empfinde es als große Wertschätzung. Ich arbeite jetzt schon viele Jahre im Frauenfußball. Dabei reden wir immer davon, dass wir Aufmerksamkeit haben und gesehen werden wollen. Wahrscheinlich hat es ein bisschen mit meiner Person zu tun. In erster Linie zeigen die Medienanfragen allerdings, wie groß das Interesse am Frauenfußball bei Werder ist. Fühlst du dich nach den ersten Wochen in Bremen in deiner Entscheidung für Werder bestätigt? Die Anfangszeit war sehr intensiv. Aber die Arbeit mit der Mannschaft macht sehr viel Spaß. Ich konnte viele Eindrücke sammeln, die Spielerinnen kennenlernen und mir auch einen Eindruck davon verschaffen, wie wir insgesamt strukturell aufgestellt sind. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe, freue mich auf jedes Training und spüre, dass die Arbeit hier besonders ist. Was hat den Ausschlag für Werder gegeben? Dass ich in den Gesprächen schnell das Gefühl hatte, dass Werder ein sehr angenehmer und professionell geführter Verein ist. Mit Clemens Fritz und Birte Brüggemann haben wir in der sportlichen Führung ein hohes Maß an fußballerischer Kompetenz. Sie haben in den vergangenen Jahren eine Menge aufgebaut und sind sich bewusst, dass nun die nächsten Schritte folgen müssen. Die Gespräche haben deutlich gemacht, dass ich hier mit meiner Arbeit etwas bewirken kann. Es ist deine erste Saison in der ersten Liga… … aber die Aufgabe ist nicht grundlegend anders als zuvor. Natürlich ist die Aufmerksamkeit größer. Und wenn ich zum Beispiel an die geplanten Spiele im Weserstadion denke, dann ist die Vorfreude riesengroß. Denn vor so vielen Fans zu spielen, das habe ich als Trainerin noch nie erlebt. Worauf wird es in dieser Saison für euch besonders ankommen? Wir sollten ambitioniert und ehrgeizig sein, aber zugleich demütig. Denn wir hatten einen personellen Umbruch, haben mit Livia Peng und Sophie Weidauer zwei prägende Leistungsträgerinnen verloren. Diese Abgänge sind für uns nicht eins zu eins zu ersetzen. Wir haben starke neue Spielerinnen. Um die Qualität der Mannschaft mache ich mir daher keine Sorgen. Aber ein personeller Umbruch braucht immer Zeit. Dazu kommt das komplett neue Trainerteam, mit neuen Ideen, die die Mannschaft erst verinnerlichen muss. Die Entwicklung in der Vorbereitung hat mir sehr gut gefallen. Vieles hat bereits gut geklappt. Die zurückliegende Saison zu toppen, ist ambitioniert. Aber die Mannschaft hat den Ehrgeiz, das zu schaffen. Und ich werde mich nicht dagegenstellen. „ES IST IMMER NOCH PIONIERARBEIT“ Friederike, genannt „Fritzy“, Kromp kennt den deutschen Frauenfußball bereits seit zwei Jahrzehnten als Trainerin. Im Interview spricht die 40 Jahre alte Fußballlehrerin über ihre ersten Werder-Wochen, das frühe Ende ihrer Karriere als Spielerin und den derzeitigen Stellenwert des deutschen Frauenfußballs im internationalen Vergleich. WERDER MAGAZIN 364 21 s Foto: hansepixx
Was hat dich in deiner fußballerischen Kindheit und Jugend besonders geprägt? Ich bin durch meinen älteren Bruder zum Fußball gekommen. Und dazu hatte ich von klein auf eine Fußballverrücktheit in mir, die sich keiner so richtig erklären konnte (lacht). Es hat mir einfach jede Menge Spaß gemacht. Fußball war für mich als Kind und Jugendliche durch nichts zu ersetzen. Du musstest deine Karriere als Spielerin verletzungsbedingt früh beenden. Wie schmerzhaft war das? Als ich mir beim Länderpokal in Duisburg die Knöchelfraktur zugezogen hatte, war noch nicht klar, dass es das Ende sein würde. Dieser Prozess hat letztlich etwa zwei Jahre gedauert. Ich wollte es nicht wahrhaben, habe mehrmals versucht, wieder einzusteigen. Dann allerdings standen die praktischen Abitur-Prüfungen in Sport an. So super talentiert war ich als Fußballerin nicht, wollte was aus meinem Leben machen und vor allem nach Abschluss der Schule Sport studieren. Dafür musste ich