Rheinisches Ärzteblatt 3/2024

Thema Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2024 13 zentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) verantwortet wurde. Diese Behörde wird im BIPAM aufgehen. Nicht nur in Krisenzeiten wie während der Coronapandemie, sondern auch im Alltag sei es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger Zugang zu verständlichen und qualitätsgesicherten Gesundheitsinformationen haben, so Nießen. Das neue Bundesinstitut wolle vor diesem Hintergrund auch den Umgang mit Falschinformationen stärker in den Fokus nehmen. Ein Schwerpunkt: die Datenanalyse Grundlage für die Entwicklung und Umsetzung bedarfsgerechter Kommunikations- und Public Health-­ Aktivitäten sei die Datenanalyse, betont der BIPAM-­ Errichtungsbeauftragte. „Seine Aufgaben kann das Institut effektiv nur auf Grundlage von Evidenzen erfüllen, mit Daten zu Gesundheitsbedingungen sowie zum Gesundheitszustand und -verhalten der Bevölkerung. Es wird daher als selbstständiges Daten- und Forschungsinstitut errichtet.“ Das ist nicht zuletzt eine Lehre aus der Pandemie, als man in Deutschland zur Einschätzung der Lage häufig auf Daten aus dem Ausland zugreifen musste. Das BIPAM bringt hier nach Ansicht von Nießen die epidemiologische Expertise des RKI mit den Präventions- und Kommunikationsressourcen der BZgA zusammen. Die Kritik an der Ausrichtung des Instituts – zu viel Medizin, zu wenig Verhältnisprävention – teilt er nicht. Das BIPAM werde Prävention und Gesundheitsförderung im Sinne von „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikbereichen) sektoren- und akteurübergreifend stärken, so Nießen. Ein entsprechender Passus findet sich auch in einem vorläufigen Gesetzentwurf zur Errichtung des BIPAM aus dem vergangenen Oktober. Als ehemaliger Leiter des Kölner Gesundheitsamts betont Nießen auch die Rolle, die das BIPAM mit Blick auf eine bessere Vernetzung des ÖGD spielen kann. Er will das Institut zu einer Plattform ausbauen, die nicht nur den Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb des ÖGD vorantreibt, sondern auch die Entwicklung von Verfahrensstandards und evidenzbasierten Handlungsempfehlungen. Eher ausgewogen fällt die Einschätzung von Rudolf Henke zur neuen Präventionsstrategie der Bundesregierung aus. Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Co-Vorsitzende des Ausschusses „Public Health“ der Bundesärztekammer (BÄK) hält es für nachvollziehbar, dass Krebs, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen darin eine große Rolle spielen. „Es gibt Millionen von Betroffenen, deren Behandlung enorme Summen kostet“, so Henke im Gespräch mit dem RÄ. Ein ganzheitlicher präventiver Ansatz müsse aber mehr als die Medizin und die individuelle Verhaltensprävention in den Blick nehmen. Dieser Ansatz brauche Interdisziplinarität, die auch die Verhältnisse und Lebenswelten der Menschen berücksichtige. Beispiel Ernährung und Bewegung: Der Grundstein für gesundheitsförderliches Verhalten werde meist schon in der Kindheit gelegt. Wenn Kinder aber in einem Umfeld aufwachsen, in dem es keine Spielplätze und Grünflächen gebe und in der Chips und Limonade natürliche Begleiter beim Fernsehen seien, werde es für den Einzelnen schwierig. „Gesundheitsförderliches Verhalten ist nicht nur eine Frage des Willens, sondern auch der Verhältnisse“, sagt Henke. Gefragt seien hier Sozial-, Pflege- und Kommunikationswissenschaftler ebenso wie Pädagogen, Didaktiker oder auch Stadtplaner. Gefragt sei aber auch ein Engagement in allen Feldern der Politik. Wichtig ist Henke, dass die Rolle von Ärztinnen und Ärzten für Prävention und Gesundheitsförderung nicht unterschätzt wird: „Ohne Medizin kann Public Health nicht funktionieren. Unsere Profession steht dort in besonderer Verantwortung.“ 90 Prozent der Bevölkerung suchten mindestens einmal im Jahr einen Arzt auf. Ein solches Potenzial, Menschen aus allen sozialen Schichten zu erreichen, könne man nicht ungenutzt lassen. Zumal Studien belegten, dass gerade Hausärzte, die ihre Patienten oft schon lange kennen, risikoreiche Verhaltensweisen wie übermäßigen Alkoholkonsum oder Rauchen erkennen und diesen im Rahmen von strukturierten Kurzinterventionen entgegenwirken könnten. Henke, der die Genese des Präventionsgesetzes von 2015 eng begleitet hat, hält es nach wie vor für einen Fehler, dass in dessen Präventionsstrategie weder die Gesundheitsberufe noch die Kommunen mit ihrem starken Bezug zu den Lebenswelten institutionell verankert wurden. Zwar habe der Gesetzgeber damals die Mittel für Prävention um fast 500 Millionen Euro aufgestockt und außerdem eine ärztliche Präventionsberatung ermöglicht. Da diese zeitintensive neue Leistung aber nicht gesondert finanziert werde, werde sie auch kaum genutzt. Insgesamt stehen bundesweit jedes Jahr rund 700 Millionen Euro für Präventionsleistungen zur Verfügung. Für die kurative Versorgung gäben die gesetzlichen Krankenkassen hingegen 900 Millionen Euro am Tag aus, so Henke. Zwar dürfe man Kuration und Prävention nicht gegeneinander ausspielen, beide Bereiche müssten sich vielmehr ergänzen. „Aber diese Relation kann so nicht richtig sein“, sagt Henke. Im Oktober 2023 legte das Bundesgesundheitsministerium einen noch nicht abgestimmten Gesetzentwurf vor, der die künftigen Aufgaben des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) umreißt. Das Institut soll sich danach insbesondere mit vier Themenschwerpunkten beschäftigen: Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung bei nicht übertragbaren Krankheiten; dazu gehört unter anderem die Identifikation von Schwerpunkten für Verhaltens- und Verhältnisprävention Stärkung der Öffentlichen Gesundheit (Public Health) und Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Risiko-, Krisen- und Gesundheitskommunikation Sammlung und Auswertung von Daten zum Gesundheitszustand der Bevölkerung sowie epidemiologische Forschung zu nicht übertragbaren Krankheiten Das soll das BIPAM leisten

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=