Gutachtliche Entscheidungen

70 | Gutachtliche Entscheidungen Innere Medizin Vorsicht beim Ausgleich einer Hyponatriämie Innere Medizin Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungs- fehler bei der Ärztekammer Nordrhein hatte sich im Jahr 2018 in zwei Fällen mit der Frage zu beschäftigen, ob eine zentrale pontine Myelinolyse bzw. eine darauf hindeutende Symptomatik Folge eines fehlerhaft zu schnellen Ausgleichs einer Hyponatriämie gewesen ist. In beiden Fällen wurde ein Behandlungsfehler festge- stellt. Falldarstellung 1 Eine 70-jährige Patientin stellte sich in der belaste- ten Klinik am 5. August im reduzierten Allgemein- zustand, wach, aber zeitlich nicht scharf orientiert, vor, nachdemsiebereits seit dreiWochenüber anhalten- de, nicht blutige Durchfälle bei bekanntem Reizdarm- syndrom mit zeitweisen Erbrechen litt. Neurologisch fanden sich keine Auffälligkeiten. Im Einzelnen wur- de notiert: „runde isokore Pupillen, kein Nystagmus, kein Meningismus, intakte Hirnnerven, Sprache ad- äquat, kein senso-motorisches Defizit, kein Anhalt für ein fokal neurologisches Defizit.“ Eine arterielle Hypertonie war bekannt, und ein Nikotinabusus wur- de vermerkt. Laborchemisch wurden um 14.59 Uhr neben einer Leukozytose, einer leichten Anämie, leicht erhöhten Leberwerten und einem verminderten Kaliumwert vor allem eine sehr ausgeprägte Hyponatriämie von 107 mmol/l festgestellt. Die Patientin wurde daher umgehend auf die internistische Intensivstation des Hauses verlegt. Dort wurde die Vormedikation mit Hydrochlorothiazid sachgerecht pausiert. Hier erhielt die Patientin zunächst eine Infusion von 500 ml Na- triumchlorid 0,9 % innerhalb von sechs Stunden und anschließend eine Dauerinfusion mit Natriumchlorid in Höhe von 105 ml/Stunde. Am Folgetag wurde um 9.23 Uhr, also nach 17,5 Stun- den, bereits ein Serum-Natriumwert von 121 mmol/l festgestellt. Die Gabe von Natriumchlorid wurde da- raufhin zunächst pausiert. Der weitere Anstieg des Serumnatriums erfolgte angemessen langsam, so dass am 9. August ein Wert von 131 mmol/l gemessen wur- de. Die Durchfälle sistierten und die Patientin konn- te am 10. August im weitgehend unauffälligen Allge- meinzustand entlassen werden. Allerdings wurde sie am 21. August in einer neurologischen Klinik stationär aufgenommen, weil sie, beginnend bereits am Entlas- sungstag, unter einer zunehmenden Gangunsicherheit und Dysarthrie ohne sonstige Ausfallserscheinungen litt. Falldarstellung 2 Ein 27-jähriger Patient wurde am 21. April in einem stark reduzierten Allgemeinzustand mit einer de- kompensierten Leberzirrhose bei Alkoholabusus und Polytoxikomanie stationär in der belasteten Klinik aufgenommen und berichtete, dass er in den vergan- genen zwei Monaten unter Übelkeit und Erbrechen gelitten habe. Laborchemisch fand sich eine schwere Hyponatriämie. Der Patient wurde sogleich auf die In- tensivstation verlegt. Der Notaufnahmebefund endete mit der pauschalen Empfehlung einer „Natrium- und Kaliumsubstitution“. Ein an die Intensivstation gerich- teter Bericht aus der Notaufnahme empfiehlt „Jonos- teril 1000 ml i.v. sowie Natriumchlorid 0,9% i.v. nur nach Rücksprache“. In den Behandlungsunterlagen, auch bezüglich der Be- handlung auf der Intensivstation, finden sich nur spär- liche Dokumentationen über den Behandlungsverlauf. Unabhängig von der notwendigen Ursachenabklärung muss eine Hyponatriämie ausgeglichen werden. Bei einer zu schnellen Kompensation der Natriumwerte kann es jedoch zu einer typischen Komplikation kommen, der sogenannten zentralen pontinen Myelinolyse, einer ernsthaften und potenziell lebensbedrohlichen neurologischen Erkrankung. Zur Vermeidung dieser Komplikation ist die in der Fachliteratur genannte Maßgabe unbedingt einzuhalten, der zufolge der Anstieg des Serum-Natriumwert unter Substitution auf höchstens 10 mmol/24 h zu begrenzen ist. von Johannes Köbberling, Rainer Rosenberger und Beate Weber Innere Medizin

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=