fit sein. Wie hast du deine Leidenschaft für die Arbeit als Trainerin entdeckt? Im Rahmen meines FSJ beim Bayerischen Fußballverband habe ich gemerkt, dass diese Rolle für mich sehr interessant sein kann. Zunächst habe ich Feriencamps mit Kindern betreut. Dann durfte ich bei Auswahlmannschaften dabei sein. Dadurch wurde mir zunehmend bewusst, dass ich vielleicht die Trainerin werden kann, die ich mir immer gewünscht hatte. Ab 2012 hast du mehr als zehn Jahre lang zunächst als Co-Trainerin und dann als Cheftrainerin der weiblichen U17-Nationalmannschaft beim DFB gearbeitet. Wie hast du diese Zeit erlebt? Sie war sehr intensiv. Ich hatte damals im Jahr bis zu 200 Reisetage. Fast jedes Jahr haben wir eine EM gespielt und alle zwei Jahre eine WM. Es war eine lehrreiche Zeit mit vielen prägenden Erlebnissen – für die jeweilige Mannschaft und auch für mich. War es ein bewusster Schritt, 2023 den DFB zu verlassen, um in einem Verein zu arbeiten? Ich hatte eine gute Zeit beim DFB, habe mich dort sehr wohlgefühlt. Dennoch war mir klar, dass ich irgendwann mit Älteren arbeiten muss, auch um selbst nicht stehenzubleiben. Sonst wäre ich gemütlich geworden, und ich bin kein gemütlicher Mensch Über ihre ersten Wochen beim SV Werder sagt Fritzy Kromp: „Ich spüre, dass die Arbeit hier besonders ist.“ 22 WERDER MAGAZIN 364 s
INTERVIEW s WERDER MAGAZIN 364 23 (lacht). Ich hatte gute Gespräche mit den Verantwortlichen beim DFB, dort wären allerdings nur die U19 und die A-Nationalmannschaft in Frage gekommen. Die U23 wurde erst später eingeführt. Dadurch, dass ich die entsprechenden Qualifikationen hatte und durch meine bisherigen Tätigkeiten nicht ganz unbekannt war, wäre es eventuell denkbar gewesen, damals schon in die erste Liga zu gehen. Es gab Angebote. Ich habe sehr intensiv überlegt, was der beste Schritt ist, und fand es dann sehr spannend, die U20 bei Eintracht Frankfurt zu übernehmen. Was ist dir wichtig im Umgang mit deinen Spielerinnen? Dass es gelingt, gemeinsam mit der Mannschaft ein Klima zu schaffen, in dem man sich gegenseitig respektiert und jede ihre jeweilige Rolle annimmt. Wir haben mehr als 20 Spielerinnen, die sich gut vorstellen können, von Anfang an zu spielen, aber es kann nur elf geben. Als Trainerin macht man meistens mehr Spielerinnen unglücklich als glücklich und ist darauf angewiesen, dass sie die Entscheidungen akzeptieren und respektieren, auch wenn sie sie nicht immer verstehen. Mir ist wichtig, dass nach einer Saison oder nach der gemeinsamen Zusammenarbeit alle gerne daran zurückdenken und sagen, dass man zusammen eine gute Zeit hatte. Warum hast du dich für Michaela Specht und Björn Bremermann als Co-Trainer entschieden? Mir ist wichtig, dass Trainerteams heterogen sind. Beide bringen eine positive Fußballverrücktheit mit – und sind sehr unterschiedlich. Michi hat Erfahrungen als Spielerin und im Analysebereich gesammelt. Björn hat als Trainer in verschiedenen Alters- und Leistungsklassen gearbeitet, ist methodisch und didaktisch sehr stark und kümmert sich daher um die Trainingssteuerung und -gestaltung. Dazu kommen Hendrik Lemke als Torwart-Trainer und Hannes Mühl, dem als Athletiktrainer in der Belastungssteuerung eine wichtige Rolle zukommt. Wir sind unterschiedliche Typen mit unterschiedlichen Ansprachen, die trotzdem sehr gut harmonieren. Wenn man in Deutschland den Frauenfußball voranbringen will, kann das sicher manchmal ganz schön anstrengend sein? Es ist tatsächlich immer noch in vielen Bereichen Tag für Tag Pionierarbeit. Aber ich habe diese Aufgabe bewusst gewählt. Entwicklungen voranzutreiben, kostet Energie und ist manchmal auch frustrierend. Andererseits geht es voran, wir sind bei vielen Themen auf einem guten Weg. Wenn das nicht der Fall wäre, dann hätte es mich irgendwann nicht mehr im Fußball gehalten, sondern ich hätte – auch aus Selbstschutz – einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen… Oder du wechselst in den männlichen Bereich… Auch das wäre noch Pionierarbeit… Im Leistungsbereich wäre ich immer noch eine der ersten Frauen. Es gab in der Vergangenheit Optionen für mich, eine Männer-Mannschaft in der Regionalliga zu übernehmen oder die Leitung des Leistungszentrums bei einem Bundesliga-Club. Ich fand diese Aufgaben spannend und Fritzy Kromp sagt über den Frauenfußball in Deutschland: „Entwicklungen voranzutreiben, kostet Energie und ist manchmal auch frustrierend. Andererseits geht es voran, wir sind bei vielen Themen auf einem guten Weg.“
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INTERVIEW s habe länger darüber nachgedacht, letztlich war ich aber nicht vollständig überzeugt. Neben dir stehen mit Britta Carlson in Köln, Ailien Poese bei Union Berlin und Liese Brancao beim HSV in dieser Saison in der Google Pixel Frauen-Bundesliga drei weitere Cheftrainerinnen in der Verantwortung… Das sind tatsächlich so viele wie noch nie. Aber man erkennt daran, dass es auch da noch immer etwas Besonderes ist, wenn eine Trainerin an der Seitenlinie steht. Wie ordnest du den deutschen Frauenfußball derzeit im internationalen Vergleich ein? Wir sind in der Weltrangliste zuletzt von Rang drei auf fünf zurückgefallen. Und man muss sagen: Die Tabelle lügt nicht. Auch die Ergebnisse bei den letzten großen Turnieren haben eine klare Sprache gesprochen. Wir können einiges noch durch eine gute Mentalität wettmachen, aber fußballerisch fehlt uns derzeit etwas nach ganz oben. Der internationale Frauenfußball ist enger zusammengerückt. England und Spanien, auch Schweden und Frankreich sind uns dabei in einigen Bereichen voraus. Was muss sich ändern? Es gibt nicht eine entscheidende Stellschraube. Aus meiner Sicht sind hier der DFB, die Vereine und die Gesellschaft gefragt. Wir müssen es den jungen Spielerinnen ermöglichen, sich unter annähernd gleichen Bedingungen zu entwickeln wie die Jungs. Dafür müssen wir die Strukturen weiterentwickeln und die Talentförderung dringend auf ein höheres Niveau bringen. Denn im weiblichen Bereich ist die Nachwuchsausbildung der Vereine noch sehr dem Zufall überlassen. Alle können es machen, wie sie wollen. Im männlichen Bereich sind die Rahmenbedingungen der Ausbildung an die Lizenzierung gekoppelt. WERDER MAGAZIN 364 25 Der SV Werder stand in den vergangenen Jahren dafür, selbst Spielerinnen bis in die Bundesliga zu entwickeln. Werdet ihr dieser Philosophie auch bei der immer weiter steigenden Konkurrenz in der ersten Liga treubleiben können? Ich bin davon überzeugt, dass wir auch zukünftig Spielerinnen selbst ausbilden und weiterentwickeln können. Parallel dazu müssen wir uns weiter professionalisieren, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen. Dass wir in diesem Sommer weitere neue Stellen geschaffen haben, zum Beispiel für einen zweiten hauptamtlichen Co-Trainer und eine zweite Physiotherapeutin, war kein Luxus, sondern dringend notwendig. Nicht nur du hast zu dieser Saison dein Debüt im Fußball-Oberhaus gefeiert – Gleiches gilt auch für Horst Steffen bei den Männern. Hattet ihr schon Gelegenheit, euch über diese Parallelität auszutauschen? Wir haben uns bereits getroffen, bevor wir hier unsere Arbeit aufgenommen haben. Horst ist eine sehr angenehme Persönlichkeit. Man kann sich mit ihm auf Augenhöhe austauschen. Er interessiert sich sehr dafür, was wir im weiblichen Bereich machen. Vieles an unserer Arbeit ist ähnlich, es ist und bleibt Fußball, Menschenführung spielt eine wichtige Rolle. Mich interessierte zum Beispiel, ob er seinen Kapitän wählen lässt oder bestimmt und wie sich aus seiner Sicht ein Mannschaftsrat findet. Du bist vielen als ZDF-Expertin bekannt. Wie kam es zu diesem TV-Engagement? Das ZDF war damals auf der Suche nach etwas mehr Weiblichkeit im Fußball. Man hatte erkannt, dass die ersten Frauen bei verschiedenen Sendern gut angekommen waren. Mein damaliger Berater, der auch das ZDF beriet, hat den Kontakt hergestellt. Ich wurde bei der EM 2022 erstmals eingeladen, und daraus hat sich dann ein längeres Engagement entwickelt. Starkes Team: Co-Trainer Björn Bremermann, Co-Trainerin Michaela Specht, Cheftrainerin Fritzy Kromp und Torwart-Trainer Hendrik Lemke (v. li.). Zum Trainerteam der WERDERFRAUEN gehört außerdem Athletiktrainer Hannes Mühl. s
