Rheinisches Ärzteblatt 6/2023

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 /2023 19 Ein Großteil der in NRW beschäftigten Ärztinnen und Ärzte in den Justizvollzugsanstalten ist seit langen Jahren „hinter Gittern“ im Dienst, erklärt das Justizministerium. Die Arbeitsbedingungen seien attraktiv: Die Voll- oder Teilzeitstellen werden unbefristet ausgeschrieben, es gibt keine Wochenend- oder Feiertagsdienste und für Gefängnisärzte besteht die Möglichkeit einer Verbeamtung. Vergütet werden sie nach dem Tarifvertrag TV-Ärzte, in der Regel in der Gruppe Ä2. Trotz dieser vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen trifft der Fachkräftemangel jedoch auch die Gefängnisse und das Justizvollzugskrankenhaus hart. In Fröndenberg habe in der Vergangenheit eine Station vorübergehend schließen müssen, da nicht genügend Pflegekräfte vorhanden waren, so Woltmann. Beim ärztlichen Personal gebe es erfreulicherweise noch keine Engpässe. Anders ist die Lage in den 35 Justizvollzugsanstalten des Landes. Dort sind aktuell 14 Stellen unbesetzt. Perspektive Gefängnismedizin Um angehenden Ärztinnen und Ärzten die Gefängnismedizin als berufliche Perspektive nahezubringen, hat das Justizministerium NRW im Dezember 2022 eine Kooperation mit der Universität Witten/Herdecke gestartet. Ziel ist es, die Gefängnismedizin fest in der universitären Lehre zu verankern, denn bisher war diese kein Bestandteil der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung, erklärt Professor Dr. Marzellus Hofmann, Prodekan für Lehre an der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke. Die Kooperation umfasst einführende Seminare zum Thema Gefängnismedizin und anschließend Möglichkeiten für zum Teil mehrwöchige Praktika in der Justizvollzugsmedizin im Rahmen des Schwerpunkts „ambulante Gesundheitsversorgung“ im Modellstudiengang Medizin an der Uniaggressiv reagiere. Im JVK NRW würden alle Gefangenen vor ihrer Ankunft einem gründlichen Screening unterzogen und es werde abgeklärt, ob ein Patient gewalttätig sei und folglich unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen untersucht werden müsse. Falls es doch einmal zu einem Angriff kommen sollte, sei schnelle Hilfe von den blau-schwarz-uniformierten Justizvollzugsangestellten zu erwarten. Um die Gefangenen vor sich selbst zu schützen, gibt es auf den weitläufigen Fluren und in den Behandlungsräumen kein alkoholhaltiges Desinfektionsmittel. Vor einigen Jahren sei einmal ein Patient mit einer Alkoholvergiftung aus seiner Justizvollzugsanstalt in das JVK NRW eingeliefert worden, weil er aus Desinfektionsmittel und seinem Apfelshampoo einen „fruchtigen“ Cocktail gemixt hatte, sagt Woltmann zur Begründung. Gleichwertige Behandlung Im Gegensatz zu den Patientinnen und Patienten außerhalb der Gefängnismauern, hat ein Großteil der Inhaftierten keine freie Arztwahl. Ausgenommen sind unter anderem Häftlinge in U-Haft, die sich auf eigene Kosten eine zweite Meinung einholen können. Für die große Mehrheit der Inhaftierten ist bei gesundheitlichen Problemen der Anstaltsarzt in ihrer JVA zuständig. Da die Sicherheit im Justizvollzug einen hohen Stellenwert hat, werden nach Möglichkeit alle Krankheiten innerhalb der Mauern behandelt. Für die Diagnostik stehen Ärztinnen und Ärzten in den Haftanstalten ähnliche Möglichkeiten wie in einer hausärztlichen Praxis zur Verfügung, darunter Ultraschallgerät und EKG, erklärt das NRW-Justizministerium auf Anfrage. In das Justizvollzugskrankenhaus werden Gefangene verlegt, wenn die Mittel in den Haftanstalten nicht mehr zur Behandlung ausreichen. Nicht immer wollen die Häftlinge jedoch verlegt werden, denn die Sicherheitsvorkehrungen im JVK NRW sind im Vergleich zu einer JVA strenger. Doch auch das JVK ist in seinen medizinischen Möglichkeiten beschränkt und kooperiert daher mit zahlreichen anderen Fachkliniken außerhalb der Gefängnismauern. Ein wichtiger Grundsatz der Gefängnismedizin ist das Äquivalenzprinzip, wonach Inhaftierten eine gleichwertige medizinische Versorgung zusteht, wie den Bürgerinnen und Bürgern außerhalb der Mauern. Als vorteilhaft empfindet Woltmann dabei, dass es im JVK kein Budget für die medizinische Versorgung der Gefangenen gibt. So könne er ohne ökonomische Zwänge Medikamente und Therapien verordnen. Stolz ist der Ärztliche Direktor auf sein neues Ultraschallgerät, das in einem fensterlosen Behandlungszimmer steht. Die blau gepolsterte Liege, der Computer und die illustrierten Informationszettel an der Wand unterscheiden sich nicht von denen in zahlreichen anderen Krankenhäusern. Nur der mit Panzerglas gesicherte Kontrollraum im Eingangsbereich, wo ein uniformierter Justizvollzugsangestellter den Zugang zu den Behandlungsräumen bewacht, erinnert daran, dass das JVK NRW ein besonderes Krankenhaus ist. Spezial Dr. Jochen Woltmann ist seit 2011 als Arzt im Justizvollzug tätig. Mit Offenheit, Ehrlichkeit und Humor begegnet er Häftlingen mit außergewöhnlichen Erkrankungen und teils dramatischen Lebensgeschichten. Foto: Marc Strohm

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=