Gutachtliche Entscheidungen

LITERATUR [1] Stammer U M, Gundert-Remy U , Biermann E, Erlenwein J, Meißner W, Wirz S und Stammschulte T. Metamizol – Überle- gungen zum Monitoring zur frühzeitigen Diagnose und Agra- nulozytose. Schmerz 31, 5-13 (2017) [2]Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut: Meta- mizol (Novalgin, Berlosin, Novaminsulfon, etc.) – Richtige Indikationsstellung und Beachtung von Vorsichtsmaßnah- men und Warnhinweisen. 28.5. 2009 [3] Köbberling J. und Haffner S. Rechtssicherheit und Rechts- praxis bei der Risikoaufklärung vor Arzneimittelgabe. Medi- zinische Klinik 101, 516-532 (2006) 100 | Gutachtliche Entscheidungen lässigt. Eine allgemeine Aufklärungspflicht vor jeder Medikamentengabe ist unrealistisch und es könnte unverständlich erscheinen, warum dies gerade für ein verbreitetes und gut verträgliches Schmerzmittel an- ders sein sollte. Bei bestimmten Medikamenten mit typischen und ernsthaften Risiken oder Nebenwirkungen, zum Bei- spiel Blutungen unter Antikoagulanzien, gilt eine Pflicht zur Risikoaufklärung als unbestritten. Wo aber ist die Grenze zwischen ernsthaft und nicht ernst- haft zu ziehen? Ob die Verabreichung von Metamizol einen aufklärungspflichtigen Eingriff darstellt, ist tat- sächlich nicht normativ fixiert. In dem Versuch, eine Rechtssicherheit bei der Risiko- aufklärung von Arzneimittelgaben zu erreichen, wur- de im Jahre 2006 eine Konferenz zwischen Ärzten und Juristen einberufen, auf der diese Fragen diskutiert wurden [3]. Leider hat sich herausgestellt, dass es keine verlässliche Grenze gibt, von der ab eine Aufklärung wegen besonderer Risiken zu erfolgen hat. Häufig er- gibt sich erst im Zusammenhang mit einem Haftungs- verfahren und einem Richterspruch, ob eine Aufklä- rung notwendig gewesen wäre. Diese Situation ist aus ärztlicher Sicht sehr unbefriedigend, denn es fehlen klare Anhaltspunkte für konkrete Entscheidungssitua- tionen. Die Juristen haben es sehr allgemein formu- liert: Eine Aufklärung habe immer dann zu erfolgen, wenn für ein bestimmtes Medikament eine „typische“ Nebenwirkung bekannt sei und wenn durch die Rea- lisierung eines damit verbundenen Risikos die weite- re Lebensgestaltung wesentlich beeinträchtigt werde. Dabei wurde mehrfach betont, dass die Häufigkeit der typischen Nebenwirkungen keine Rolle spiele, über diese also auch bezüglich sehr seltener typischer Ne- benwirkungen aufzuklären sei. Dies heißt nicht unbedingt, dass die Aufklärung mit- tels vorgedruckter und handschriftlich zu ergänzender Aufklärungsbögen (z.B. Perimed oder proCompliance) zu erfolgen hat, wie dies bei körperlichen Eingriffen die Regel ist. So würde es nach Ansicht erfahrener Juristen ausreichen, wenn in einer Klinik oder einer Praxis eine hausinterne Regelung über Form und Um- fang der Aufklärung formuliert wird und wenn aus der patientenbezogenen Dokumentation hervorgeht, dass eine dementsprechende Aufklärung tatsächlich statt- gefunden hat, zum Beispiel durch ein spezielles Kürzel im Behandlungsblatt. Neben der Risikoaufklärung ist im Fall von Metamizol eine Sicherungsaufklärung (auch „therapeutische Auf- klärung“ genannt) wichtig, etwa in dem Sinne, dass im Fall von Fieber/Schüttelfrost, Halsschmerzen, Abge- schlagenheit oder Affektionen von Haut oder Schleim- häuten unverzüglich ein Arzt aufzusuchen und auf die Medikamenteneinnahme hinzuweisen sei [ 1 ]. Zusammenfassung Legt man die genannten Kriterien zugrunde, dann fällt das Präparat Metamizol eindeutig in die Gruppe der Präparate, vor deren Gabe eine Risikoaufklärung zu erfolgen hat. Die Gutachterkommission musste da- her feststellen, dass nicht nur die Fortsetzung der Noval- gingabe in den Kliniken bei bereits nachgewiesener Agranulozytose behandlungsfehlerhaft war. Auch die nicht erfolgte Risikoaufklärung vor der Gabe von Meta- mizol in der Praxis des Orthopäden stellt einen vorwerf- baren Fehler dar. Es entlastet ihn nicht, dass bei der breiten Anwendung des Präparates in den allermeisten Fällen keine entsprechende Aufklärung erfolgt. Professor Dr. med. Johannes Köbberling, langjähriges Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied und Vorsitzender Richter am Landessozialgericht a.D. Rötger von Alpen ist Stellvertretender Vorsitzender der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein. Metamizol und Agranulozytose – Aufklärungspflicht Orthopädie und Unfallchirurgie

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