Rheinisches Ärzteblatt 01/2023

26 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2023 können. Es erfolgte dem Bericht zufolge offensichtlich nur ein Abstrich von diesem Erguss. Wie zuvor wurde eine PE-Pfanne einzementiert. Offensichtlich erfolgte post- operativ eine vierzehntägige Bebrütung des eingesandten Abstrichs. Die Kontrollen am dritten und am vierten postoperativen Tag zeigten bereits mäßig viel Proteus vulgaris auf. Somit ist festzustellen, dass bereits zu einem frühen Zeitpunkt ein Keim isoliert wurde. Bei Proteus vulgaris handelt es sich um einen fakultativ pathogenen Keim, der auch bei gesunden Menschen in der Darmflora vorkommt. Zu diesem Zeitpunkt be- fand sich die Patientin noch in der Obhut der Orthopäden. Eine Reaktion auf diesen Befund erfolgte fehlerhaft nicht. Der Chef- arzt gibt an, dass der abschließende Befund der Reha-Klinik nach zwischenzeitlich erfolgter Verlegung mitgeteilt worden sei. Welche therapeutischen Konsequenzen hieraus zu ziehen waren, ist der Dokumentation nicht zu entnehmen. Die Patientin stellte sich in der belasteten Klinik noch einmal nach der Reha zur Routinekontrolle vor. Zum vorherigen Keimnachweis wird dabei nicht Stellung genommen. Nach Auffassung der Gutachterkommission hätte man eine Langzeitantibiose nach der Resistenzbe- stimmung zumindest diskutieren müssen. Die Gutachterkommission wertete die Unterlassung der präoperativen Diagnostik zum Infektausschluss als einfachen Befunderhebungsfehler, durchdenmit praktischer Gewissheit als Gesundheitsschaden eine Therapieverzögerung von einem Jahr einschließlich der Revisionsoperation verursacht wurde, die der Patientin bei ordnungsgemäßer Behandlung erspart geblieben wäre. Ein darüberhinausgehender Gesundheitsschaden war nicht ersichtlich, sodass die Gutachterkommission von einer Prüfung dermöglicherweise imRaume stehendenUm- kehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden absehen konnte. Dr. Ulrich Gras und Dr. Jochen Neßler sind stellvertretende ärztliche Kommissionsmitglieder, Dr. jur. Peter Lange ist stellvertretender Vorsitzender und Dr. med. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Gutachterkommission Nordrhein. Literatur [1] M ühlhofer H. et al.: Diagnostik der periprothetischen Infektion. Entwicklung eines evidenzbasierten Algorithmus der Arbeitsgruppe implantatassoziierte Infektion der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik, in „Der Orthopäde“ 2021 (50): 312-325 [2] Lambertz C. et al.: Periprothetische Infektionen beim Gelenkersatz. Diagnostik und Therapie. In Dt. Ärzteblatt 114 (2017) Heft 20:347-353 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 135 zur Zellbestimmung vorgenommen, sodass behandlungsfehlerhaft eine isolierte Pfannenwechseloperation statt eines Spacereinbaus erfolgte. Die belastetenOrthopädenhabendaraufhin umdie Erstattung eines abschließenden Gutachtens gebeten. Vor der Wechseloperation hätten sich präoperativ komplett reizlose Verhältnisse amHüftgelenk und unauffällige Infektwerte gezeigt, sodass sowohl klinisch als auch laborchemisch nicht von einem Infekt auszugehenwar. Intraoperativ habe lediglich ein seröser Erguss vorgelegen. Auch die übrigen intraoperativen Befunde hätten keinerlei Anzeichen für das Vorliegen eines Infekts ergeben. Intraoperativ seien fünf Proben entnommen worden, wobei im fünften Endbefund der Keim Proteus vulgaris nachgewiesen wurde. Die Orthopäden erklärten, sie seien interessiert zu