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Die Fraunhofer-Gesellschaft beschäftigt sich intensiv mit aktuellen
Fragestellungen rund um den arbeitenden Menschen. Welche Ände-
rungsprozesse die Arbeitswelt bereits durchlaufen hat, welche Kon-
sequenzen daraus erwachsen und wohin die Reise geht, darüber
sprechen wir mit dem Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft Prof.
Dr. Hans-Jörg Bullinger.
Wie hat sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren verän-
dert? Hat dies auch die Art der Zusammenarbeit beein-
flusst?
Unsere Arbeitswelt hat sich dramatisch verändert. Blicken wir
doch nur einmal knapp 20 Jahre zurück. Im Jahr 1993 wurde mit
der Einführung des World Wide Web, kurz WWW, der erste grafik-
fähige Webbrowser namens Mosaic veröffentlicht und zum kos-
tenlosen Download angeboten. Davor gab es kein Internet, kön-
nen wir uns dies heute noch vorstellen? Oder leben und arbeiten
ohne Smartphone, geht das überhaupt noch? Solche und andere
Technologien haben die Art und Weise radikal verändert, wie wir
kommunizieren, arbeiten, wie wir leben und wie wir unsere per-
sönliche Work-Life-Balance gestalten. Unsere Welt wird hybrid:
Auf der einen Seite gibt es die reale physische Welt mit Gebäuden,
Straßen und Plätzen und auf der anderen Seite die Daten-Cloud
im Internet mit Daten-Highways und digitalen Marktplätzen. Heute
ist die IP-Adresse womöglich genauso wichtig wie die Hausadres-
se, oder schon wichtiger? Ich glaube ja!
Welche Auswirkungen ergeben sich dadurch Ihrer Meinung
nach für die Kommunikation und den Informationsaus-
tausch in der Zusammenarbeit?
Auch die Zusammenarbeit findet heute hybrid statt: Einerseits
kommunizieren wir viel und gerne in der persönlichen Kommunika-
tion. Andererseits arbeiten wir aber digital vernetzt über das Web
und unter Nutzung mobiler Zugangswege miteinander. Entfer-
nungen werden kleiner, auf der Datenautobahn und in den mobilen
Funknetzen sind wir rasend schnell unterwegs. Unsere „virtuelle
Präsenz“ ist schnell und vielfältig, wir werden so etwas wie omni-
präsent. Alles ist möglich: Wir sind an einem Tag zugleich in ver-
schiedenen virtuellen Meetings, telefonieren mit zig Menschen und
senden und empfangen eine stetig steigende Zahl an E-Mails. Vie-
len wird dabei bewusst, dass dies so nicht gut sein kann. Ich
denke, wir müssen lernen, das richtige Maß zu finden. Nicht unbe-
dingt das „Work where you are“ sollte die Maxime sein, sondern
das „Work where you want“.
Welche Rolle spielt der technologische Wandel in Bezug auf
die Veränderungen der Arbeitswelt? Welche Technologien
werden Ihrer Meinung nach zukünftig von Bedeutung sein
oder noch mehr an Bedeutung gewinnen?
Nun, die Technologie ist der Motor der Veränderung. Technologie
verschafft uns neue Möglichkeiten, neue Freiräume und neue
Chancen. Neue Chancen für neue Märkte und neue Chancen für
unser eigenes Leben und Arbeiten. Der wohl wichtigste Treiber der
Veränderung für die Welt war wohl und wird wohl auch in Zukunft
die Informations- und Kommunikationstechnologie sein. Sie bindet
alle Prozesse zusammen, sie ist der Klebstoff für vieles: für die
Energienetze, für die Verkehrsnetze, für das Gesundheitswesen, für
die Sicherheit. Aber natürlich haben wir noch andere Schlüssel-
technologien, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Welt
radikal verändern werden. Ich nenne nur den Shift zur regenera-
tiven Energieversorgung, wir sprechen gerade über eine Energie-
wende. Wir sprechen aber auch über einen vollständigen Wandel
unserer Mobilität hin zur Elektromobilität. Schon diese wenigen Bei-
spiele zeigen: Wir haben riesige Veränderungen vor uns, mit gigan-
tischen Herausforderungen, aber auch mit unglaublichen Chancen
für Innovation, für Wachstum, für globalen Erfolg.
Veränderte Arbeitswelten, neue Formen der Zusammenar-
beit und Kommunikation gepaart mit immer neuen Techno-
logien. Wie, denken Sie, wirken sich diese Faktoren auf die
Baubranche aus und wie könnte die Zukunft dort aussehen?
Ich denke, auch die Baubranche steht vor gewaltigen Herausforde-
rungen, einem großen Wandel und hat ein enormes Chancenpo-
tenzial vor sich. Wenn wir den Wandel hin zu einer nachhaltigen
Welt und Wirtschaft schaffen wollen, wenn wir unser Energiepro-
blem lösen wollen, wenn wir aus unseren Städten und Kommunen
nachhaltig lebenswerte Orte für die Menschen in der Zukunft ma-
chen wollen, dann hat die Baubranche hier enorm viel beizutragen.
Die Baubranche hat hier riesige Aufgaben und große Chancen:
energieeffizientes Bauen, massive Erhöhung der Umbauraten, intel-
ligente Systeme zur Altbausanierung, wandlungsfähige Immobilien,
Plus-Energie-Lösungen im Industriebau. Ich könnte 100 Themen
nennen, die vor uns stehen. Wenn wir aus unseren Städten in
Deutschland und auf der Welt „Morgenstädte“
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machen wollen,
wie wir es in der „Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft“ vor-
geschlagen haben, dann muss die Baubranche hier einen signifi-
kanten Beitrag leisten. Also Chancen ohne Ende, wir müssen es
nur anpacken!
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„
Morgenstadt“ ist die Beschreibung einer positiven Zukunft, in der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit verwirk-
licht sind. Im Rahmen der Hightech-Strategie arbeitet die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit Vertretern
aus Wissenschaft und Wirtschaft an der Umsetzung dieses Zukunftsprojekts.
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Technologie ist der Motor der Veränderung.
Technologie verschafft uns neue Möglichkeiten,
neue Freiräume und neue Chancen.
Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft