Gutachtliche Entscheidungen

Kopfschmerzen im Alter: An die gefährliche Riesenzellarteriitis denken Die Riesenzellarteriitis (Morbus Horton, Arteriitis temporalis) ist ein für das Sehen hochgefährliches Krankheitsbild (AION-Gefahr!). Besonders bei Patien- ten mit einem Lebensalter über 50 Jahren mit plötz- lich auftretenden, ungewohnten Kopfschmerzen, be- sonders im Schläfenbereich, ferner mit Schmerzen der Kaumuskulatur und oder der Kopfhaut muss an diese Krankheit gedacht werden. Die Schläfenarterien können, müssen aber nicht unbedingt erkennbar ge- schwollen sein. Typisch sind eine stark erhöhte Blut- körperchen-Senkungsgeschwindigkeit und eine deut- liche Erhöhung des CRP-Wertes. Für die Therapie sind zwei Zeitfenster wichtig, das erste reicht von dem Beginn der Schmerzsymptoma- tik bis zur ersten Sehstörung (häufig ist diese bereits der Beginn der irreversiblen Erblindung eines Auges) und dauert oft mehrere Wochen. Das zweite Zeitfens- ter reicht von der Erblindung des ersten Auges bis zur Erblindung des zweiten Auges oft wenige Tage später. Werden diese Zeitfenster nicht genutzt, entsteht häufig eine beidseitige Erblindung. Die so früh wie möglich erforderliche Therapie ist nach Meinung der Gutach- terkommission eine Steroid-Behandlung mit initialer Megadosis (z.B. 1 g Prednisolon am Tag). Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungs- fehler bei der Ärztekammer Nordrhein hat sich neben ihrer Kernaufgabe auch zum Ziel gesetzt, über wieder- kehrende, vermeidbare Fehlermuster zu berichten. In Kooperation mit dem Institut für Qualität im Gesund- heitswesen Nordrhein (IQN) veranstaltet sie die Reihe „Aus Fehlern lernen“. Ein wiederkehrendes, immer gleiches Fehlermuster zeigt sich bei Patienten mit Riesenzellarteriitis (früher synonym auch als Arteri- itis temporalis Horton bezeichnet). Die wesentlichen Punkte sind, dass nicht oder zu spät an eine Riesen- zellarteriitis gedacht wurde – oder auch trotz eines Verdachts eine inkonsequente Behandlung erfolgte. Der Gutachterkommission liegen fünf entsprechende Anträge auf Feststellung eines Behandlungsfehlers vor. Die Riesenzellarteriitis wurde in zwei Publikationen im Deutschen Ärzteblatt 2013/2014 von Ness und Mit- arbeitern eingehend beschrieben (Ness et al 2013, cme- Artikel Ness et al 2014), sodass auf diese Schriften ver- wiesen werden kann. Es handelt sich um eine Erkran- kung des höheren Alters (über 50 Jahre, Häufigkeits- zunahme mit dem Alter). Eine granulomatöse Entzündung der Wand der Ar- terien, überwiegend im Kopfbereich, führt zu arte- riellen Verschlüssen, die – etwas vereinfacht (ausführ- lich bei Ness et al 2013/2014) – folgende Symptomatik hervorrufen: Plötzlich treten vorher nicht gekannte Dauer-Kopfschmerzen auf, besonders mit Schmerzen im Schläfenbereich und in der Kaumuskulatur, aber auch der Kopfhaut, oft mit geschwollenen Temporal- arterien, Krankheitsgefühl und subfebrilen Tempe- raturen. Die Entzündungsparameter im Blut (BSG, CRP) sind stark erhöht. Mit einer Latenz bis zu mehre- ren Wochen kann dann innerhalb weniger Tage eine doppelseitige Erblindung infolge einer Sehnervdurch- blutungsstörung (AION = anteriore ischämische Opti- cus-Neuropathie) entstehen, die nach Beginn der Seh- verschlechterung fast nie erfolgreich zu behandeln ist. Die Diagnose muss sich aus folgenden Gründen we- sentlich auf diese Früh-Symptome stützen: Eine Dopp- ler-Sonografie der Temporalarterien kann zwar bei nachgewiesenem Verschluss die Diagnose erhärten, ein negativer Befund ist aber nicht zum Ausschluss der Erkrankung geeignet. Für eine Biopsie der Temporal- arterien (beidseitig ergibt höhere Trefferrate, Breuer et Die anteriore ischämische Opticus-Neuropathie (AION) bei Riesenzellarteriitis führt oft innerhalb weniger Stunden zur Erblindung, die häufig mit einer Latenz von wenigen Tagen auch das zweite Auge betrifft. Sie kann mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine initial sehr hoch dosierte Corticosteroid-Behandlung verhindert werden, wenn diese vor den ersten Zeichen einer Sehstörung erfolgt. von Dieter Friedburg, Klaus Becker und Ernst Jürgen Kratz Gutachtliche Entscheidungen | 33 Augenheilkunde

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