Gutachtliche Entscheidungen

20 | Gutachtliche Entscheidungen Allgemeinmedizin Keine Indikation zur Gabe eines Fluorchinolons Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungs- fehler bei der Ärztekammer Nordrhein war in jüngster Zeit mit zwei Fällen befasst, in denen die Patienten den Vorwurf erhoben hatten, anlässlich eines grippalen In- fekts und damit ohne Indikation mit einem Fluorchi- nolon antibiotisch behandelt worden zu sein und da- durch unter anderem Sehnenveränderungen erlitten zu haben. Beide Patienten beanstandeten außerdem, insbesondere über die möglichen Nebenwirkungen des Medikaments nicht aufgeklärt worden zu sein. Fall 1 Im ersten Fall warf ein 29-jähriger Patient einem Fach- arzt für Allgemeinmedizin vor, dass er im Jahre 2017 verursacht durch die Behandlungmit Ciprofloxacinne- ben Verdauungsproblemen, allergischen Symptomen wie Juckreiz und Atembeschwerden anhaltende Be- schwerden am rechten Unterarm und Handgelenk er- litten habe. Sachverhalt Laut der Karteikarte konsultierte der Patient den im Verfahren belasteten Arzt am 10. Oktober wegen Glie- der- und Kopfschmerzen. Die Tonsillen waren gerötet. Als Diagnose wurde ein grippaler Infekt niedergelegt. Am 27. Oktober stellte sich der Patient erneut vor. Ein- getragen wurde: „weiter Hals, jetzt hus knarrenTonsil- len entzündlich Atemgeräusch verstärkt, Lymphkno- ten rechts soweit sehr 2 cm S verschieblich“. Eine Diagnose wurde nicht vermerkt. Es erfolgte eine Ver- ordnung von Ciprofloxacin 500 mg, 14 Stück zur zwei- mal täglichen Einnahme. Bei der nächsten Vorstellung am 10. November wurde dokumentiert „rhi ko hus“, was nach der nachgereichten Erläuterung des Arztes „Nasennebenhöhlenentzündung, Kopfschmerz, Bron- chitis“ bedeuten solle. Es erfolgte eine Blutuntersuchung zur Feststellung eventueller entzündlicher Verände- rungen; der Verdacht bestätigte sich jedoch nicht. Der Patient suchte am 6. Januar 2018 eine (nicht belas- tete) Notfallpraxis wegen seit einer Woche bestehender Schmerzen im Handgelenk auf. Dort wurde ein Sal- benverband angelegt und Ibuprofen 400 mg verordnet. Am 10. und 15. Januar wurden in der Praxis des belas- teten Arztes Zinkleimverbände angelegt. Die dort am 19. Januar erneut erhobenen Entzündungswerte waren nicht und die Harnsäure minimal erhöht. Arbeitsun- fähigkeit wurde bis zum 24. Januar unter der Diag- nose „Sehnenscheidenentzündung“ und Überweisun- gen zum Röntgen und zum MRT des Handgelenks bescheinigt, wobei sich bei der Röntgenuntersuchung eine leichte Weitstellung im distalen Radioulnargelenk zeigte, die sich im MRT aber nicht bestätigte. Die letz- te Konsultation erfolgte am 5. März mit der Verord- nung von Allopurinol 100 und krankengymnastischer Übungsbehandlungen. Gutachtliche Bewertung Die Gutachterkommission ist zu der Beurteilung ge- langt, dass die Verordnung des Fluorchinolons nicht indiziert gewesen sei, da das Medikament wegen seiner möglichen erheblichen Nebenwirkungen nur der Be- handlung komplizierter Infektionen vorbehalten blei- ben solle. Eine Aufklärung über mögliche Nebenwir- kungen des Antibiotikums sei nicht dokumentiert. Ein Gesundheitsschaden, der mit praktischer Gewissheit durch die nicht indizierte Verabreichung des Medika- ments verursacht wurde, sei nicht feststellbar. Antibiotika wurden in der Vergangenheit in der primären Versorgung über Jahre nicht nur zu häufig, sondern auch zu unkritisch verordnet. Insbesondere der Einsatz von Fluorchinolonen geriet wegen ihrer erheblichen möglichen Nebenwirkungen zunehmend in die Kritik. Das erhöhte Risiko des Einsatzes von Fluorchinolonen sollte dabei nur in Kauf genommen werden, wenn kein anderes Mittel in Frage kommt. Die Vielzahl der Verordnungen lässt darauf schließen, dass Fluorchinolone nicht entsprechend ihrer Indikation nur bei schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Erkrankungen verordnet wurden. von Werner Jörgenshaus, Johannes Köbberling, Peter Lange und Beate Weber

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