Gutachtliche Entscheidungen

Allgemeinmedizin Gutachtliche Entscheidungen | 19 Behandlungsfehlervorwürfe gegen hausärztlich tätige Ärzte wird mittels Fax informiert. Allerdings geht aus der Einweisung die erforderliche Dringlichkeit zur Kran- kenhausbehandlung nicht hervor. Erst am Abend lässt sie sich mittels RTW bei ausgeprägten Schmerzen bei drohendem Kompartmentsyndrom ins Krankenhaus bringen. Der Arzt hätte bei erkannter Blutung unter Marcumar  ® die letzte Einnahmepraxis nach derDosis- erhöhung erfragen und die Patientin dann mit Nach- druck umgehend einweisen müssen. Eine Ablehnung hätte unterschrieben werden müssen. Die Therapiever- zögerung geht zulasten des Arztes. Injektion In 13 von 27 Verfahren wurde fehlerhaft eine Injek- tion durchgeführt, darunter allein zehnmal in Kom- bination mit einem Korticosteroid fehlerhaft nicht tief intramuskulär mit der Folge einer Lipoatrophie, ohne Indikation bei möglicher oraler Schmerzmedikation, in einem Fall 24-mal in neun Jahren und in einem an- deren Fall trotz bestehender Antikoagulation mit Mar- cumar  ® mit einem nicht zugelassenen Arzneigemisch mit Piroxicam. Hausbesuch Im Rahmen des KV-Notdienstes wurde eine 74-Jäh- rige mit Schwäche seit einigen Tagen, bekannter An- ämie mit Eiseneinnahme und bei nicht erreichbarem Hausarzt im Pflegeheim aufgesucht und nur eine aus- reichende Flüssigkeitszufuhr anempfohlen. Eine Ein- weisung erfolgte nicht, obwohl die Patientin mit re- duziertem Allgemeinzustand unter einer Anämie von 5,7 g/dI mit Teerstuhl bei Sickerblutung imDünndarm litt, was sich noch am gleichen Tag durch die Initiative der Angehörigenmit Einweisung ins Krankenhaus her- ausstellte und dort operativ behandelt wurde. Fazit Hausärzte wurden in den Verfahren vor der Gutachter- kommission häufiger als andere Fachärzte wegen ver- meintlicher Diagnosefehler in Anspruch genommen. Nur im KV-Notdienst und bei Hausbesuchen waren die Vorwürfe häufiger begründet. Den Ärzten ist dabei zu Gute zu halten, dass unter häuslichenBedingungen nur eine eingeschränkte Diagnostik zur Verfügung steht. Vielfach wurden die Patienten jedoch gar nicht ausrei- chend befragt oder be-/untersucht, sodass die Ursache der Beschwerden nicht erkannt werden konnte. Hier beschweren sich Patienten und deren Angehörige viel- fach zu Recht. Ärzten wird nach der Rechtsprechung die Möglichkeit eines haftungsrechtlich irrelevanten Diagnoseirrtums zugestanden, da die individuelle Ausprägung differen- zial-diagnostisch in Frage kommender Erkrankungen sie nicht stets vermeidbar fehlleiten können. Werden jedoch Empfehlungen konsultierter Fachärzte nicht umgesetzt, fehlt es an einer nötigen Überprüfung der ersten Diagnose („Arbeitsdiagnose“) oder fehlt es am „Um-Denken“ bei Nichtanschlagen der Therapie so- wie an einer Sicherungsaufklärung des Patienten über nötige Folgeuntersuchungen oder Befunderhebungen, kann aus einem Diagnoseirrtum leicht ein vorwerf- barer Diagnosefehler erwachsen, der im Übrigen auch dann anzunehmen ist, wenn der Irrtum nicht mehr vertretbar erscheint 1  . Gerade bei einer Erst-Konsultation sind eine genaue Anamneseerhebung und eine komplette Untersuchung des Patienten anzuraten. Für konsultierte Fachärzte ist es manchmal einfacher, genauer hinzuhören, da sie den Patienten nicht schon über Jahre mit seinen häufiger geklagten Beschwerden kennen. Die Nuance „anders als gewohnt“, kann aber schon einer weiteren Diagnostik bedürfen und erfordert eben dieses genaue „Hinhören“, was beim altbekannten Patienten sicher nicht immer einfach ist. Auch wenn es durch die Zeit- vorgaben nicht immer möglich erscheint, sollte man sich überlegen, ob man das Vorgehen bei sich selbst, eigenen Angehörigen und Freunden als sachgerecht und ausreichend ansehen würde. Dr. med. Werner Jörgenshaus ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a. D. Rainer Rosenberger ist Stellvertretender Vorsitzender und Dr. med. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein. 1  vgl. zu allem Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 11. Aufl., Rn 184, 185).

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