Rheinisches Ärzteblatt 01/2023

24 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2023 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 135 Nicht erkannte implantatassoziierte Infektion Die periprothetische Infektion stellt eine seltene, aber schwere Komplikation und Herausforderung im Bereich der Endoprothetik dar [1, 2], die eine der Hauptursachen für Revisionsoperationen ist. von Ulrich Gras, Jochen Neßler, Peter Lange und Beate Weber Während akute Infektionen klinisch zumeist durch Infektionszeichen und erhöhte Entzündungsparameter im Labor erkennbar sind, handelt es sich bei Low-grade-Infektionen um chronische Infekte, die durch Prothesenlockerung und unspezifische Schmerzen im Endoprothesenbereich bei Abwesenheit von akuten Entzündungszeichengekennzeichnet sind. Der möglichst sichere Ausschluss oder die Bestätigung einer periprothetischen Infektion ist die Voraussetzung für eine Revi- sionsoperation. Anlässlich einer Fortbildungsveranstaltungmit demInstitut fürQualität imGesundheitswesenNordrhein im Januar 2023 haben wir die abgeschlossenen Begutachtungen zur Endoprothetik an der Hüfte ausgewertet. Die Hüftendoprothetik bei Koxarthrose gehört seit Jahrzehnten mit einem Anteil von etwa drei Prozent zu den häufigsten von der Gutachterkommission zu prüfenden Patientenbeschwerden. DerAnteil der festgestellten Behandlungsfehler in allen Fällen zur Hüft- endoprothetik lag in den Abschlussjahren 2017 bis 2021 mit 27 Prozent zwar unter dem allgemeinen Durchschnitt von 29,6 Prozent (siehe Tabelle), allerdings bei der Koxarthrose mit 47 von 158 Fällen mit einer Fehler- quote von 29,7 Prozent gleichauf. Insgesamt stechen in allen Fällen die operations- technischen Fehler mit einem Anteil von 18,7 Prozent hervor. Noch häufiger treten sie bei den aufgrund einer Koxarthrose durchgeführten prothetischen Eingriffen auf (Anteil 22,3 Prozent). Planungs-, Indikations- und Risikoaufklärungsfehler fanden sich kaum. Vorwürfe zum postoperativen Infektmanagement wurden von neun Prozent der Patientinnen und Patienten erhoben. In weiteren neun Prozent erfolgte eine Überprüfung von Amts wegen. Nicht erkannte und/oder fehlerhafteBehandlungen implantatassoziierter Infektionen am Hüftgelenk fanden sich in acht der 267 begutachteten Fälle. Periprothetische Infektionen Die festgestellten Fehler beim Infekt- management standen bei den Erstimplan- tationen (n=6) und bei einer Wechsel-OP im zeitnahen Zusammenhangmit demEingriff. Die Infektion wurde jeweils in drei Fällen nicht beziehungsweise zu spät erkannt, darunter fand sich in einemFall ein Dokumentationsmangel zur Antibiotikatherapie mit darüber hinaus versäumter therapeutischer Information (frühere Sicherungsaufklärung) zu engmaschigen Kontrollen für die Zeit der weiteren Einnahme nach der Entlassung. In einem weiteren Fall stellte sich ein Patient mit neu aufgetretenen Beschwerden hüftgelenksnah acht Monate postoperativmit dem szintigrafischen Verdacht auf eine Protheseninfektion bei andernorts erfolgter Veranlassungwieder vor, ohne dass von Seitender Orthopäden eineweitereAbklärung erfolgte. Die Unterlassung einer Laboruntersuchung zu den Entzündungswerten, einer Sonografie zur Frage eines Seroms oder Verhalts und gegebenenfalls einer Gelenkpunktion mit Aspiration zur Bestimmung der Zellzahl/ -differenzierung und mikrobiologischen Untersuchung (mit langer Bebrütungszeit) wurden als Befunderhebungsfehler bewertet. Vier Wochen später wurde andernorts mittels Punktion eine E. coli-Infektion festgestellt, die zunächst antibiotischbehandelt wurde. Bei fistelnder Protheseninfektion wurde dort nach achtWochen die Revisionsoperation geplant. Die den Orthopäden anzulastende Therapieverzögerungwurdemit etwa zwei Monaten beziffert. Über einen weiteren Fall, der als präoperativer Planungsfehler bei einerWechseloperation statistisch erfasst wurde, wollen wir nachfolgend ausführlicher berichten. Vorwürfe der Patientin Eine zum Zeitpunkt der Antragstellung Mitte 60-jährige Patientin bat um Überprüfung ihrer Behandlung durch die Orthopäden, die bei ihr im Juli 2014 eine Hüftendoprothese bei Koxarthrose rechts implantiert hatten. Fehlerhaft sei im Juni 2018 im „unsanierten Gebiet“ ein Hüftpfannenwechsel vorgenommenworden, ohne zuvor abzuklären, umwelche Verkeimung es sich handelte. Nach der primären Implantation habe sie sich nur mit Unterarmgehstützen fortbewegen können. Nach einem Jahr sei sie dann auf einenRollstuhl gewechselt. Sie habe sich nach der Hüft-TEP-Implantation mehrfach zur Nachbehandlung in der Ambulanz der belastetenKlinikmit Beschwerdenund einer anhaltenden Gehstörung vorgestellt. Man habe sie bei der Nachsorge stets vertröstet und ihr mitgeteilt, dass sie einfach mehr laufen müsse. Im Jahr 2018 habe man ihr dieRevisionsoperationaufgrund einer szintigrafisch aufgedeckten Pfannenlockerung empfohlen. Postoperativ habe sich keine Besserung gezeigt. Bei szintigrafisch erkannter Schaftlockerunghabeman ihr einen Schaftwechsel vorgeschlagen. Aufgrund des Vertrauensverlusts habe sie sich daraufhin andernorts vorgestellt, wo dann dem Infektverdacht mittels Punktion nachgegangen wurde. Mehrere Revisionsoperationen seien nötig geworden. Stellungnahme der belasteten Orthopäden Die Orthopäden bestreiten die Vorwürfe. Bezüglichder Erstimplantation imJahre 2014 machte der belastete Chefarzt in seiner Stellungnahme zu demBehandlungsfehlervorwurf im Wesentlichen geltend, dass postoperativ ein regelrechter Rückgang des CRP-Wertes und im Normbereich liegende Leukozyten festgestellt worden seien. Die Wundheilungsei komplikationslos verlaufen und das Hautnahtmaterial sei am zehnten postoperativen Tag komplett entfernt worden. Auch anlässlich einer erneuten stationären Behandlung ab dem 23. postopera- tiven Tagwegen eines Bandscheibenvorfalls hätten vonseiten der Hüfttotalendoprothese keinerlei Beschwerden bestanden. Die Pfannenwechseloperation im Juni 2018 sei bei Abkippung der Hüftpfanne mit Saumbildung sachgerecht durchgeführtworden. Der Schaft habe bei festem Sitz nicht gewechselt werden müssen. Die postoperativen Laborkontrollen hätten einen rückläufigen CRP-Wert bei unauffälligen Leukozytenzahlen gezeigt. Die Austestung der intraoperativen Abstriche habe im fünften Endbefund mäßig viel Proteus vulgaris

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