Gutachtliche Entscheidungen

Gutachtliche Entscheidungen | 101 OrthopädieundUnfallchirurgie Spärliche Arztdokumentation bei typischen Vorwürfen zur Chirotherapie Typischerweise vermuten Patienten das Auftreten von Bandscheibenschädigungen, Frakturen und Gefäß- dissektionen in Zusammenhang mit der Manuellen Therapie. Das Auslösen solcher Veränderungen durch eine sachgerechte Vorgehensweise ist nach Auffassung der Gutachter nicht möglich, wenn der Arzt zuvor ausreichend untersucht und mögliche Kontraindi- kationen ausgeschlossen hat. Würde man aber allein die Behandlungsdokumentationen der ausgewerte- ten Fälle zugrunde legen, müsste verallgemeinernd gefolgert werden, dass die im klinischen Alltag häu- figer bei Schmerzpatienten durchgeführten chirothe- rapeutischen Manipulationen teilweise zu beiläufig vorbereitet und vom Arzt bezüglich der Indikation, Durchführung und Einwilligung nicht ausreichend dokumentiert werden. Bereits 2004 waren die Begutachtungen der Gutachter- kommission Nordrhein aus den Jahren 1976 bis 2003 zu diesem Thema ausgewertet worden [2]. Grundlage dieses Beitrages ist eine aktuelle Auswertung der Be- gutachtungsjahre 2004 bis 2017 mit 91 Patientenvor- würfen (Anteil 0,4 %) zu einer Chirotherapie ( T abelle 1), die ausführlich in der Zeitschrift Manuelle Medi- zin nach der einschlägigen Literatur und Rechtspre- chung erörtert wird [3]. In elf von 91 Fällen wurden dabei im Zusammenhang mit der Manipulation vor- werfbare Behandlungsfehler und zehnmal Risikoauf- klärungsfehler bei überproportional hoher Rate an Aufklärungsrügen (n=41) festgestellt, darunter zwei- mal bei verneintem Behandlungsfehler. Die Sachverhaltsaufklärungen und die Beurteilung der Risikoaufklärung waren vielfach dadurch erschwert, dass nur eine spärliche Dokumentation durch die Ärzte erfolgt war, was für sich genommen aber noch keinen Behandlungsfehler darstellt. Auffallend war auch, dass die durchgeführten Maßnahmen in ihrer Ausführung öfter strittig blieben. Auf die Mobilisation zurückzu- führende eigenständige Folgen wurden sechsmal fest- gestellt, darunter dreimal kurzzeitige Beschwerden, ein schwerer passagerer sowie ein mittelschwerer und ein schwerer Dauerschaden ( T abelle 2) . Behandlungsfehler Zusammenfassend wurden in drei von 28 Verfahren mit dem Vorwurf einen bestehenden Bandscheiben- prolaps nicht erkannt oder durch die Mobilisation ausgelöst zu haben, Behandlungsfehler festgestellt: Einmal wurde beispielsweise ein bereits bestehender Bandscheibenprolaps als Kontraindikation zur Mobili- sation nicht erkannt (Fall 1). In einem anderen Fall hät- ten bestehende „Parästhesien/eine Deltoideusparese“ eine sorgfältigere neurologische Untersuchung und Abklärung erfordert. Bei unklarer segmentaler Ein- ordnung und Diagnose war ein Bandscheibenvorfall nicht ausgeschlossen worden. Auch wurde keine ak- tuelle Röntgenaufnahme zum Ausschluss knöcherner Destruktionen durchgeführt, die bei einem 77-jähri- gen Patienten gefordert wird, was einen einfachen Befunderhebungsfehler darstellt. Auch in zwei von 13 Fällen mit Frakturen eines Wir- belkörpers erfolgten kontraindizierte Wirbelsäulen- mobilisationen (u.a. Fall 2) . Eine von 13 vorgeworfenen Gefäßdissektionen wurde gutachterlich auf die fehler- hafte Mobilisation zurückgeführt, da ein unmittelba- rer zeitlicher Zusammenhang und die Beschreibung des Patienten („ruckvoller Rotationsimpuls“) dies na- helegten (Fall 3). Bei einem anderen Patienten wurde eine – vermutlich seit dem Vortag in Gang befindliche – Gefäßdissektion fehlerhaft nicht erkannt und somit eine kontraindizierte Mobilisation vorgenommen. Vorrausetzung für die Indikationsstellung zu einer Chirotherapie ist neben einer differenzierten Anamneseerhebung zu aktuellen und vorbestehenden Erkrankungen eine allgemeine sowie manualmedizinisch-neurologische Untersuchung, ummögliche Kontraindikationen vor der Therapie zu erkennen. Es ist dabei zu klären, ob eine Röntgen- untersuchung des betroffenen Wirbelsäulenabschnittes erforderlich ist. von Christian Holland und Beate Weber Orthopädie und Unfallchiru

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