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INTERVIEW WERDER MAGAZIN 364 27 Eine Aufgabe, die gut zu dir passt? Es war vorher nie mein Ziel. Aber ich hatte von Beginn an keine Berührungsängste. Ich fand es cool, weil ich gerne über Fußball rede und Fußball gerne so erkläre, dass es jeder versteht. Ich denke, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Es war allerdings von Anfang an klar, dass mein Job immer vorgeht. Das ZDF ist für mich auch kein zweiter Job, sondern ich mache es nebenbei, wenn ich Kapazitäten dafür habe. Zum Expertenteam des ZDF gehört auch Per Mertesacker, der von 2006 bis 2011 für Werder gespielt hat. Was hat er dir über den Verein erzählt? Nur Gutes… Wenn man sich mit Per unterhält, bekommt man den Eindruck, dass ihn die Zeit in Bremen sehr geprägt hat. Außerdem hat er noch sehr viele Verbindungen zu den Menschen hier, nicht nur durch die Freundschaft zu Clemens Fritz. Ich habe gespürt, dass seine positive Meinung über Werder sehr ehrlich ist. Ich habe ihn allerdings nicht um Rat gefragt, ob ich die Aufgabe hier übernehmen soll (lacht). Hast du Werder in den ersten Wochen so familiär kennengelernt, wie der Verein oft beschrieben wird? Tatsächlich sind hier alle Bereiche sehr eng beieinander, deshalb auch sehr nahbar. Ich kenne keinen anderen Bundesligisten, bei dem das so ist. Häufig sind die Männer irgendwo anders. Oder das Leistungszentrum ist ausgelagert. Oder die Frauen sind an einem anderen Ort als die Männer. Klar hat ein eigenes Zentrum für jeden Bereich auch Vorteile. Aber so wie hier ist es mir lieber, mit Geschäftsstelle, Männern, Frauen und Nachwuchs auf einem Gelände. Ich fühle mich sehr wohl. Was erwartest du insgesamt von dieser Saison? Es könnte die spannendste und sportlich beste Saison werden, die es bisher gab. Nicht zuletzt aufgrund der Aufsteiger, allen voran Union Berlin, die personell enorm aufgerüstet haben. Insgesamt gab es so viele Transfers wie noch nie, dazu sechs neue Bundesliga-Trainerinnen oder -Trainer. Bayern, Wolfsburg und Frankfurt sind die Kandidaten für die ersten drei Plätze, dahinter kann viel passieren. Deshalb hoffe ich darauf, dass wir uns schnell finden. Dass wir die Großen ärgern können. Dass wir vielleicht erkennen, dass es tatsächlich möglich ist, die starke letzte Saison zu bestätigen. Einfach wird das allerdings nicht. Wo wird der deutsche Frauenfußball in fünf Jahren stehen? Ich hoffe, dass wir die Professionalisierung weiter vorantreiben können, dass es möglich sein wird, die Lücke zu England etwas zu schließen. Wir müssen versuchen, den Frauenfußball und die Teams zu einer eigenständigen Marke zu entwickeln – im selben Club wie die Männer, aber mit eigener Identität und eigenen Werten. Wir sehen bei Länderspielen, wie gut der Frauenfußball von den Fans angenommen wird. Ich wünsche mir, dass wir in fünf Jahren sagen können, dass alle Spielerinnen Voll-Profis sind. Mit dem VfB Stuttgart, Borussia Dortmund oder Schalke 04 drängen weitere Teams nach oben. Und interessant ist insbesondere, wenn es Vereine schaffen, den Frauenfußball zunehmend unabhängig von den Männern zu entwickeln. Interview: Martin Lange s Die Neuen bei der Saisoneröffnung im Weserstadion: Fritzy Kromp an der Seite von Männer-Cheftrainer Horst Steffen. Beide erleben ihr erste Saison als Verantwortliche im Fußball-Oberhaus.
