Rheinisches Ärzteblatt 3/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2024 33 Kulturspiegel Das Theater Oberhausen zeigt mit „Serenade für Nadja“ ein bewegendes Stück rund um das Schicksal eines Flüchtlingsbootes und Identitätsfragen. von Jürgen Brenn Der türkische Autor und Komponist Ömer Zülfü Livaneli schrieb den Roman „Serenade für Nadja“ im Jahr 2010. Die Bühnenadaption präsentiert das Theater Oberhausen in einer sehenswerten Uraufführung, bei der Ebru Tarici Borchers Regie führte. In rund zweieinhalb Stunden wird die auf historischen Tatsachen basierende Geschichte des Flüchtlingsschiffes „Struma“ erzählt, das am 24. Februar 1942 im Schwarzen Meer von einem Torpedo eines sowjetischen U-Bootes versenkt wurde. An Bord des umgebauten Segelschiffs befanden sich 786 jüdische Flüchtlinge, die jeweils tausend Dollar für die Passage nach Palästina bezahlt hatten. Den Untergang überlebte lediglich ein einziger Passagier. Alle anderen ertranken oder erfroren in den eisigen Fluten. Die Flüchtlinge waren von Bulgarien aus in See gestochen. Schon kurz nach dem Auslaufen fiel der Motor aus. Das manövrierunfähige und völlig überfüllte Schiff wurde in den Hafen von Istanbul geschleppt. Die Türkei verweigerte den Passagieren, von Bord zu gehen. Nun begann ein diplomatisches Tauziehen, in das Großbritannien, Bulgarien und die Türkei, die es sich mit keiner der Kriegsparteien des Zweiten Weltkriegs verderben wollte, verwickelt waren. Die Zustände an Bord der Struma waren katastrophal. Aber niemand, auch kein Staat setzte sich für die Flüchtlinge ein. In einer Nacht- und NebelGeografie ist Schicksal Nadja Bruder, Regina Leenders, Klaus Zwick und Khalil Fahed Aassy übernehmen jeweils mehrere Rollen in der sehenswerten Uraufführung von „Serenade für Nadja“. Foto: Axel J. Scherer aktion wurde das Schiff – unrepariert – auf Geheiß der türkischen Behörden am 23. Februar 1942 zurück ins Schwarze Meer geschleppt und seinem Schicksal überlassen, das am Tag darauf besiegelt wurde. Virtuos verwebt der Autor Livaneli diese Flüchtlingskatastrophe mit einer ebenso romantischen wie tragischen Liebesgeschichte zwischen dem deutschen Jura-­ Professor Maximilian Wagner, hervorragend gespielt von Klaus Zwick, und seiner jüdischstämmigen Frau Nadja, gespielt von Nadja Bruder. Nadja war schwanger, als sie an Bord der Struma ums Leben kam. Zu ihrem Gedenken reist Wagner Jahrzehnte später an ihrem Todestag an die türkische Küste, vor der das Schiff gesunken war, und spielt dort in eisiger Kälte auf seiner Geige die „Serenade für Nadja“, die er in den 1930er-Jahren als Liebesbeweis für seine zukünftige Frau komponiert hatte. Eine einfache Angestellte der Universität Istanbul, Maya Duran, hervorragend gespielt von Regina Leenders, begleitet den Professor auf der Reise von Istanbul an die Küste. Um ein Haar erfriert der alte Mann bei seinem Geigenspiel, doch Maya rettet ihm das Leben. Die Verbindung zwischen den beiden wird fester. Maya kommt nicht nur allmählich hinter die verborgenen Schicksalsschläge des Uni-Gastes, sondern deckt auch in ihrer eigenen Familie Brüche auf. Identitäten mussten zuerst verleugnet werden, um zu überleben und dann verschwiegen werden, um keinen Makel auf die türkische Identität fallen zu lassen. Am Ende hat Maya das Schicksal von drei Frauen nachgezeichnet, die ihre Herkunft verleugnen und ihren Namen ändern mussten, um zu überleben, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort geboren wurden. Informationen unter www.theater-oberhausen.de und Tel.: 0208 857-184. 100 Kilometer Fußweg für ein medikament. das geht zu weit. Jede Spende hilft: www.medeor.de Die Notapotheke der Welt. medeor_Anzeige_100Kilometer_179x50mm_0u_Rheinisches_Aerzteblatt.indd 2 18.10.22 12:11

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