CORTISSIMO 09

Dass Erik Spiekermann gerne selbst anpackt, wird schon bei der Begrüßung deutlich. Weil der Tisch, an dem das Gespräch stattfin- den soll, noch von Buchstaben, Papieren und Büchern übersät ist, muss erst einmal Ordnung geschaffen werden. Mit der routinierten Art eines Menschen, der es gewohnt ist, mit den Händen zu arbeiten, sortiert er in Windeseile alles in die richtigen Schubladen und Fächer und wischt anschließend den Tisch sauber: „Wenn man in so einer Bude keine Ordnung hat, dann kann man’s vergessen!“ Inhaltlich soll es heute um p98a und die Zukunft des Buch- bzw. Hochdrucks gehen – aber egal, welches Thema gestreift wird: Erik Spiekermann kann zu allem etwas sagen. Für seine klaren Meinungen ist er bekannt. Bewahren und basteln „Eigentlich war das Drucken ja nur ein Hobby“, sagt Spiekermann. Man könnte das für eine Untertreibung halten, immerhin finanzierte er sein Studium der Kunstgeschichte durch den Betrieb einer Keller- druckerei in Berlin, bevor er für einige Jahre nach London ging und Ende der 70er, zurück in Berlin, seine erste Designagentur gründete. Wie ist er nach einer sehr erfolgreichen Berufskarriere auf die Idee zu p98a gekommen? „Ich hatte zu Hause erst nur ein Maschinchen stehen, dann waren es plötzlich zwei oder drei. 2013 habe ich diese Räume hier gefunden. Und dann ist das so ein bisschen explodiert.“ Unter anderem, weil p98a vor zwei Jahren den Bestand eines Dru- ckereimuseums aus Oldenburg übernommen hat. „Das konnten wir nicht ablehnen und haben jede Menge Zeug mitgebracht, das wir eigentlich gar nicht brauchen konnten.“ Darunter auch die Ludlow-Bleigießmaschine, mit der Buchsta- benzeilen hergestellt werden. „Die haben wir nach einem halben Jahr Rumbasteln, Rumstochern, Fingerverbrennen und Fluchen zum Laufen bekommen. Ich weiß nicht genau, wie, aber es funktio- niert. Mit heißem Blei! Braucht kein Arsch, ist aber cool. Wunderbar primitiv-mechanisch.“ Erik Spiekermann lacht. Keine Facette des Druckens, die ihn nicht zu begeistern scheint. Oder die ihn besorgt: „Es gibt in Deutschland nur einen einzigen Schriftgießer, der ist 75, der findet keinen Lehrling. Also diese Tätigkeit, Bleischrift herzu- stellen, die Gutenberg erfunden hat, die aus Deutschland kommt, die gibt es hier bald nicht mehr. Das muss man sich mal überlegen!“ Ähnlich sieht es bei den klassischen Buchdruckern aus. Alle über 70 Jahre alt. Papier in Kultur verwandeln Natürlich war p98a von Anfang an mehr als ein Museum für Druck- maschinen und Buchstaben. Von denen gibt es schließlich genug. „Wir haben jede Menge Museen, überall. Die Maschinen sind alle blankgeputzt, mit roter Schnur drum: ‚Bitte nicht berühren!‘ Das nützt uns gar nichts. Diese Maschinen existieren, um damit zu produ- zieren. Wenn die im Museum stehen als Monumente einer vergange- nen Kultur, ist auch das damit Verbundene weg.“ Deswegen hat er es sich mit p98a zur Aufgabe gemacht, den ana- logen Buchdruck für das digitale Zeitalter zu retten. „Wir schauen: Wo verzahnen sich das Digitale und das Analoge, wo ist das eine gut, und wo ist das andere gut? Nicht digital versus analog, sondern digi- tal Schrägstrich analog.“ In einer Welt, in der ihre Arbeit viele Men- schen zur Bewegungslosigkeit vor dem Computer verdammt, ist das Handwerk des Druckens, das Setzen von Buchstaben und Bedienen von Maschinen mehr als eine vitalisierende Kontrastbeschäftigung für Kopf und Hände. Immerhin entsteht am Ende Kultur. Es geht um die Bewahrung einer mehr als 500 Jahre alten Technik, die vom Zu Besuch in Erik Spiekermanns Buchdruckwerkstatt p98a Auf demWeg zu p98a begegnen einem einige große Gestalter Berlins: An der Potsdamer Straße, kurz hinterm Potsdamer Platz, prägt Hans Scharoun mit Philharmonie und Staatsbibliothek das Gesicht der Stadt ebenso wie Ludwig Mies van der Rohe mit der Neuen Nationalgalerie. Auch Erik Spiekermann gehört in die Reihe der Großen. Deutschlands bekanntester Typograf und Gestalter hat Berlin nicht nur das allgegenwärtige Brandenburger- Tor-Logo verpasst, sondern auch in den frühen 90ern das Leitsystem für den öffentlichen Nahverkehr der wiedervereinigten Stadt entwickelt. Heute kümmert er sich in seiner experimentellen Buchdruckwerkstatt p98a um die Zukunft des klassischen Hochdrucks. „EIGENTLICH WILL ICH NUR EXPERIMENTIEREN “ 15 CORTISSIMO 9

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