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18 | Jahresbericht 2011

Ärztekammer

Nordrhein Kammerversammlung

SGB V: Gefangen im Labyrinth

„Der freiberuflich tätige Arzt im System der Gesetzlichen Krankenversicherung“ lautete das Schwerpunktthema der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein am 2. April 2011. Kammerpräsident Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe und Gastreferent Professor Dr. Udo Steiner, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., wiesen auf aktuelle Gefährdungen der ärztlichen Therapiefreiheit hin.

„Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Freiberuf-lichkeit zu erhalten“, sagte der Präsident der Ärzte- kammer Nordrhein, Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, bei der Frühjahrs-Kammerversammlung. Nach seinen Worten wollen Ärztinnen und Ärzte die Entscheidungen in Diagnose und Therapie un-abhängig und nach bestem Wissen und Gewissen im Dialog mit ihren Patienten treffen können. „Weisungsabhängigkeit von nichtärztlichen Drit-ten in ärztlichen Fragen lehnen wir strikt ab“, so Hoppe, „wir wollen kein Patient-Arzt-Verhältnis, in dem wir zu Vollstreckern von Sparzwängen de-gradiert werden. Administratoren einer bürokrati-schen Checklisten- und Fließbandmedizin wollen wir niemals werden.“ Die Wirklichkeit in Kranken- haus und Praxis habe sich jedoch vom Ideal der Freiberuf lichkeit entfernt, sagte der Kammerpräsi-dent: „Es ist vor allem das Sozialgesetzbuch V, das der ärztlichen Diagnose- und Therapiefreiheit allzu enge Grenzen setzt.“

Die gesundheitspolitischen Reformen der ver-gangenen Jahrzehnte haben nach Hoppes Worten die Freiberuf lichkeit untergraben. Politik und Kostenträger hätten versucht, immer mehr Ein-f luss auf ärztliche Entscheidungen zu nehmen: „Sie haben uns vorschreiben wollen, wie viel Geld und wie viel Zeit wir den einzelnen Patienten zu-kommen lassen dürfen.“ Letztlich sei es die Finanz-misere der Gesetzlichen Krankenversicherung, die zu dieser Ökonomisierung der Medizin geführt habe. „Der Patient hingegen erwartet vollkom-men zu Recht von uns Ärztinnen und Ärzten eine individuelle Behandlung entsprechend den Mög-lichkeiten der modernen Medizin. Als Versicherter hat er darauf auch ein einklagbares Recht“, sagte der Präsident. Doch sei die Kassenmedizin längst an ihre Grenzen gestoßen. In diesem chronisch unterfinanzierten System sei moderne Medizin nicht immer für jeden gleichermaßen verfügbar. Die Ärzteschaft habe im Alltag mit den Folgen der sogenannten Kostendämpfungspolitik zu kämp-fen: mit heimlicher Rationierung, Honorarverfall,

schlechten Arbeitsbedingungen, bürokratischer Gängelung und einem Nachwuchsproblem. All diese Schwierigkeiten werden nach Hoppes Worten auch in der politischen und in der rechts-politischen Debatte immer klarer benannt. Der Präsident zeigte sich erfreut, dass beispielsweise im Koalitionsvertrag der Berliner Regierungspar-teien die Freiberuf lichkeit als tragendes Prinzip der Gesundheitsversorgung hervorgehoben worden ist. Auch habe der Vizepräsident des Bundesverfas-sungsgerichts, Professor Dr. Ferdinand Kirchhof, die „ökonomische Schlagseite“ des Krankenversi-cherungsrechts erkannt und im Hinblick auf die Therapiefreiheit sogar festgestellt: „Die Freiheit von Weisungen gibt es so nicht mehr.“

Der Vertragsarzt ist kein „Kassenbeamter“

Die Stellung des freiberuf lich tätigen Arztes im Kassensystem beleuchtete Gastredner Professor Dr. Udo Steiner von der Universität Regensburg unter verfassungsrechtlichen Aspekten. Der Rich-ter des Bundesverfassungsgerichts a. D. ging der Frage nach, ob die Freiheit der ärztlichen Gewis-sensentscheidung, eine „grundrechtliche Freiheit“, vereinbar ist mit den „vielen kontraproduktiven Ideen“ des Fünften Sozialgesetzbuchs – etwa mit Festzuschüssen und Festbeträgen, Wirtschaftlich-keitsprüfung und Arzneimittelregress, allgemein mit Budgetmedizin.

Vielleicht sei der freie Beruf des Arztes durch das

Sozialgesetzbuch V (SGB V) „zum staatlich gebun-densten Beruf unter den nichtstaatlichen Berufen geworden“, sagte Steiner. „So könnte man formu-lieren, der Gesetzgeber sei beängstigend gut voran-gekommen bei der Abwertung des Arztberufes als selbständigem Beruf“, so der Verfassungsrechtler. Jedoch ist der Vertragsarzt in seinen Augen keines-wegs ein „Kassenbeamter“. Die Vorstellung, dass der Kassenarzt etwa bei der Verschreibung eine öf-fentlich-rechtliche Aufgabe der gesetzlichen Kran-kenkassen wahrnimmt, gilt nach Steiners Worten

Professor Dr. Udo Steiner, Richter des Bundesver-fassungsgerichts a. D.: Der Gesetzgeber ist beängstigend gut vorangekommen bei der Abwertung des Arztberufes als selbständigem Beruf.

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