„TONI IST EIN ECHTES ZUGPFERD…“ Lars Unger koordiniert die Auftritte der WERDER LEGENDEN. Der ehemalige Profi, der in den 1990er Jahren unter anderem 24 Bundesliga-Spiele für die Grün-Weißen bestritt, erklärt die Bedeutung der Traditionsmannschaft für den SV Werder und blickt auf seine Karriere als Spieler zurück.
INTERVIEW WERDER MAGAZIN: Lars, wer waren die Fußball-Legenden deiner Jugend? LARS UNGER: (überlegt) Ich bin 1989 als Jugendspieler zu Werder gekommen und erinnere mich noch gut an das Europapokal-Spiel gegen den SSC Neapel in diesem Jahr, das ich live im Weserstadion verfolgen durfte. Dass Dieter Eilts und seine Mitspieler damals einen Weltstar wie Diego Maradona in Schach gehalten haben, hat mich sehr beeindruckt und sie zu Vorbildern für mich gemacht. Es war ein großes Erlebnis, später gemeinsam mit ihnen zu trainieren. Viele Top-Stars der zurückliegenden Jahrzehnte laufen heute für die WERDER LEGENDEN auf. Welche Bedeutung hat diese Mannschaft für Werder? Wir gehören zu den Bundesligisten mit der größten Tradition. Die Spieler, die für die WERDER LEGENDEN die Werder-Raute auf der Brust tragen, haben die Geschichte unseres Vereins maßgeblich mitgeschrieben, sind tatsächlich Legenden. Das, was Werder heute ausmacht, hat auch mit den Erfolgen der Vergangenheit zu tun. Diese Tradition zu pflegen und fortzuführen, ist aus meiner Sicht für Werder sehr wichtig. Legenden- oder Traditionsmannschaften gibt es bei vielen Clubs. Was macht die WERDER LEGENDEN besonders? Dass sehr viele Spieler entweder nach ihrer Karriere hiergeblieben oder irgendwann wieder nach Bremen zurückgekommen sind. Die Identifikation mit dem Verein und die Verbundenheit mit dem Werder-Land sind dadurch sehr groß. Das sorgt für einen unglaublichen Teamgeist, viele Spieler unternehmen auch außerhalb der Spiele etwas gemeinsam. Es ist also jedes Mal ein großes Familientreffen? Ja, das erkennt man schon an der guten Stimmung und so manchen Frotzeleien in der Kabine… Es ist auch immer wieder toll, wie viele Zuschauer zu den Spielen kommen. Diese Begeisterung und das große Interesse machen unseren Jungs einen riesigen Spaß. Sie werden erkannt, werden um Autogramme und Selfies gebeten. Das zeigt, dass die Fans die ehemaligen Spieler nicht vergessen haben. Besondere Begeisterung löst wie früher Ailton aus … Toni ist tatsächlich ein echtes Zugpferd. Aber auch er wird nicht jünger (lacht). Man darf nicht vergessen: Wir haben noch immer den sportlichen Ehrgeiz, unsere Spiele zu gewinnen. Bei den Hallenturnieren messen wir uns mit anderen Legenden-Teams, teilweise live im TV, da will niemand verlieren. Für uns ist es daher wichtig, dass ‚jüngere Spieler‘ nachwachsen, wie Philipp Bargfrede, Nelson Valdez oder Aaron Hunt. WERDER MAGAZIN 364 29 s
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INTERVIEW s s Wie sieht deine Arbeit genau aus? Ich betreue die Spieler, kümmere mich um die Akquise von Spielen und Gegnern. Wir unterstützen die ausrichtenden Vereine, für die sich in der Organisation natürlich viele Fragen und Themen ergeben, geben Tipps. Du hast dich um diesen Aufgabenbereich bereits fast 20 Jahre lang gekümmert, als die Mannschaft noch von Dieter Burdenski und seiner Agentur betreut wurde. Nach seinem plötzlichen Tod hat sich der SV Werder entschlossen, dieses Erbe weiterzuführen. Was hat sich dadurch verändert? Zunächst einmal: Dieter Burdenski hat über viele Jahre die Basis für unsere heutige Arbeit gelegt und damit begonnen, die