„Weisweiler war schuld“
Werder-Idole erinnern
sich an ihre größten Spiele in grün-weiß. Heute: Ehrenspielführer Horst
Dieter Höttges über Verletzungen, Elfmeter und seinen Ruf als ‚Eisenfuß‘.
D
ie Zahlen sind beein-
druckend: 14 Jahre,
420 Bundesliga-Spiele,
55 Tore. Kein Spieler
hat den SV Werder von 1964 bis
1978 so stark geprägt wie Vertei-
diger Horst Dieter Höttges. Bis
heute ist er der Feldspieler mit
den meisten Bundesliga-Spielen
für die Grün-Weißen – auch,
weil er selbst mit schwerwie-
genden Verletzungen umging,
als wären es nur kleine Kratzer.
So auch im Januar 1966: „Wir
spielten auf dem ‚Betzenberg‘ in
Kaiserslautern“, erinnert sich der
Welt- und Europameister. „Ich
bin zum Kopfball hochgestie-
gen, und unser Torwart Günter
Bernard hat mich dabei mit sei-
ner Hand am Kopf erwischt.“ Die
Folge war eine stark blutende
Platzwunde, die jedoch erst ei-
nen Tag später in Bremen genäht
wurde. „Für die verbleibende
halbe Stunde des Spiels musste
erst mal ein Kopfverband her-
halten“, schmunzelt Höttges, der
nach seiner Verletzung noch den
3:2-Siegtreffer durch Gerhard Ze-
browski vorbereitete.
Selbst in seinem
letzten Profi-
Jahr war der ‚Eisenfuß‘ nicht nur
hart zu seinen Gegenspielern,
sondern vor allem zu sich selbst.
„Im Heimspiel gegen den 1. FC
Köln habe ich mir den linken
Ellenbogen gebrochen, danach
aber noch 20 Minuten weiter-
gespielt“, erzählt Höttges. Eine
Operation und drei Spieltage
später legte sich der personifi-
zierte Abstiegsverhinderer (Zitat:
„Solange ich bei Werder spiele,
steigt der Verein nicht ab“) eine
Manschette an und kehrte auf
den Rasen zurück. „Wenn man
eine mannschaftsdienliche Ein-
stellung hat, kann man das in
Kauf nehmen“, sagt Höttges lapi-
dar. „Aber heutzutage würde ich
meine Verletzungen natürlich
vernünftig auskurieren.“
Ausgesprochen zuverlässig
wa-
ren auch Höttges Qualitäten
als Elfmeterschütze. Schon in
seinem ersten Jahr beim SVW
übernahm er Verantwortung.
Am 14. Spieltag der Saison
1964/1965 schnappte sich der
damals 21-Jährige den Ball und
verwandelte beim 2:1-Auswärts-
sieg gegen Borussia Dortmund
einen Handelfmeter zum zwi-
schenzeitlichen Ausgleich. „Das
war mein erstes Bundesliga-Tor
und deshalb natürlich ein ganz
besonderes Erlebnis“, sagt Hött-
ges. 44 Mal trat der gebürtige
Mönchengladbacher in der Bun-
desliga zum Strafstoß an, 37 Ver-
suche fanden ihr Ziel. Und auch
wenn er ein sicherer Schütze war
– die Worte des damaligen Mann-
schaftskapitäns nach seinem ers-
ten Fehlversuch hat Höttges bis
heute im Ohr: „‚Pico‘ Schütz hat
damals kräftig auf mich ‚tollen
Nationalspieler‘ geschimpft“, er-
innert sich der Ehrenspielführer.
Bis heute gilt Höttges
als einer
der kompromisslosesten Spieler
der Bundesliga-Historie. Dass
er dabei meist hart, aber fair zu
Sache ging, beweist die Karten-
statistik. Nur ein einziges Mal
(im Dezember 1968 beim 1:1 in
Mönchengladbach) schickte ihn
der Schiedsrichter vorzeitig vom
Platz – und das zu Unrecht, wie
Höttges beteuert. „Daran war
Gladbachs Trainer Hennes Weis-
weiler schuld“, ist er sich sicher.
Das Foul selbst, ein Einsteigen
gegen Berti Vogts auf Höhe der
Mittellinie, sei kaum der Rede
wert gewesen. Doch Weisweiler
forderte vehement einen Platz-
verweis und fand beim Referee
Gehör. Wer weiß, vielleicht wäre
dem willensstarken Höttges
nach seiner Vorlage zur 1:0-Füh-
rung andernfalls sogar noch das
Siegtor gelungen…
Jörn Lange
Würdigung eines großen Fußballers
Horst Dieter Höttges (re.) bei seinem Abschiedsspiel im
Weser-Stadion im Dezember 1979 mit Berti Vogts (li.) und Kult-Schiedsrichter Walter Eschweiler
(Mitte).
Foto: imago
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