Rheinisches Ärzteblatt 12/ 2022

44 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 12 / 2022 Kulturspiegel Mit „Das Fest“ nach dem Drehbuch von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov bringt das Schauspiel Essen mit starken Bildern ein Tabu-Thema auf die Bühne. von Jürgen Brenn Helge wird 60 und hat zu einer rauschendenGeburtstagsfeier eingeladen. Niemand aus seiner Familie darf fehlen. Auch Freunde und weitere Verwandte, wie Onkel Leif, geben sich ein Stelldichein, um den Patriarchen underfolgreichenHotelierHelgeKlingfeldt-­ Hansen zu feiern. Doch die Feier gerät aus den Fugen als Christian, der älteste Sohn, die traditionelle Geburtstagsrede auf den Vater nutzt, umden jahrelangen Missbrauch an sichund seiner Schwester Linda, die sich deswegen das Leben genommen hat, öffentlich zu machen. 1998 sorgte der Film„Das Fest“ international für Aufsehen, dessen Drehbuch der bekannte dänische Regisseur und Autor Thomas Vinterberg zusammen mit dem Leiter des Fachbereichs Drehbuch an der DänischenFilmhochschule inKopenhagen Mogens Rukov, geschrieben hatte. Nicht allein das Thema Kindesmissbrauch sorgte für Furore, sondern auch die Aufnahme nachdenRegeln von „Dogma 95“. Dahinter verbarg sich ein von Vinterberg unter anderem zusammen mit Lars von Trier entwickeltes filmisches Konzept, das weitestgehend auf Verfremdungseffekte und Künstlichkeit zugunsten möglichst hoher Authentizität verzichtet. AmSchauspiel Essen führt KarstenDahlem die Regie bei der Inszenierung des Stücks, das in einer von Bo Hr. Hansen für die Bühne bearbeiteten Fassung am Essener Grillo-Theater zu sehen ist. Schon vor Beginn des Festes zeigt sich der Jubi- lar Helge, jovial gespielt von Jens Winterstein, von seiner patriarchalischen Seite. Seinen ältesten Sohn Christian, intensiv gespielt von Philipp Noack, begrüßt er, indem er ihn in den Schwitzkasten nimmt. Zwar ist Christian inzwischen ein erwachsener Mann, aber er wird von seinemVater, der Übergriffigkeit mit Herzlichkeit verwechselt, immer noch wie ein Kind behandelt. Als Christian mit seinem Missbrauchsvorwurf die Bombe platzen lässt, bröckelt zumindest für einen kurzen Moment die bürgerliche Fassade der Familie. Michael, der jüngste Spross der Familie, demAlexey Ekimov eine beinahe zu prollige Note verleiht, stellt sich auf die Seite des Vaters. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Michael wuchs in einem Internat auf und blieb selbst von den Übergriffen verschont. Die älteste Tochter Helene, gespielt von Sabine Osthoff, steht der Situation völlig hilflos gegenüber. Dabei ahnte sie, warum sich ihre jüngere Schwester Linda das Leben nahm, nachdem sie deren Abschiedsbrief gefunden hatte. Linda, gespielt von Trixi Strobel, ist in einem zerrissenen Kleid als Stachel im Gewissen ihres Vaters und zur moralischenUnterstützung Christians ständig auf der Bühne präsent. Siemusste zusammenmit ihremBruder die sexuellen Übergriffe ihres Vaters ertragen und sah als junge Frau keinen anderen Ausweg, als sich umzubringen. Auchwenn die Anschuldigungen Christians in ihrer schonungslosenKlarheit unter die Haut gehen, vollbringt die Festgesellschaft nach einer kurzen Schockstarre das Kunststück, um den Elefanten im Raum herumzutanzen. Verdrängen, leugnenoder einfach ignorieren und mit einem dümmlichen Kalauer zur Tagesordnung übergehen, sind die gängigsten Strategien, um sich einzureden, es sei nichts geschehen. Aber Christian legt bei nächster Gelegenheit nach undwird noch deutlicher. Seiner Mutter Else, gespielt von Ines Krug, wirft er vor, von dem Missbrauch gewusst und die eigenen Kinder nicht vor den Übergriffen des Vaters geschützt zu haben. Einmal, so sagt Christan, habe die Mutter die Tür zumArbeitszimmer geöffnet, als sichHelge an seinen beiden Kindern verging. Er verwies sie des Zimmers. Else gehorchte. Mit dieser Ungeheuerlichkeit konfrontiert, schiebt Else die Anschuldigungen ihres ältestenSohnes auf seine schon immer rege Phantasie, die sich früher darin gezeigt habe, dass Christian sich einen unsichtbaren Begleiter Namens Snut ausgedacht hatte. Die angespannte Situation auf der Familienfeier sucht sich ein anderes Ventil. Helenes Geliebte Luzolo, gespielt von Azizè Flittner, ist Ausländerin und schwarz. Das ist für Proll Michael eine Steilvorlage, um seineVerunsicherungan ihr abzureagieren. Allerdings kommt er mit seinen homophobenund rassistischenAndeutungenbei der schlagfertigen Frau nicht weit. MitWumms verweist sie Michael in die Schranken. Luzolo ist es auch, die mit dem Zeigefinger gnadenlos auf den Elefanten im Raum deutet, bis die Fassade zerbricht und der Kinderschänder seine Schuld gesteht. Informationen auch zum aktuellen Hygienekonzept des Theaters unter www.theater-essen.de und unter 0201 8122-200. Der Elefant im Raum Schwere Vorwürfe muss sich Helge, gespielt von Jens Winterstein (rechts), von seinem ältesten Sohn Christian, gespielt von Philipp Noack, anhören. Und das ausgerechnet an seinem Geburtstag. Foto: Birgit Hupfeld

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