Seite 79 - WERDER MAGAZIN Nr. 294

Wer mehr als 40 Jahre als Fußball-Reporter
unterwegs war, der ist viel herumgekommen in
seinem beruflichen Leben. Doch gleich zweimal
zu einem Europapokal-Spiel zu fliegen, das war
einmalig und voller Kuriositäten.
D
eswegen soll hier weni-
ger vom Spiel die Rede
sein, als vielmehr von
den Begleitumständen
der zweiten Runde des UEFA-
Pokals 1987, in der Werders Geg-
ner Spartak Moskau hieß.
Die Reise
ging los am Morgen
des 22. Oktober. Zwar meldete
Moskau dichten Nebel, dennoch
startete die sowjetische Charter-
Maschine in Bremen. Doch der
Nebel blieb, die Landeerlaubnis
wurde verweigert, für ein Um-
kehren war es zu spät. So lande-
ten Mannschaft, Fans und Jour-
nalisten im litauischen Wilna
(
Vilnius) – verbunden mit dem
Versprechen: „Am nächsten Mor-
gen geht es weiter.“
Das jedoch war ein Irrtum,
eben-
so wie die Hoffnung, in einem
gemütlichen Hotelbett in Wilna
übernachten zu können. Denn
natürlich hatte keiner ein Visum
für Litauen, was bedeutete: Wir
durften erst zwei Stunden lang
das Flugzeug nicht verlassen.
Und als wir dann endlich hinaus
kamen, stand zur Übernachtung
nur das Zollgebäude zur Verfü-
gung, lediglich ausgestattet mit
harten Bänken. Einziges Glück:
Es gab im Werder-Gepäck Ver-
pflegung. Und so machten sich
die mitreisenden Frauen am spä-
ten Abend an die Arbeit: Es wur-
den Brote geschmiert. Präsident
Dr. Franz Böhmert versuchte
schon einmal auf einer Bank ein-
zuschlafen. Die Spieler kickten
sich im Zollgebäude die Bälle
zu, derweil der damalige Bremer
Bundestags-Abgeordnete Bernd
Neumann (heute Staatsminister)
vergeblich auf seinen Diploma-
tenpass verwies und um Einreise
nachsuchte.
Der nächste Morgen:
In Mos-
kau war immer noch Nebel, also
zurück nach Bremen. Aktuelle
Botschaft dort: Neuer Versuch
am nächsten Tag. Doch auch da
herrschte, wie Radio Bremen mor-
gens meldete, immer noch dichter
Nebel in der sowjetischen Haupt-
stadt, was dazu führte, dass viele
nur mit leichter Kleidung zum
Flughafen hinausfuhren. Denn –
so die Überzeugung – man würde
ja wohl nicht wieder ohne Lande-
erlaubnis starten. Doch die Ma-
schine hob ab und tatsächlich: In
Moskau lichtete sich während des
Flugs der Nebel. Mein persönli-
ches Pech: Ich hatte nur zu einem
dünnen Lederjäckchen gegrif-
fen. Bei der Landung in Moskau
herrschten acht Grad minus. Und
als am nächsten Tag angepfiffen
wurde, war das Thermometer auf
zwölf Grad minus gesunken. Seit-
her halte ich Werders früheren
Zeugwart Günter Erke für einen
großen Wohltäter. Denn er be-
sorgte mir eine wärmende grün-
weiße Werder-Trainingsjacke. Der
sanfte Spott meiner Kollegen auf
der Pressetribüne prallte an mir
weitaus besser ab als die sibiri-
sche Kälte.
Um es kurz zu machen:
Auch den
Werder-Spielern war es offenbar
zu kalt, sie verloren 1:4. Und
danach sah es ziemlich lange so
aus, als sollten die Zeitungsleser
daheim kaum etwas davon er-
fahren. Denn alle Bemühungen
um telefonische Verbindungen
scheiterten erst einmal. Fünf,
sechs Stunden, so belehrte uns
die Hotel-Telefonistin im ‚Cosmos‘,
würde eine Verbindung wohl dau-
ern. Dann kamen wir Reporter
auf eine rettende Idee: Der deut-
sche Botschafter in Moskau, so
unsere Überlegung, müsste doch
eine Standleitung nach Deutsch-
land haben. Also ging es per Taxi
zur Botschaft. Dort erfuhren wir
zwar erst einmal, dass der heiße
Draht in die Heimat eigentlich
nicht zur Übermittlung von Zei-
tungsberichten gedacht sei. Doch
dann verstand der Botschafter un-
sere Not, wir durften telefonieren.
Ein Happy End also für uns Repor-
ter und auch für Werder: Dem 1:4
im Hinspiel folgte bekanntlich das
6:2
im Weser-Stadion, eines von
mehreren ‚Werder-Wundern‘.
Heinz Fricke
HEINZ FRICKE
wurde 1939 in Hannover ge-
boren, kam im April 1963 als
Sportredakteur zum Weser-Kurier
nach Bremen und schrieb so seit
dem ersten Bundesliga-Spieltag
über den SV Werder. 1981 über-
nahm er die Leitung des Ressorts
Sport beim Weser-Kurier und hat-
te diese bis zu seinem Ruhestand
im Jahr 2004 inne. Er erlebte alle
Erfolge der Grün-Weißen mit und
berichtete außerdem über zahl-
reiche WM- und EM-Turniere.
Schlaflose Nacht –
eiskalter Tag
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