Mannschaft als Marke zu etablieren. Von diesen Erfahrungen profitieren wir und wollen die WERDER LEGENDEN in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Es gab bereits Stadionführungen mit früheren Spielern. Im VIP-Bereich des Weserstadions ist ein ‚Legenden Club‘ entstanden. Mir macht es Spaß, hier gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen neue Ideen zu entwickeln. Wir wollen die Legenden als Mehrwert in verschiedenen Bereichen noch intensiver einsetzen, zum Beispiel bei Bundesliga-Heimspielen, bei der WERDER Fußballschule, bei Projekten im Rahmen von internationalen Kooperationen, um so die Marke weiterzuentwickeln. Du kennst den SV Werder seit deiner Jugend. Wie kam es damals zu deinem Wechsel nach Bremen? Ich spielte beim TSV Malente, also sozusagen auf dem Dorf, war aber U15-Nationalspieler. Das führte dazu, dass Bundesliga-Clubs auf mich aufmerksam wurden. Ich hatte verschiedene Angebote, saß zum Beispiel auch mit Uli Hoeneß und Jupp Heynckes zusammen, hatte vom FC Bayern einen unterschriftsreifen Vertrag vorliegen. Aber aufgrund der Entfernung nach München habe ich mich dagegen entschieden. Den ersten Kontakt zu Werder gab es, als Thomas Schaaf und Rolf Behrens, damals beide verantwortlich für den Nachwuchs, in der Fußballschule von Dieter Burdenski in Grömitz waren, sich durch die Nähe zu unserer Heimat mit meinen Eltern getroffen haben und auch mich kennenlernen wollten. 1989 bin ich dann ins Werder-Internat, das damals noch in der Brautstraße in der Bremer Neustadt und nicht im Weser-Stadion war, gewechselt. Wie waren die ersten Monate in Bremen? Zugegebenermaßen nicht so leicht. Ich war damals eher schüchtern, zurückhaltend, introvertiert, hatte Heimweh. Aber durch die Mannschaft und die Schule habe ich nach einiger Zeit Kontakte geknüpft und mich dann hier sehr schnell wohlgefühlt. Wie blickst du auf deine Karriere als Spieler zurück? (atmet tief durch) Ich würde aus heutiger Sicht sicher nicht alle Entscheidungen wieder genauso treffen. Insgesamt war meine Karriere ‚ganz ok‘. Ich denke aber, dass mehr möglich gewesen wäre. Das heißt? Ich hatte es zunächst schwer unter Otto Rehhagel, der bekanntermaßen als Trainer kein Fan davon war, junge Spieler ins ‚kalte Wasser‘ zu werfen (lacht). Mit Dieter Eilts, Marco Bode oder Uwe Harttgen gibt es weitere Beispiele von Spielern, die erst viele Jahre bei den Amateuren gespielt haben und lange kämpfen mussten, um irgendwann in der Bundesliga eine Chance zu bekommen. Ich hatte zum einen das Glück, an einer der erfolgreichsten Werder-Zeiten teilhaben zu können. Gleichzeitig war das aber auch mein Pech als junger Spieler. Ich war damals Lars Unger (li.) behauptet den Ball gegen Bayern-Star Jürgen Klinsmann. Zwischen 1994 und 1997 stand der ehemalige Profi für den SV Werder in der Bundesliga auf dem Platz. WERDER MAGAZIN 364 31
INTERVIEW s Stammspieler in der U21-Nationalmannschaft, spielte dort mit vielen starken Bayern-Spielern wie Markus Babbel, Christian Ziege, Christian Nerlinger, Markus Münch und auch Heiko Herrlich, damals bei Bayer Leverkusen. Aber bei Werder saß ich in der Bundesliga nicht mal auf der Bank. Das war schwierig für mich. Mit etwas zeitlichem Abstand weiß ich natürlich, dass man immer für sich selbst verantwortlich ist und sich kein Alibi bei anderen suchen sollte. Dein Debüt hatte es dann allerdings in sich. Das Champions-League-Spiel gegen den AC Mailand im März 1994 war dein erster Pflichtspiel-Einsatz bei den Profis… Das