Gutachtliche Entscheidungen

Gutachtliche Entscheidungen | 71 Innere Medizin Vorsicht beim Ausgleich einer Hyponatriämie Es findet sich ein handschriftlich ausgefülltes Doku- mentationsblatt vom 21./22. April, auf dem folgende Werte eingetragen sind: 16.00 Uhr Natrium 101 mmol/l 19.45 Uhr Natrium 105 mmol/l 22.15 Uhr Natrium 108 mmol/l 01.14 Uhr Natrium 110 mmol/l 05.46 Uhr Natrium 111 mmol/l Hiernach ist es also bereits über einen Zeitraum von 14 Stunden zu einem Anstieg des Serum-Natriumwertes um 10 mmol/l gekommen. Der Chefarzt der Klinik hat eine Stellungnahme nach- gereicht, in der die mitgeteilten Natriumwerte und die Abnahmezeiten leicht von den handschriftlich notier- ten Werten abweichen. Demnach habe bei der Aufnah- me eine hypervolämische Hyponatriämie mit einem Serum-Natriumwert von 106 mmol/l um 13.57 Uhr, am Abend des Tages von 108 mmol/l und am 22. April um 5.15 Uhr von 112 mmol/l bestanden. Anschließend sei es dann leitliniengerecht unter Verzicht auf eine Volumenrestriktion unter 0,9%-igen NaCl-Infusionen zu einem Anstieg des Serum-Natriums auf 126 mmol/l innerhalb eines Tages und dann innerhalb von 10 Std. auf 135 mmol/l gekommen. Ein Vergleich mit Origi- nalbefunden ist nicht möglich, da diese von der Klinik nicht überlassen wurden. Der Allgemeinzustand des Patienten besserte sich nach den Unterlagen nur langsam und es zeigten sich psy- chische Auffälligkeiten, die durch einen konsiliarisch beigezogenen Neurologen als depressive Stimmungs- lage interpretiert wurden. Zwischenzeitlich trat eine Katheterinfektion mit Staphylococcus aureus auf, zu- dem bildeten sich bei starkem Eiweißmangel Unter- schenkelödeme und ein kleiner Pleuraerguss rechts aus, die sachgerecht therapiert wurden. Allerdings wurde der Patient psychisch immer auffälliger, ent­ wickelte einen Tremor, konnte nicht mehr aufstehen und vermittelte einen stark abgeschlagenen Eindruck. Bei einer weiteren neurologischen Untersuchung la- gen eine hochgradige Dysarthrie, aber keine Schluck- störungen oder Augenmotilitätsstörungen vor. Unter dem Verdacht auf eine dissoziative und regressi- ve Störung erfolgte am 8. Mai eine Verlegung in eine psychiatrische Klinik. Dort wurde die Diagnose einer zentralen pontinen Myelinolyse gestellt und der Pa- tient wurde am nächsten Tag in eine neurologische Klinik verlegt, wo sich am 19. Mai die Verdachts­ diagnose auch im MRT in Form einer deutlichen Signalanhebung nahezu des gesamten Pons mit relativ scharf begrenzten Rändern der Signalveränderungen bestätigte. Die zentrale pontine Myelinolyse Eine Hyponatriämie kann sehr verschiedene Ursachen haben, die auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Bei leichterer, hypervolämisch bedingter Hypo- natriämie infolge Überwässerung kann bereits eine Volumenrestriktion zielführend sein. Das Gebot des sehr langsamen Natriumausgleichs gilt insbesondere für Fälle mit längere Zeit bestehender substitutions- pflichtiger Hyponatriämie. Bei der zentralen pontinen Myelinolyse handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung, die speziell durch eine zu schnelle Korrektur eines verminderten Natriumspiegels im Organismus entsteht. Wenn näm- lich die Hyponatriämie schnell ausgeglichen wird, kann es zu einer Störung der Homöostase kommen. Durch das Ungleichgewicht der Osmolalität intra- und extrazellulär strömt Wasser aus den Zellen, um die Störung der Osmolalität auszugleichen. Dies führt dann zu einer Zellschrumpfung und über einen nicht im Einzelnen bekannten Mechanismus zu einer Zer- störung von Myelinscheiden, ein Vorgang den man als osmotische Demyelinisierung bezeichnet. Klinisch kommt es einige Tage nach übermäßig schnel- lem Ausgleich der Hyponatriämie zu unterschied- lichen neurologischen Störungen mit Bewusstseins­ einschränkungen bis hin zum Koma mit Lähmungen und Störungen der Hirnstammfunktion. Das Aus- maß der glücklicherweise meist langfristig reversiblen Schäden kann stark variieren, von leichter Müdigkeit bis hin zu einem vollständigen Koma und komplet- ten Lähmungen, auch mit Versagen der Atemfunktion. Zu den typischen Symptomen gehören Schluck-und Sprachstörungen, progrediente Extremitätenlähmun- gen, Augenmotilitätsstörungen und andere Hirnnerven- und Hirnstammstörungen, im Extremfall ein Locked-­ In Syndrom mit Dezerebrationsstarre.

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