Gutachtliche Entscheidungen

78 | Gutachtliche Entscheidungen Innere Medizin Diagnosefehler In fünf Fällen mit Diagnosefehlern waren pathologi- sche EKG-Veränderungen bei typischen Beschwer- den nicht erkannt worden. Darunter ein Fall, in dem das bei nächtlichen Beschwerden angefertigte EKG ärztlicherseits nicht in Augenschein genommen wur- de, sodass eine fehlerhafte Ableitung (Vertauschen der Armelektroden) nicht bemerkt und ein Vorder- wandinfarkt zu spät erkannt und behandelt wurde. Bei zwei Patienten wurde ein ST-Hebungsinfarkt im EKGfehlerhaft nicht erkannt, und es erfolgten– erst nach Stunden später eintreffenden pathologischen CK-Wer- ten mit Nachweis des Infarktgeschehens – zu späte Ver- legungenzurHerzkatheteruntersuchung. IneinemFall mit lediglich automatisierter Gerätebefundung wurde das EKG als unauffällig beschrieben – trotz angedeu- teter ST-Hebung in V2 – V4 und bei auffällig positiver T-Welle – bei gleichzeitiger Überinterpretation eines in der Streubreite liegenden leichten Rückgangs des Tro- ponins innerhalb von einer Stunde von 10,5 ng/l (nor- mal < 5 ng/l) auf 9,9 ng/l. Dadurch wurde der vor- liegende Herzinfarkt verspätet erst mit Eintreffen der pathologischen CK-Werte nach 3,5 Stunden erkannt. Nicht indiziert war in einem Fall eine Ergometrie, da zuvorbereits –nicht erkannte– pathologischeEKG-Ver- änderungen vorlagen, zudem wurde die Ergometrie trotz signifikanter Ischämiezeichen fehlerhaft nicht sofort abgebrochen. Bei einer 47-jährigen Patientin mit den Risikofaktoren Rauchen und arterielle Hypertonie bestanden seit einer Woche starke Brustschmerzen. Die unter anderem durchgeführte Ergometrie erfolg- te ohne ausreichende Ausbelastung (nur bis 100 Watt und mit einer maximalen Herzfrequenz von nur 116/ Minute), sodass diese Untersuchung hinsichtlich der Fragestellung wertlos war. Die Patientin erlitt fünf Tage später einen Vorderwandinfarkt bei akuter Plaqueruptur bei bestehenden subtotalen und hoch- gradigen Stenosen einer 2-Gefäßerkrankung, die nach Auffassung des Gutachters zuvor hätten erkannt und revaskularisiert werden können. Kausalschaden In 18 der 43 Fälle mit Diagnosevorwürfen wurde ein kausaler Gesundheitsschaden festgestellt, darunter vier von zehn Todesfällen, acht dauerhafte Funktions- störungen des Herzens, eine milde und zwei schwere Befunderhebungsfehler In den zugrundeliegenden 241 Fällen hatten Diagnose- fehlervorwürfe zum akuten Koronarsyndrom bezie- hungsweise Herzinfarkt zwar nur einen Anteil von gut einem Sechstel (17,0 Prozent), es fanden sich hier mit 21 Fehlern aber 42 Prozent der insgesamt bei Ko- ronarer Herzerkrankung als Hauptdiagnose ex post festgestellten 50 Behandlungsfehler. Bei zwei Drit- teln der 21 fehlerbehafteten Verfahren zur Diagnostik wurden Befunderhebungsfehler festgestellt; betroffen waren drei Hausärzte, vier im KV-Notdienst tätig ge- wordene Allgemeinmediziner sowie ein Neurologe, ein Kardiologe und fünf aufgesuchte Klinikambulanzen. Trotz typischer, auf ein akutes Koronarsyndrom differenzial-diagnostisch hindeutender Symptomatik fehlte es in diesen Fällen an einer Basisdiagnostik, zum Beispiel an einer ausreichenden Anamnese zu den Beschwerden und den Risikofaktoren sowie an einer Untersuchung des Patienten, an einem EKG und/oder an einer Bestimmung des Troponins beziehungsweise an einer Klinikeinweisung zur weiteren Diagnostik/ stationären Beobachtung. Beispielsweise wurde bei einem 75-jährigen Patienten mit einer erstmaligen, auf eine instabile Angina pektoris hindeutenden Symptomatik vom Hausarzt zwar ein EKG durchgeführt, dabei aber nicht bedacht, dass ein unauffälliger EKG-Befund einen NSTEMI nicht aus- schließt. Der Patient wurde nach Besserung unter Nitrogabe und einem Rezept für ein Nitro-Spray mit der Maßgabe entlassen, sich am nächsten Tag zur EKG-Kontrolle wieder vorzustellen. Nach Auffassung des Gutachters wäre bei diesem Patienten jedoch eine Bestimmung des Troponins sofort und im Verlauf von sechs Stunden geboten, die zwar bisher in einer haus- ärztlichen Praxis nicht vorgehalten werden muss, in einem solchen Fall aber zur Facharztüberweisung oder Einweisung des Patienten hätte führen müssen. Wenige Stunden später wurde auf Betreiben der An- gehörigen andernorts ein dreifach über dem Refe- renzwert liegender Troponinwert bei hochgradiger Koronarsklerose mit 95-prozentigen Stenosen festge- stellt, unter medikamentöser Therapie stabilisiert und fünf Tage später eine koronare Bypassoperation zuge- führt, sodass der Patient keinen Gesundheitsschaden erlitten hat. Diagnose- und Behandlungsfehlervorwürfe bei Koronarer Herzerkrankung

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