§ 19 Abs. 2 HS 2 VersAusglG
gibt vor, dass ausgleichsreif fu¨r
den Wertausgleich bei der Scheidung nur der Teil des Anrechts
ist, der dem Grunde
und der Ho¨he nach
hinreichend verfestigt ist.
§ 5 Abs. 4 Satz 2 VersAusglG
gibt vor, dass allgemeine Wert-
anpassungen des Anrechts (nur) im Ausgleich nach der Schei-
dung zu beru¨cksichtigen sind. Dadurch werden Versorgungs-
anrechte, deren ehezeitanteilige Leistungsho¨he nach Ehezeiten-
de durch dem Grunde und der Ho¨he nach nicht feststehende
Umsta¨nde vera¨ndert werden kann –
faktisch in zwei Teile auf-
geteilt
:
Den zum Stichtag Ehezeitende auch der Ho¨he nach gesi-
cherten Teil, der bei der Scheidung ausgeglichen wird, und den
zum Stichtag Ehezeitende noch nicht gesicherten Teil. Dieser
wird, falls er sich realisiert (der Ausgleichspflichtige den Anstieg
der Versorgungsleistung also tatsa¨chlich erha¨lt), ggf. in einem
zweiten Ausgleichsschritt
nach den §§ 20 ff VersAusglG ausgegli-
chen
5
.
Dazu finden sich weiterfu¨hrende Hinweise in der Geset-
zesbegru¨ndung. Zu den zum Stichtag Ehezeitende beru¨cksichti-
gungsfa¨higen Aspekten wird Folgendes ausgefu¨hrt:
„
Nicht zu beru¨cksichtigen ist aber wie bei § 225 FamFG-VAE die
u¨bliche Wertentwicklung des Anrechts, etwa durch zwischenzeitlich
erfolgte Anpassungen der Bemessungsgrundlagen fu¨r die Anwart-
schaft, also die Dynamik, die dem jeweiligen Anrecht innewohnt.“
6
Fu¨r die Ermittlung des Ausgleichswerts fu¨r den Ausgleich
nach
der Scheidung
finden sich folgende Ausfu¨hrungen:
„
Denn bei der Bemessung der Ausgleichsrente ist von deren tatsa¨ch-
lichem Wert im Versorgungsfall auszugehen. Die allgemeine Wert-
entwicklung des Anrechts ist also – anders als bei dem auf das Ehe-
zeitende bezogenen Wertausgleich bei der Scheidung – zu beru¨ck-
sichtigen.“
7
„
Satz 2 – neu – verdeutlicht, dass in Verfahren u¨ber Ausgleichs-
anspru¨che nach der Scheidung diejenigen nachehezeitlichen Wert-
vera¨nderungen zu beru¨cksichtigen sind, die den bei Ehezeitende be-
stehenden Wert des Anrechts aktualisieren, also insbesondere die
planma¨ßigen Anpassungen von Anwartschaften und laufenden Ver-
sorgungen.“
8
Hinter diesem System steht die Wertung, dass
Scha¨tzungen der
Ho¨he der ku¨ nftigen Leistungen
aus dem auszugleichenden Anrecht
–
da sie zwar im statistischen Mittel, nicht aber bezogen auf jeden
Einzelfall zutreffend erfolgen – eine
Verfehlung der Halbteilung
herbeifu¨hren wu¨rden und daher zu unterbleiben haben.
Fu¨r die
Pru¨ fungsanpassung
nach § 16 Abs. 1 BetrAVG gilt
–
wendet man die Vorgaben der § 19 Abs. 2 Nr. 1 HS 2 i. V.
mit § 5 Abs. 4 Satz 2 VersAusglG konsequent an – Folgendes:
–
Die Erho¨hung betrieblicher Versorgungsanrechte infolge
von vor dem Stichtag Ehezeitende bereits durchgefu¨hrten
Pru¨fungsanpassungen nach § 16 Abs. 1 i. V. mit Abs. 2
BetrAVG ist fu¨r den Ausgleichspflichtigen gesichert. Daher
ist der Umfang dieser Anhebungen ausgleichsreif und kann
verteilt werden.
–
Vom Stichtag Ehezeitende aus betrachtet ku¨nftige Anpassun-
gen stehen zum Stichtag Ehezeitende dagegen nicht sicher
fest. Folglich steht noch nicht fest, ob der Ausgleichspflichti-
ge sie erhalten wird. Damit sind sie nicht ausgleichsreif und
ko¨nnen nicht verteilt werden. Bezogen auf eine Komponente,
die nicht verteilt werden kann, Trendannahmen der Ho¨he
nach vorzunehmen, wa¨re dementsprechend systemwidrig.
V. Wertungsunterschiede zwischen VersAusglG und
HGB (BilMoG)
Hinsichtlich der Vorgaben dazu, welche ku¨nftigen Versorgungs-
leistungen bei vorzunehmenden versicherungsmathematischen
Bewertungen anzusetzen sind,
unterscheidet sich
die Wertung des
VersAusglG insbesondere
von der Wertung des HGB
.
