Gutachtliche Entscheidungen

60 | Gutachtliche Entscheidungen Gynäkologie Befunderhebungsfehler vor der Verordnung von Kontrazeptiva Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungs- fehler bei der Ärztekammer Nordrhein hatte sich in jüngster Zeit häufiger (siehe T abelle 1) als noch in 2014 berichtet, mit der Bewertung von Behandlungsfehlern als Befunderhebungsfehler und den damit verbunde- nen Beweislastfragen zu beschäftigen (siehe auch den Artikel „Versäumte Befunderhebung: Folgen für die Beweis- last“ im Rheinischen Ärzteblatt 9/2014, Seiten 27–29). Sachverhalt Der Antrag der Mitte 20-jährigen Patientin richtete sich gegen einen niedergelassenen Frauenarzt (An- tragsgegner zu 1) und im Weiteren gegen zwei in einer Gemeinschaftspraxis tätige niedergelassene Internis- ten (Antragsgegner zu 2a und zu 2b). Die Antragstellerin warf dem belasteten Antragsgeg- ner zu 1 (Frauenarzt) vor, er habe eine nötige Blut- wertuntersuchung vor der Erstverschreibung eines Kontrazeptivums, das aus medizinischer Indikation verordnet wurde, versäumt und sie nicht ausreichend über die Nebenwirkungen aufgeklärt. Er sei für die spätere Thrombose und beidseitigen Lungenembolien verantwortlich, die von den nachbehandelnden An- tragsgegnern zu 2a und zu 2b (Internisten) fehlerhaft nicht erkannt worden seien. Die Patientin befand sich bei dembelastetenFrauenarzt seit August 2013 im Rahmen einer Notfallbehandlung wegen Dysmenorrhoe und Menstruationsbeschwerden in Behandlung. Verordnet wurde ein nichtsteroida- les Antiphlogistikum. Zuvor war sie über einen Zeit- raum von fünf Jahren wegen Harnwegsinfekten, Dys- menorrhoe und zur Krebsvorsorge bei einem anderen Frauenarzt betreut worden. Gegenüber diesem nicht beschuldigten Frauenarzt hatte sie beim letzten Arzt-­ Patienten-Kontakt im Dezember 2012 angegeben, kei- nen Kontrazeptionsbedarf zu haben. Am 17. Dezember 2013 stellte die Patientin sich dem belasteten Frauenarzt erneut vor. Er veranlasste eine Laboruntersuchung mit Bestimmung der Gerinnungs- parameter Antithrombin 3, Protein C-Aktivität, APC-­ Resistenz sowie des Rötelntiters. Die Laborbefunde wiesen für das Antithrombin 3 einen Wert von 90,6 % (Norm 79,4 bis 115,5 %) und eine Immunität gegen Rö- teln aus. Die Aktivität des Protein C war auf 54,4 % erniedrigt (Norm 70– 140 %). Die APC-Ratio wurde mit 0,91 erfasst (Norm < 0,7). In dem dokumentier- ten Befund heißt es: „leicht verminderte Aktivität von Protein C bei negativer Familienanamnese“. Ob diese Befunde der Patientin mitgeteilt (Informationspflicht), sie zur Familienanamnese befragt und eine Kontrolle erörtert wurden, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Die Praxisdokumentation des Frauenarztes weist für den 1. Dezember 2014 neben einer Krebsvorsorge im Übrigen auf eine Blutentnahme hin mit dem Vermerk: „Labor Prot C ohne Bedeutung“. Ein Fremdlaborbe- richt hierzu liegt nicht vor. Eine zur Sprache gebrachte Kontrazeption führte nicht zu einer entsprechenden Verordnung. Eine neuerliche Krebsvorsorge bei dem Frauenarzt erfolgte am 23. November 2015. Die Patientin be- Bei erniedrigter Aktivität von Protein C kann sich die Verordnung eines Kontrazeptivums als kontraindiziert erweisen. Es stellt einen Befunderhebungsfehler dar, wenn bei einem entsprechenden Vorbefund vom behandelnden Frauenarzt ein hereditärer Protein C-Mangel zuvor nicht ausgeschlossen wird. Dies gilt insbesondere auch vor der Verordnung eines kombinierten Östrogen-Gestagen-Kontrazeptivums, welches in dem nachfolgend dargestellten Fall aufgrund der möglichen Wechselwirkung mit der Protein C-Aktivität eine besondere Beachtung und eine gesteigerte Risikoaufklärung erfordert hätte. Die nachbehandelnden Internisten hätten den gefährlichen Verlauf erkennen und eine abklärende Diagnostik veranlassen müssen. Die Unterlassung ist als Behandlungsfehler im Sinne eines Befunderhebungsfehlers zu bewerten. von Uwe Kindler, Helmut Kaulhausen, Jürgen Krömer, Paul-Heinz Gröne und Beate Weber

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