Gutachtliche Entscheidungen

102 | Gutachtliche Entscheidungen Behandlungsfehler fanden sich auch bei weiteren vier von 37 Patienten mit anderen Vorwürfen: Zum Beispiel erfolgten bei einem 12-jährigen Patienten behandlungsfehlerhaft über sechs Monate mindes- tens drei Mobilisationen, obwohl bereits die erste Röntgenuntersuchung eine – vom Arzt nicht erkann- te – aneurysmatische Knochenzyste am Dornfortsatz des 6. Halswirbelkörpers aufzeigte. Hierdurch kam es zu einer Therapieverzögerung um zehn Monate mit traumatischem Erleben bei passagerem Querschnitt bis zur erfolgreichen operativen Sanierung. Bei zwei Patienten, einmal bei HWS-Syndrom nach rezidivie- renden Infekten der oberen Luftwege und einmal bei Herpes zoster mit Rückenschmerzen, wurde vom Gut- achter die Indikation zur Mobilisation der Wirbelsäule verneint. Die Mobilisation erfolgte in einem Fall zu- dem fehlerhaft ohne Risikoaufklärung um „den Über- raschungsmoment“ auszunutzen, wie der Arzt in sei- ner Stellungnahme schrieb. Bei einem Patienten mit rechtsbetonten BWS-Blockaden bei bekannter Osteo- porose mit Zustand nach Keilwirbelbildung des BWK 12 und bestehendem Bronchialkarzinom hätte zuvor ein Röntgenbild zum Abwägen der Indikation erfolgen müssen. Fallbeispiele 1. Nicht erkannter Bandscheibenprolaps Der 43-jährige Patient stellte sich am 4. Juni 2013 bei dem ihm seit 2002 bekannten belasteten Orthopäden erneut mit seit Februar rezidivierenden Zerviko-Bra- chialgien (so die Diagnose des belasteten Arztes) vor, die unter hausärztlicher Analgetikatherapie bisher gut rückläufig gewesen waren. Bis 2007 waren vom Orthopäden bereits mehrmals Chirotherapien erfolgt. Der Patient beschreibt für diesen Tag ein „mehrfaches Hin- und Herreißen des Kopfes in sitzender Stellung“, erneut bei verstärkten Beschwerden am 5. Juni, nach- dem der Arzt „Blockierungen der Rippen, der HWS, der Kopfgelenke und der Brustwirbelsäule“ festge- stellt hatte (nun unter der Diagnose Schulter-HWS- Syndrom). Vom Arzt wurde keine Darstellung des Tabelle 1: Verfahren mit Vorwürfen zur Chirotherapie seit Bestehen der Gutachterkommission Nordrhein 2004–2017 (14 Jahre) 1976–2003 (28 Jahre)* n (Anteil v. n) BF bejaht (v. Sp 2) Aufklär.- Rüge erhoben (davon bejaht) Doku.- Mangel v. Sp 2 n (Anteil v. n) BF bejaht (Anteil v. Sp 6) Aufklär.- Rüge erhoben (davon bejaht) Abgeschlossene Verfahren 21.386 (100,0) 6.508 (30,4%) 3.397 (675) 2.124 (9,9%) 19.310 (100,0%) 6.399 (33,1%) nb Vorwürfe zur Chirotherapie 91 (0,4%) 6,5/Jahr 11 (12,1%) 0,8/Jahr 41 ( 10 = 0,7/Jahr) 21 (23,1%) 1,5/Jahr 57 (0,3%) 2,0/Jahr 16 (28,8%) 0,6/Jahr 17 ( 7 = 0,3/Jahr) Verkennen/Verursachen Bandscheibenprolaps 28 (0,1%) 3 (10,7%) 11 (2) 6 (21,4%) 20 (0,1%) 5 (25,0%) nb (1) Verkennen/Verursachen einer Fraktur 13 (0,1%) 2 (15,4%) 4 (/) 2 (15,4%) 9 (<0,1%) 4 (44,4%) nb (/) Verkennen/Verursachen Gefäßdissektion präzerebraler Gefäße 13 (0,1%) 2 (15,4%) 10 (5) 5 (38,5%) 6 (<0,1%) 5 (83,3%) nb (5) Fehlende Besserung, Verschlechterung, andere Folgen 37 (0,2%) 4 (10,8%) 16 (3) 8 (21,6%) 22 (0,1%) 2 (9,1%) nb (1) * siehe Hansis et al 2004 [17], nb = nicht bekannt Spärliche Arztdokumentation bei typischen Vorwürfen zur Chirotherapie Orthopädie und Unfallchirurgie

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