Gutachtliche Entscheidungen

32 | Gutachtliche Entscheidungen che patientenbedingte Ursachen wie mangelnde Com- pliance bei der Einnahme und nötigen Kontrollen, be- stehende Leber- und Niereninsuffizienz oder Elektrolyt- störungen ursächlich infrage, sodass diese nicht zwangs- läufig dem Arzt zum Vorwurf gemacht werden kann. Bei der Medikation spielt die Erwartungshaltung des Patienten zudem eine nicht unerhebliche Rolle, so- dass zurzeit noch anzunehmen ist, dass, selbst wenn der Arzt sachgerecht über potentielle und typische, wenn auch seltene gravierende Nebenwirkungen auf- klärt, kaum ein Patient eine ärztlicherseits für gebo- ten gehaltene Medikation primär im Beisein des Arz- tes ablehnen würde, es sei denn er hat damit bereits Erfahrungen gemacht, vor allem nicht während einer stationären Betreuung. Es ist zu vermuten, dass Risi- koaufklärungsrügen erst dann erhoben werden, wenn unerwartete Nebenwirkungen aufgetreten sind. Hier- an wird sich möglicherweise durch das 2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz etwas ändern. Allen Ärzten sei daher angeraten, die auch für die orale Medikation verpflichtende mündliche Aufklärungs- pflicht über die wichtigsten Nebenwirkungen ernst zu nehmen und zu dokumentieren, wollen sie nicht Gefahr laufen, wegen Rechtswidrigkeit in Haftung genommen zu werden. Bei typischen Risiken eines Medikamentes ist auch dann aufzuklären, wenn es sich um sehr seltene Nebenwirkungen handelt. Bei der Übernahme eines Patienten sollte daher bei der Medi­ kamentenanamnese auch über unerwünschte Neben- wirkungen nachweislich gesprochen und die Indika- tion hinterfragt werden, bevor der Arzt die Medikation fortführt, insbesondere wenn der Patient sehr viele Medikamente einnimmt oder schon betagt ist. Sehr hilfreich für die Risikoerfassung von uner- wünschten Medikamentenwirkungen und Medika- tionsfehlern würde es sein, wenn sich alle Ärzte an der Erfassung von Medikationsfehlern beteiligen würden, nicht nur, wenn es „außergewöhnliche“ Fälle sind, was durch geringen Zeitaufwand möglich wäre [2]. In acht Fällen mit potenzieller Rechtswidrigkeit wurde von der Kommission eine hypothetische Einwilligung angenommen, da die Patienten nicht darlegten, dass sie bei ausreichender Kenntnis der Risiken tatsächlich auf die Medikamentengabe verzichtet hätten. So bei- spielsweise im Fall von Geschmacksstörungen nach einer Chemotherapie bei Non-Hodgkin-Lymphom, einem Paravasat der dritten Mitroxantrongabe, obwohl von der unter Multiple Sklerose leidenden Patientin noch der vierte und fünfte Zyklus wunschgemäß erfolgte, einer – erfolgreichen – Risperidonbehandlung eines de- menten, im Pflegeheim lebenden Patienten mit akuter wahnhafter Störung ohne Einholen der Einwilligung durch den gesetzlichen Betreuer (Sohn) oder bei einer Grippeschutzimpfung einer dementen Heimpatientin ohne weitere Folgen. Fazit Angesichts von aktuellen Literaturangaben zu Medi- kationsfehlern [1], wonach beispielsweise 5 Prozent der Krankenhausbehandlungen in Deutschland bedingt sind durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen und davon etwa die Hälfte auf vermeidbaren Medikations- fehlern beruhen, werden vergleichsweise selten Vor- würfe zur Medikation der Gutachterkommission Nord- rhein vorgetragen und dort entschieden. Dies mag einer- seits daran liegen, dass patientenseits wahrgenommene „Unverträglichkeiten“ von Medikamenten des öftern dazu führen, dass diese Mittel einfach nicht weiter ein- genommen werden und erst bei einem weiteren Arzt- besuch darüber berichtet wird, wenn es um die Weiter- verordnung geht. Selbst wenn eine Intoxikation, bei- spielsweise durch Digitalis, zu einer Krankenhausbe- handlung geführt hat, kommen hierfür auch zahlrei- Professor Dr. med. Johannes Köbberling, langjähriges Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied und Dr. med. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein. [1] Patel NS, Patel TK, Patel PB, Naik VN, Tripathi CB. Hospitalizations due to preventable adverse reactions – a systematic review. Eur J Clin Pharmacol 2017; 73(4): 385–98. [2] https://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/ Medikationsfehler/index.html; https://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/ UAW-Meldung/index.html Fehler bei Arzneimitteltherapie LITERATUR Arzneimitteltherapie

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