Rheinisches Ärzteblatt 01/2023

Thema 12 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2023 Zweimal zwang das Coronavirus das Land in den Lockdown. Im Frühjahr 2020 und im Winter 2021 blieben bundesweit nicht nur Geschäfte, Gaststätten und Hotels, sondern auch Schulen undKindertagesstätten geschlossen. Die Beschränkung zwischenmenschlicher Kontakte auf das Notwendigste sollte dabei helfen, SARS-CoV-2 einzudämmen. Inzwischenmehren sich jedochdie Stimmenderer, die fragen, ob nicht insbesondere Kinder und Jugendliche unter den Kontaktbeschränkungen über Gebühr gelitten haben. Zumal eine Coronainfektion bei ihnenmeist milde verläuft. Gesunde Kinder mit akuter COVID-19-Erkrankung hätten in der Regel eine geringe Krankheitslast. Vor allem Kinder im Kindergartenalter wiesen nur wenige Symptome auf, erklärte Professor Dr. Stefan Wirth, bis vor Kurzem Chefarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin amHelios UniversitätsklinikumWuppertal. Er sprach beim 9. Kammerkolloquium Kindergesundheit, das am19. November imHaus der Ärzteschaft in Düsseldorf stattfand und sich mit den Folgen der COVID-19-Pandemie für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen befasste. Wirth betonte, dass auch die Mortalitätsrate bei Kindern niedrig sei. Angesichts vonmehr als 7,3Millionen Infektionen – bei hoher Dunkelziffer – habe es dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge in der Altersgruppe bis 19 Jahre bislang circa 100 Todesfälle gegeben. Dabei hätten viele der verstorbenen Kinder unter zum Teil schweren Vorerkrankungen gelitten. Die indirekten Folgen der Pandemie für die körperliche und psychische Gesundheit vieler Kinder und Jugendlicher seien dagegen zum Teil dramatisch. Ein Lockdown verlängere zwangsläufig die Zeit, die diese zu Hause verbringen, weil Schulen und Kitas ebenso geschlossen seien wie Sportstätten und Spielplätze. Statt Fußball zu spielen oder sich anderweitig zu bewegen, hätten viele Kinder die Zeit vor demFernseher oder dem Computer verbracht mit der Folge, dass die Zahl der adipösen Kinder deutlich zugenommen habe. Effekt von Schulschließungen ungewiss Auch die Kleineren hätten unter der sozialen Isolation gelitten. „Ein Jahr reicht aus, damit bei Kindern im Vorschulalter der Förderbedarf mit Blick auf die sprachliche, motorische und sozio-emotionale Entwicklung steigt“, so Wirth. Das gelte insbesondere für Kinder aus bildungsfernen Familien in schwierigen sozialen Verhältnissen. In allen Altersgruppen habe sich zudem gezeigt, dass sich vor allem der Gesundheitszustand bereits vorbelasteter Kinder und Jugendlicher in der Pandemie weiter verschlechtert habe. Grundschulenwarenwährendder Coronapandemie im Schnitt 64 Tage vollständig geschlossen, Sekundarschulen 84 Tage. Das geht aus dem Bericht des Sachverständigenausschusses der Bundesregierung zur Evaluation der Pandemiemaßnahmen hervor, den dieser Ende Juni vorgelegt hat. Damit liegt Deutschland den Experten zufolge im internationalen Vergleich im Vergessene Kinder Depressionen, Angststörungen, Übergewicht: Kontaktbeschränkungen sowie Schul- und Kitaschließungen haben dazu geführt, dass sich die gesundheitliche Situation und die Lebensqualität vieler Kinder und Jugendlicher seit Beginn der Coronapandemie verschlechtert haben. Experten fordern, dass sich Maßnahmen zur Krisenbewältigung in Zukunft deutlicher am Kindeswohl orientieren müssen. von Heike Korzilius und Martin Bornemeier Foto: mauritius images/fStop/Isabella Ståhl

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