war verrückt! Ich war damals – wie übrigens auch Frank Rost – bei der Bundeswehr, konnte dadurch vormittags nicht beim Training sein und stand trotzdem bei diesem Spiel im Kader. Kurz vor Schluss rief mich Co-Trainer Kalli Kamp zur Bank. Da habe ich mir fast in die Hose gemacht… (lacht) Auf weitere Einsätze musstest du anschließend einige Zeit warten, bis du in der Saison 1996/1997 unter Dixie Dörner regelmäßig gespielt hast. Wie kam es dazu? Er war während meiner Zeit in der U21-Nationalmannschaft dort Co-Trainer gewesen. Ich wusste, dass er etwas auf mich hielt. Allerdings waren wir damals als Mannschaft weniger erfolgreich. Dixie Dörner stand ziemlich unter Druck. Für die neue Saison wurden dann auf meiner Position gleich mehrere Spieler verpflichtet. Daraufhin habe ich mich umgesehen. Ich hatte das Gefühl, als Spieler aus dem eigenen Nachwuchs weniger wert zu sein als andere. Werder wollte mit mir allerdings verlängern. Und im Nachhinein muss ich sagen: Vielleicht hätte ich damals etwas mehr Geduld haben müssen. Denn wenig später wurde Thomas Schaaf Cheftrainer, mein früherer A-Jugend-Trainer… Du bist jedoch zu Fortuna Düsseldorf gewechselt… …dort habe ich auch gespielt. Im Verein gab es jedoch eine gewisse Unruhe… … so dass du erst kurze Zeit in England gespielt hast, um dann in die österreichische Bundesliga zu wechseln… Bei Schwarz-Weiß Bregenz hatte ich vier tolle Jahre. Als kleiner Verein mit vergleichsweise geringem Budget sind wir nie aus der ersten Liga abgestiegen, haben sogar im UI-Cup gespielt, unter anderem gegen AC Turin. Anschließend bist du nach Bremen zurückgekehrt. Wie schwierig war die berufliche Orientierung nach deiner Spielerkarriere? Es fiel mir nicht leicht. Ich habe dann die Chance bekommen, bei Werder eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann zu absolvieren, konnte unter Thomas Wolter als Stand-by-Spieler in der U23 spielen. Dafür war ich sehr dankbar. Zwar hatte ich schon während meiner Zeit als Spieler die A-Lizenz erworben. Trainer zu sein, war letztlich aber nicht mein Ziel. Ich wusste, dass ich mich im organisatorischen Bereich wohler fühle. Ich hatte dann ein Angebot, als Scout im WERDER Leistungszentrum zu arbeiten. Aber parallel kam die Anfrage von Dieter Burdenski, für die ich mich schließlich entschieden habe. Dein Sohn Miro hat als Handballer den Sprung in die Bundesliga geschafft und im März dieses Jahres erstmals für die deutsche A-Nationalmannschaft gespielt. Welche eigenen Erfahrungen konntest du ihm für seinen Weg im Leistungssport mitgeben? Es wäre falsch zu sagen, dass er sich an mir orientiert hat. Er hat seinen Weg allein gefunden. Erst hat er Fußball gespielt, hat sich dann aber für den Handball entschieden, weil viele seiner Freunde damals beim ATSV Habenhausen spielten. Für mich war das im ersten Moment komisch, weil er ein richtig guter Kicker war. Aber natürlich war es wichtig, dass er das macht, was ihm Spaß macht. Seine Entwicklung war der Hammer, gerade nach seinem Wechsel zum VfL Gummersbach und dem Sprung in die Nationalmannschaft. Natürlich ist man da als Vater mächtig stolz… So wie ich auch auf meine anderen Kinder stolz bin, die ebenfalls eine tolle Entwicklung genommen haben. Interview: Martin Lange WERDER MAGAZIN 364 33 Beim ‚Tach der Fans‘ im Jahr 2024 spielten auch ehemalige Spielerinnen der Grün-Weißen für die WERDER LEGENDEN. Lars Unger (Foto re., re.) lief ebenfalls mit auf.
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