Gutachtliche Entscheidungen

Allgemeinmedizin 12 | Gutachtliche Entscheidungen Ein „Zielauftrag“ entbindet nicht zwangsläufig von Untersuchungspflicht In dem nachfolgend geschilderten Fallbeispiel brachte der Hausarzt mit der Überweisung zumAusdruck, dass er nicht nur ein „Langzeit-EKG“ (Zielauftrag) sondern auch eine Mitbehandlung bei „Herzrhythmusstörun- gen“ wünschte. Eine Befragung des Patienten durch den Arzt war daher obligat. Dies gilt umso mehr, da der Patient bei der Erstvorstellung in der Praxis des in Anspruch genommenen Kardiologen gegenüber der Medizinischen Fachangestellten (MFA) „Schmerzen in der Brust“ angegeben hatte. Es stellt ein Organisa- tionsverschulden dar, dass die MFA den Arzt nicht ex- plizit auf diese ihr gegenüber geklagten Beschwerden des Patienten hingewiesen hat, denn unabhängig vom Typ des Auftrages (Zielauftrag versus Mit- und Wei- terbehandlung) muss ein Patient mit einer potenziell bedrohlichen Erkrankung (hier ein akutes Koronar- syndrom) ärztlich gesehen werden. Das gilt auch für den Fall, dass der Überweisungsauftrag dies nicht ver- langt hätte. Dass der Arzt den Patienten nicht befragt und unter- sucht hat, stellte einen Befunderhebungsfehler dar. Hätte der Arzt den Patienten pflichtgemäß untersucht, hätte er die Gefährdung des Patienten erkennen und eine entsprechende Diagnostik in die Wege leiten kön- nen. Nach Auffassung der Kommission muss der Arzt für den Tod des 42-Jährigen durch einen Herzinfarkt (Obduktionsbefund) wenige Tage nach dem Praxisbe- such haften, auch wenn offen bleiben muss, wie die Langzeitüberlebenswahrscheinlichkeit des risikobe- hafteten Patienten gewesen wäre. Sachverhalt Der Patient stellte sich mit einer Überweisung des Hausarztes zum Langzeit-EKG am 25. April in der Praxis des Kardiologen vor. Gemäß der Stellungnah- me des Kardiologen habe der Patient gegenüber der MFA über „Schmerzen in der Brust“ geklagt. Ein Ru- he-EKG sei beim Hausarzt erfolgt, aber vom Patienten nicht vorgelegt worden. Eine Notfallsituation habe nicht vorgelegen. Eine koronare Herzerkrankung sei ihm nicht bekannt gemacht worden, so der Kardiolo- ge. Das Langzeit-EKG habe vereinzelte Extrasystolen, jedoch keine wesentlichen Herzrhythmusstörungen gezeigt. Ein unmittelbarer Arztkontakt sei nicht nötig gewesen. Telefonisch wurde daher mit dem Patienten ein erneu- ter Termin zwei Monate später vereinbart, mit dem vermeintlichen – nicht bewiesenen – Hinweis, „bei Beschwerden den Hausarzt aufzusuchen und ggf. eine stationäre Einweisung zu veranlassen“. Der Termin sei von dem Patienten kritiklos akzeptiert worden. Ein Befundbericht sei demHausarzt nicht übermittelt wor- den. In Ermangelung einer persönlichen Inaugenschein- nahme und Befragung des Patienten konnte der Arzt nicht erfahren, dass bei dem 42-jährigen Patienten bereits seit 1998 eine nunmehr chronische Nierenin­ suffizienz im Stadium der kompensierten Retention, eine seit 1984 bekannte Colitis ulcerosa und eine ar- terielle Hypertonie bekannt waren sowie eine Hyper- urikämie, eine Fettstoffwechselstörung, ein Zigaret- tenabusus und eine positive Familienanamnese als Risikofaktoren vorlagen. Zeichen einer koronaren Herzerkrankung waren zuvor nicht festgestellt oder berichtet worden. Der Tod des Patienten trat am 28. April ein. Die Obduktion (Befund vom 9. Mai) ergab „Zeichen ei- nes Bluthochdruckes, eine mittelgradige Aortenskle- rose und eine Schädigung der Herzkranzgefäße. Im Herzmuskel fanden sich ältere und frischere Narben als Zeichen durchgemachter, vermutlich stummer Wird ein Patient von seinem Hausarzt zu einer Untersuchung mit einem Zielauftrag überwiesen und wurde auf dem Überweisungsschein zur „Mit-/Weiterbehandlung“ angekreuzt und klagt der Patient zudem über akute Beschwerden, reicht es nach Auffassung der Gutachterkommission nicht aus, wenn allein die angefragte Untersuchung durchgeführt wird. von Herbert Löllgen, Erland Erdmann, Lothar Jaeger und Beate Weber

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