CORTISSIMO 09

Kreativ werden mit beschränkten Mitteln Einen schönen Beweis für die altmodische Druckqualität liefern die Plakate, die hier überall an den Wänden hängen und im Online-Shop von p98a verkauft werden (neben Büchern, Notiz- büchern, Postkarten, dem Werkstattmagazin Paper und der eige- nen Kaffeesorte „Letterpresso“). Sie zeugen inhaltlich nicht nur vom trockenen Humor des gebürtigen Niedersachsen, sie bele- gen auch seine These, dass die Einschränkungen des Buchdrucks die Kreativität fördern: „Man kann eine große Vorstellung haben, was man machen will, aber die ist durch die geringere Auswahl an Materialien erheblich eingeschränkt. Ich muss mich danach richten, was ich entweder direkt im Hause habe oder was ich ohne große Mühe besorgen kann. Wir haben drei Papiergrößen und zwei oder drei Papiersorten. Dann haben wir von diesen großen Schriften ganz viele, aber da fehlen dann eben manchmal Buch- staben oder es sind nicht genug da oder in den großen Größen gibt es nur ein A, in den kleinen Größen gibt’s mehr, aber dann sind die zum Teil kaputt oder da fehlen die Umlaute oder es fehlen die Eszetts oder es fehlen die Ypsilons. Es gibt also unglaublich viel mehr Einschränkungen als Möglichkeiten. Und da muss man dann kreativ sein!“ Wie zum Beispiel beim Plakat „Better done than prfect“. Es gab nur vier „e“ – also ließ man das fünfte weg und erweiterte dadurch die Satzbedeutung. „Das ist der normative Zwang des Faktischen, das war nicht als cleverer Gag gedacht“, betont Spiekermann und grinst: „Inzwischen haben wir das Plakat schon dreimal nachgedruckt. Weil’s doch clever ist.“ Verschwinden bedroht ist, um das Neuerlernen von Langsamkeit und die Schärfung der Sinne für Nachhaltigkeit, um Planung und Einsicht. Deshalb, und natürlich auch, um Geld für Miete, mehrere Angestellte und eine Praktikantin zu verdienen, bietet p98a Druckworkshops an. Die Grenzen des Digitalen „Das Digitale ist ja da, wie Wasser und Luft, das kriegen wir nicht wie- der weg. Wäre ja auch dumm. Es ist da, und es bestimmt nicht nur unsere Arbeit, es bestimmt auch unser Leben. Und die Frage ist jetzt: Welche Rolle spielt das Analoge für unser Lebensgefühl? Dass man auch was zum Anfassen braucht, wenn man den ganzen Tag vorm Bildschirm sitzt, wissen wir alle. Wir sind als Menschen evolutionär dafür gebaut, uns mit Gegenständen zu beschäftigen.“ Erik Spieker- mann zeigt seine Hände. „Dafür haben wir die Dinger ja!“ Er betont, dass das Drucken an den alten Maschinen keine rückwärtsgewandte Freizeitgestaltung, nichts Sentimentales sei. „Es gibt ja Leute, die machen diese Buchdrucksachen aus nostalgi- schen Gründen und lehnen auch alles Moderne ab. Wir wollen aber zeigen: Der klassische Hochdruck hat Vorteile, diese altmodische Druckqualität, dass man’s anfassen kann, dass es langsam ist, dass man, wenn man in die Maschine reinguckt, sehen kann, wo der Ras- ter herkommt, über den die Webdesigner jetzt so schwärmen, als ob sie ihn erfunden hätten, dabei gab’s den schon bei Gutenberg.“ Wichtig sei der Dialog mit den Digital Natives, den App-Entwicklern und Start-up-Gründern über die Grenzen des Digitalen und den uneinholbaren Vorteil des Analogen: „Wo muss man aufhören mit dem Digitalen, weil es dann nicht mehr menschlich ist?“ 18 Das Backsteingebäude, in dem sich p98a befindet, ist ein historischer Ort. Es wurde 1893 gebaut, Auftraggeber waren der Verein Berliner Künstlerinnen und Kunstfreundinnen und das Viktoria-Lyceum. Hier lehrte Käthe Kollwitz und studierte Paula Modersohn-Becker. „Die Frage ist jetzt: Welche Rolle spielt das Analoge für unser Lebensgefühl?“ 18 CORTISSIMO 9

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