WERDER MAGAZIN Nr. 335

WERDER MAGAZIN 335 27 FANABTEILUNG von einem auf den anderen Tag den Rücken zu. „Rostock“, sagt er trocken auf die Frage nach seinem letzten Spiel. Am 25. November 1995 verlor der SV Werder gegen den FC Han- sa mit 0:2. Danach war für gut zehn Jahre Schluss mit Fuß- ball. „Die Kommerzialisierung nahm zu, das Medieninteresse wurde größer, die Fanszene wandelte sich“, erinnert sich Bernd Fraaß. Teil dieser akti- ven Fanszene zu sein, übte für ihn keinen Reiz mehr aus. Die Ergebnisse des SV Werder zu verfolgen, mal ein Spiel im TV zu sehen – das genügte vorerst. Den Double-Gewinn 2004, den Beginn der Ultrabewegung, die zunehmende Begeisterung von Frauen für Fußball und da- mit Besuche im Weser-Stadion – alles das ging an Bernd Fraaß vorbei, oder er verfolgte es nur aus der Ferne. Bis 2006. „Dann haben Bekannte zu mir gesagt: ‚Bernd, komm doch mal wieder mit ins Stadion‘“, erinnert er sich. Fraaß ließ sich überreden und erlebte sozusagen sein ‚blaues Wunder‘: „Gefühlt war alles anders, als ich es kannte“, lacht er. „Es war wie auf einer Zeitreise, bei der man plötzlich ganz woanders ist.“ Bernd Fraaß erkannte ‚seine‘ Fanszene fast nicht mehr wieder. Er muss schmunzeln, wenn er heute darüber erzählt: „Einer, den ich von früher aus der Szene kannte, arbeitete auf einmal als Fanbetreuer. Bei einer Ultra-Gruppierung hatte eine Frau das Sagen. Überhaupt ka- men viele Frauen und Familien ins Stadion. Das war zehn Jahre vor- her undenkbar gewesen.“ Und auch Fraaß‘ Auswärts-Comeback im April 2007 hielt ungewohnte Hürden bereit: „Ich wollte zum Europa- League-Spiel in Alkmaar und wurde auf einmal gefragt, ob ich denn ein Ticket dafür hätte“, berichtet Fraaß, dessen Plan, sich einfach im Stadion ein Ticket zu kaufen, von den Fan-Kollegen belächelt wurde. „Früher war das normal. Ich konnte ja nicht ahnen, dass die Begeiste- rung mittlerweile so groß war, dass man Tickets vorbestellen musste.“ Zeitreise, Kulturschock, neue Welt – wie auch immer man Bernd Fraaß‘ Wiederentdeckung seiner Fan-Leidenschaft für den SV Wer- der bezeichnen möchte: Er arrangierte sich schnell mit dem zuvor Unbekannten und war sofort wieder vom ‚grün-weißen Virus‘ in- fiziert. „Mich hat fasziniert, wie viele vor allem junge Leute so viel Herzblut für Werder geben“, sagt Fraaß, der sich zunächst einer der Ultra-Gruppierungen, den ‚Wanderers Bremen‘, anschloss, dort aber nach knapp drei Jahren wieder austrat. Nach den vielen beeindruckenden Werder-Erlebnissen in seinem Le- ben wollte Bernd Fraaß etwas zurückgeben und nahm daher in der Saison 2010/2011 Kontakt zur damals gerade neuen Leiterin der Fa- nabteilung, Julia Ebert (heute Düvelsdorf), auf, um seine ehrenamtli- che Mitarbeit anzubieten. „Für uns war das ein Glücksfall“, erinnert sich Düvelsdorf. „Damals war noch nicht abzusehen, dass Bernd tatsächlich eine solche Konstante in unserer Arbeit werden würde. Und wir mussten zunächst auch klären, welches Aufgabengebiet er übernimmt.“ Mittlerweile ist Bernd Fraaß seit einigen Jahren für die Fanbetreu- ung bei den Spielen der U23 zuständig, steht bei Bundesliga-Heim- spielen den Gästefans mit Rat und Tat zur Seite und ist Ansprech- partner für kleine und größere Fragen und Probleme. „Bernd ist ein Kommunikator in alle Richtungen“, lobt Werders hauptamtlicher Fanbetreuer Till Schüssler. „Und mit seiner Erfahrung über mehre- re Fangenerationen hinweg ist er ein wichtiger Ratgeber.“ Genauso verstand der gelernte Isolierer, der heute im Veranstaltungsaufbau für eine Bremer Eventfirma arbeitet, von Beginn an seine Aufgabe und fand schnell die für ihn passende Rolle. „Er ist ein durchweg positiver Mensch, herzensgut und sich für nichts zu schade“, lobt Julia Düvelsdorf. „Und Bernd zeichnet seine extrem hohe Identifikati- on mit Werder aus. Er hat verinnerlicht, was unseren Verein ausmacht, nämlich unter anderem Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.“ Der so Gelobte weiß, welche Stärken er für den SV Werder einbrin- gen kann: „Ich kann mich in die Ultras hineinversetzen, aber ich weiß auch, was für den Verein wichtig ist.“ Zwischen diesen beiden Positionen zu vermitteln, das ist immer wieder die Herausforderung für alle Fanbetreuer, egal ob hauptamtlich oder ehrenamtlich. Dabei gelingt das nach Ansicht von Bernd Fraaß in Bremen meist besser als an anderen Bundesliga-Standorten. „Wir haben sehr viele Gruppie- rungen, aber einen guten Draht zu allen und einen sehr konstruk- tiven Austausch“, betont Fraaß. „Natürlich gibt es auch Meinungs- verschiedenheiten, aber wir haben durch die angesehene Arbeit der Fanbetreuung eine gute Struktur, um das aufzufangen, zum Beispiel die regelmäßigen Treffen des Fanbeirats. Dort wird nicht nur über das Schlechte, sondern auch über das Gute gesprochen. Wir haben insgesamt eine Fanszene, die bei aller Verschiedenheit einen politi- schen Grundkonsens hat: Wir wollen alle zum Beispiel keine Nazis im Stadion. Und das Gute ist, dass alle dahinter stehen – sowohl der Verein als auch die Fans.“ Derzeit deutet nichts darauf hin, dass Bernd Fraaß noch einmal von heute auf morgen dem SV Werder den Rücken kehrt. „Diese Arbeit macht einfach einen Riesenspaß“, sagt er. „Die Gespräche und der Austausch mit den Fans faszinieren mich immer wieder.“ Er pflegt eine Leidenschaft für American Football und den englischen Fuß- ball, schaut sich auch gerne mal in den USA Partien der NFL oder ‚auf der Insel‘ Spiele der englischen Premiere League live an. Doch das Herz von Bernd Fraaß schlägt grün-weiß. Und seine Erfahrung ist für Werder unverzichtbar. Martin Lange Foto: C. Heidmann

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