Das HGB
gibt in seinem § 253 Abs. 1 Satz 2 vor, dass Verbindlichkeiten
mit ihrem nach vernu¨nftiger kaufma¨nnischer Beurteilung erfor-
derlichen Erfu¨llungsbetrag anzusetzen sind. Dabei nimmt das
Handelsrecht die Mo¨glichkeit, dass die Scha¨tzung der Ho¨he der
Verbindlichkeit sich spa¨ter als bezogen auf den konkreten Ein-
zelfall wahrscheinlich unzutreffend herausstellt, hin. Hierin liegt
eine Wertentscheidung, die von dem Ansatz, nur eine an einem
bestimmten Stichtag der Ho¨he nach feststehende Leistung zu
bewerten, abweicht.
Wa¨hrend es vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Rege-
lung im Handelsrecht u¨blich ist,
Gehaltstrends
anzusetzen
9
,
ist dies
im VersAusglG nach einhelliger Auffassung nicht vorgesehen.
Hier ist allein auf das Gehalt zum Stichtag Ehezeitende abzustel-
len und auf dieser Basis der Ausgleichswert zu ermitteln
10
.
Die
Begru¨ndung zum VersAusglG gibt ausdru¨cklich zu erkennen,
dass Gehaltsanstiege nach Ehezeitende erst und nur im Ausgleich
nach
der Scheidung beru¨cksichtigungsfa¨hig sind
11
.
Diese Unter-
scheidung, wonach die handelsrechtlichen Bewertungsgrundsa¨tze
hier nicht unmittelbar in den Versorgungsausgleich u¨bertragbar
sind, tra¨gt auch dem Umstand Rechnung, dass das Handelsrecht
die bilanziell zutreffende Erfassung eines Verpflichtungsvolumens
zu einem Bilanzstichtag regelt, das am jeweils folgenden Bilanz-
stichtag auf Basis der dann aktuelleren Erkenntnisse neu bewertet
und damit ggf. erho¨ht bzw. vermindert werden kann, wohingegen
das Versorgungsausgleichsrecht auf den endgu¨ltigen und nicht
mehr „anpassungsfa¨higen“ Ausgleich eines Versorgungsanrechts
an einem ganz bestimmten Stichtag – bei der Scheidung – gerich-
tet ist: diese „Endgu¨ltigkeit“ steht auch der Verwendung von
Scha¨tzverfahren bei ku¨nftigen Dynamiken grundsa¨tzlich entgegen
und hat dementsprechend in den Wertungen des VersAusglG ih-
ren Niederschlag gefunden.
VI. Wertentscheidung des VersAusglG sachgerecht
Die Beru¨cksichtigung von Rententrends fu¨r Pru¨fungsanpassun-
gen im Versorgungausgleich wu¨rde eine Rechtsfortbildung i. S.
einer
teleologischen Reduktion der § 19 Abs. 2 Nr. 1 i. V. mit § 5
Abs. 4 Satz 2 VersAusglG
erfordern. Insbesondere wu¨rde dies er-
fordern, die Wertung aufzugeben, dass nur die Leistung Gegen-
stand des Ausgleichs werden soll,
deren Ho¨he
zum Stichtag Ehe-
zeitende fu¨r den Ausgleichspflichtigen
gesichert
ist. Diese Wer-
tung fu¨hrt jedoch – auch in ihrer Umsetzung – zu sachgerechten
und der Halbteilung entsprechenden Ergebnissen. Damit be-
steht insbes. aus dem Prinzip der Halbteilung heraus keine
Rechtfertigung fu¨r eine solche Rechtsfortbildung:
1.
Interne Teilung: Dynamikteilhabe gesetzlich vorgesehen
Bei der
internen
Teilung erha¨lt die ausgleichsberechtigte Person
ein Anrecht, dessenWert der Ha¨lfte des Ehezeitanteils entspricht.
5
Zur de facto-Aufteilung von Versorgungsregelungen zwischen Ausgleich bei
der Scheidung und Ausgleich nach der Scheidung: BT-Drucks. 16/10144
S. 63 (Kommentierung zu § 20 VersAusglG).
6
BT-Drucks. 16/10144 S. 49 (Kommentierung zu § 5 VersAusglG).
7
BT-Drucks. 16/10144 S. 125 (Gegena¨uß. d. BReg, zu § 5 Abs. 4 VersAusglG).
8
BT-Drucks. 16/11903 (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses) S. 103 (Kommentierung zu § 5), die Aussage bezieht sich auf § 5
Abs. 4 Satz 2 VersAusglG.
9
Siehe dazu etwa die Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftspru¨fer
(
IDW); IDW, Stellungnahme zur Rechnungslegung, Handelsrechtliche Bilan-
zierung von Altersversorgungsverpflichtungen, Stand: 10. 6. 2011 (IDW HFA
RS 30, Rdn. 51: „[. . .], dass [. . .] insbesondere ku¨nftige Gehalts-, Lohn-
und Rententrends zu beru¨cksichtigen sind.“).
10
Z. B.
Glockner/Hoenes/Weil
,
a.a.O. (Fn. 1), § 10 Rdn. 10 (S. 153); § 3
Rdn. 34 ff. (S. 33);
Ruland
,
Versorgungsausgleich, 3. Aufl. 2011, Rdn. 419
(
S. 179) und Rdn. 181 (S. 80).
11
BT-Drucks. 16/10144 S. 63 (Kommentierung zu § 20 VersAusglG).
DER BETRIEB | Nr. 45 | 9. 11. 2012
Arbeitsrecht
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