Ärztekammer
Nordrhein
Jahresbericht 2012
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Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik
Die Wurzeln der heutigen Ärztekammern rei-
chen zurück bis ins Kaiserreich des 19. Jahrhun-
derts, wie Rudolf Henke erläuterte: Ein Merkmal
der Bismarckschen Sozialgesetzgebung der Jahre
1883/84
war die Selbstverwaltung. Im Jahre 1887
findet sich in der „Gesetz-Sammlung für die König-
lichen Preußischen Staaten“ der Satz: „Für jede Pro-
vinz ist eineÄrztekammer zuerrichten.“ 1892wurde
in Hamburg die erste Ärztekammer gegründet, um
1930
entstanden Ärztekammern als Körperschaf-
ten des öffentlichen Rechts. Die Regelung der Be-
ziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen,
anfänglich auch eine Aufgabe der Ärztekammern,
ist seit Langem Aufgabe der Kassenärztlichen Verei-
nigungen. In der Zeit des Nationalsozialismus wur-
den die Ärztekammern entmachtet und durch den
Reichsärztebund ersetzt.
Heute kümmert sich die Ärztekammer nach den
Worten des Kammerpräsidenten im Interesse des
Gemeinwohls zum Beispiel um die in der Berufs-
ordnung formulierte ärztliche Ethik, die ärztliche
Weiterbildung, die Fortbildung und die Qualitäts-
sicherung in der Medizin. Zur Wahrung der be-
ruflichen Interessen ihrer Mitglieder nimmt die
Kammer beispielsweise Stellung zu Gesetzen und
Verordnungen und unterhält regelmäßige Kon-
takte zur Landesregierung, zum Parlament sowie
zu den Medien. In den vielfältigen Fragen des Ge-
sundheitswesens und der Medizin sind die Kammer
und ihre Einrichtungen Ansprechpartner auch
für Bürger und Patienten. Zum Beispiel schlich-
tet die bei der Kammer eingerichtete Gutachter-
kommission bei Behandlungsfehler-Vorwürfen.
Auch bei Streitigkeiten über privatärztliche Ho-
norarforderungen bietet die Ärztekammer eine
Schlichtung an. Die Kooperationsstelle für Selbst-
hilfegruppen und die neu eingerichtete Bürgerbe-
ratung stehen mit Auskünften zur Verfügung. Zur
Alterssicherung ihrer Ärztinnen und Ärzte hat die
Kammer die Nordrheinische Ärzteversorgung ein-
gerichtet.
Streifzug durch die Geschichte
Als erste grundlegende Formulierung einer ärzt-
lichen Ethik gilt der Eid des Hippokrates. Viel-
fach wird angenommen, dass Ärztinnen und Ärz-
te diesen Eid nach wie vor schwören. Tatsächlich
ist das nicht der Fall, sondern heute sind die Ärz-
tinnen und Ärzte in Deutschland verpflichtet auf
das Gelöbnis, das ihrer Berufsordnung voransteht
(
siehe S.37)
.
Dieser Text leitet sich ab von der Genfer
Deklaration des Weltärztebundes aus dem Jahr
1949 –
und eben vom Hippokratischen Eid, der in-
sofern bis heute nachwirkt.
Der Wirkungsgeschichte dieses historischen
Gelübdes war der Festvortrag für die neuen Kam-
mermitglieder gewidmet, den Professor Dr. Klaus
Bergdolt hielt, der Direktor des Instituts für Ge-
schichte und Ethik der Medizin an der Universität
zu Köln.
Bei seinem Streifzug durch die Jahrhunderte warf
Bergdolt zunächst die überraschende Frage auf, ob
Hippokrates überhaupt gelebt habe – was bedeuten
würde, dass der berühmte Eid lediglich ein Mythos
wäre: „Vor 50 Jahren gab es einige Medizinhistori-
ker, die die These aufstellten, dass Hippokrates
überhaupt nicht existiert hätte. Das wirkt einiger-
maßen schockierend, weil wir ja normalerweise
annehmen, dass der Eid des Hippokrates die Medi-
zingeschichte und die Ärzte seit Jahrhunderten und
Jahrtausenden begleitet.“
Das Porträt des Hippokrates, wie es als römische
Kopie eines griechischen Originals im Nationalmu-
seum in Neapel zu besichtigen ist, taugt nach Berg-
dolts Worten nicht als Beweis für die reale Existenz
des griechischen Arztes, denn: „Auch die Götter
haben solche Statuen erhalten.“
Letztlich aber konnte der Medizinhistoriker
Entwarnung geben: In der zeitgenössischen Litera-
tur finden sich nach seinen Worten Belege dafür,
dass Hippokrates von Kós (um 460 bis 370 v. Chr.)
eine geschichtliche Figur ist. So wurde er um 400
vor Christus vom Zeitgenossen Platon in dessen
Phaidros
sowie im
Protagoras
erwähnt, außerdem
Prof. Dr. Klaus Bergdolt,
Direktor des Instituts für
Geschichte und Ethik
an der Universität zu Köln,
hielt den Festvortrag für die
neuen Kammermitglieder.