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as allein klingt schon
nach einem aktiven
Mann. Dass der 43-Jäh-
rige mit einer Sehbe-
hinderung lebt, lässt die Auf-
zählung noch beeindruckender
wirken. Sein großes Hobby, das
Schachspielen, hat er erlernt, be-
vor ihm eine vererbte Krankheit
das Augenlicht fast vollständig
nahm. „Wahrscheinlich ist es
mir nur deshalb möglich, über-
haupt zu spielen“, meint der Bre-
mer. „Sportarten wie zum Bei-
spiel das neue ‚Showdown‘, eine
Art Tischtennis für blinde und
sehbehinderte Menschen, kann
man relativ leicht lernen“, weiß
Oliver Müller aus Erfahrung
und zieht den Vergleich zu sei-
nem Hobby: „Aber beim Schach
ist abstraktes Denken gefordert.
Deshalb lässt es sich schwerer er-
lernen, wenn man sich das Brett
gar nicht vorstellen kann.“
Schon seit 1990
spielt Oliver
Müller für den SV Werder. In den
90er Jahren war er außerdem als
Trainer im Jugendbereich aktiv.
Doch als seine Sehkraft immer
stärker nachließ, veränderte sich
sein Leben. Schleichend. Damals
war Oliver Müller gerade Mitte
20. Das Ausüben seines Hobbys
gestaltete sich immer schwieri-
ger, so auch die Betreuung des
Schach-Nachwuchses. „Irgend-
wann konnte ich meine Notizen
nur noch schwer lesen. Das be-
hinderte das Training“, erklärt
der 43-Jährige. „Hinzu kam, dass
ich die Mannschaft nicht länger
zu Turnieren fahren konnte.“
Deshalb sah sich Oliver Müller
gezwungen, seine Aufgabe abzu-
geben.
Nachdem sich
seine Sehleistung
zunächst langsam verschlechtert
hatte, liegt sie heute nur noch bei
zwei Prozent. „Ich kann mich
noch ganz gut im Raum orien-
tieren, aber keine Details mehr
erkennen“, erzählt Oliver Müller.
Schachspielen war für ihn nicht
mehr ohne große Anstrengung
möglich. „Ich kam bei Turnieren
schlecht mit den Lichtbedingun-
gen klar, konnte irgendwann
auch die Schachuhr nicht mehr
erkennen und manchmal die Fi-
guren nicht voneinander unter-
scheiden“, erinnert er sich an die-
se Zeit. Um trotzdem weiter spie-
len zu können, entschloss er sich
vor sechs Jahren, dem Deutschen
Blinden- und Sehbehinderten-
Schachbund (DBSB) beizutreten,
um von dort Unterstützung von
anderen Betroffenen zu erfahren.
Inzwischen ist der
ehemalige
Bremer Meister zu einer festen
Größe in der deutschen National-
mannschaft des DBSB geworden.
Im Sommer führte er das Team
mit starken Leistungen bis ins
Halbfinale der Blinden- und Seh-
behinderten-Weltmeisterschaft.
Nach wie vor kommt er auch in
Werders zweiter Mannschaft in
der Zweiten Bundesliga zum Ein-
satz. Als einziger Nicht-Sehender.
Ein besonderes Regelwerk macht
es möglich: „Auf einem norma-
len Schachbrett kann ein Sprin-
ger für mich schon mal wie ein
Läufer aussehen“, sagt er und
erklärt, wie er das Problem löst:
„Deshalb habe ich immer ein
Steckbrett dabei, auf dem ich
die Figuren ertasten kann.“ Das
ist beim Schach üblicherweise
nicht erlaubt, für Sehbehinderte
jedoch eine große Hilfe.
Nur wegen
solcher Unterstützung
können Spieler wie Oliver Müller
ihr Hobby überhaupt noch aus-
üben. Was für das Schachspiel
gilt, lässt sich auch auf den All-
tag übertragen: „Nahezu alles ist
möglich, aber man ist auf tech-
nische Hilfsmittel angewiesen“,
sagt er. Mithilfe eines speziellen
Fernrohrs kann er sich beispiels-
weise im Straßenverkehr relativ
gut zurechtfinden. Eine Ver-
größerungssoftware ermöglicht
Oliver Müller das Arbeiten am
Computer, was für seinen Beruf
wichtig ist. „Die Technik wird
auch immer ein bisschen besser“,
freut sich Oliver Müller, bevor
er ergänzen muss: „Aber es gibt
natürlich Grenzen. Und Wunder
gibt es dann eben doch nicht.“
Laura Ziegler
„Wunder gibt es eben
doch nicht“
Oliver Müller steht mitten
im Leben. Er arbeitet als Ingenieur und Konstrukteur,
engagiert sich ehrenamtlich, spielt Klavier und zudem
Schach beim SV Werder.
Foto: M. Rospek
Leidenschaftlicher Denksportler
Ein spezielles Steckbrett, auf
dem er die Figuren ertasten
kann, hilft Werders Zweitliga-
Spieler Oliver Müller dabei,
auch mit seiner Sehbehinde-
rung Schach zu spielen.
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