erfahren, ob bei der erneuten Wechseloperation derselbe Keimhabe festgestellt werden können. Abschließende Begutachtung Die Gutachterkommission stimmte der gutachtlichen Bewertung des Sachverhaltes durch den Fachsachverständigen zu. Bereits vier Jahre nach Implantation einer Total- endoprothese waren bei der symptomatischen adipösen Patientin mit multiplen Allergien radiologische und szintigrafische Zeichen einer Lockerung sowohl im Pfannen- wie imSchaftbereich beschriebenworden. Eine derart frühe Reaktion nach Implantation bedarf präoperativ vor einem geplanten Wechsel einer subtilen Diagnostik, um die Ursache(n) der Lockerung zu eruieren. Immerhin war es zu einer radiologisch nachweisbaren Torsion der zementierten Pfanne sowie für eine zementierte Schaftprothese ungewöhnlichen cortikalen Reaktion im Bereich der Prothesenspitze gekommen. Auch bei laborchemischnahezu unauffälligen Werten muss dabei an eine Low grade-Infektion gedacht werden. Insofern war es in diesem Fall unter Berücksichtigung der vorgenanntenRisikofaktorenund Frühlockerung zwingend nötig, präoperativ eine Punktion des Gelenks mit Gewinnung von Sekret zur mikrobiologischen Untersuchung oder Gewinnung vonGewebsanteilen zur mikrobiologischen und histologischen Untersuchung vorzunehmen [1, 2]. Zur Sicherheit hätte man zusätzlich noch einen Alpha-Defensin-Test durchführen können. Intraoperativ entleerte sich ausweislich des Operationsberichtes ein seröser Reizerguss, der präoperativ hätte erkannt werden Juni erhoben wurde, war mit 0,68 mg/dl gering erhöht (Normalwert < 0,5 mg/dl). Die Leukozytenwarenmit 7,0pronl normwertig. Anfang Juni 2018 erfolgte eine offene Revision mit Jetlavage und ein Pfannen- wechsel wiederum auf eine zementierte 52 mm Müller PE-Pfanne, wobei der Metallring entfernt wurde. Laut OP-Bericht lag ein seröser Gelenkerguss vor. Nach Abstrichentnahme seien Kapselreste entfernt worden. Der Schaft habe trotz kräftiger Schläge einen absolut festen Sitz aufgewiesen, sodass er nicht gewechselt wurde. Die im Bereich des Acetabulums verdrehte Pfanne konnte mit dem Meißel und dem Luer inklusive des fixierten Zements problemlos entfernt werden. Laut der Stellungnahme des Chefarztes sei der postoperative Heilverlauf unauffällig gewesen. Die vor der Entlassung durchgeführte Röntgen- und die Sonografie-Kontrolle des Hüftgelenks hätten regelrechte Befunde gezeigt. Die postoperativen Laborkontrollen hätten einen rückläufigen CRP-Wert, unauffällige Leukozyten und einen regelrechtenHb-Wert ausgewiesen. Die Patientin wurde am zehnten postoperativen Tag in stationäreAnschlussheilbehandlung entlassen. Die Austestung des intraoperativen Abstriches zeigte im Endbefund neun Tage nach der Entlassungmäßig viel Proteus vulgaris mit Resistenz gegenüber Ampicillin, Tetracyclin, Cefuroxim und Gentamycin. Aus den Entlassungsbriefen der nachbehandelnden Klinik geht hervor, dass die Patientin ein Jahr nachderWechsel-OPEnde Mai 2019 stationär mit septischer Lockerung der Hüfttotalendoprothese rechts aufgenommen wurde. Notfallmäßig erfolgten bei floridemInfekt der Hüfte eine Explantation von Pfanne und Schaft und die Implantation eines Zementspacers. Als Keim isoliert wurde Staphylococcus epidermidis. Nach zwölf Wochen wurde ein Spacerwechsel mit Probeentnahmen durchgeführt, nach weiteren drei Wochen erfolgte die Re-Implantation einer zementfreien Totalendoprothese. Beurteilung im Erstgutachten Das beauftragte fachsachverständige Kommissionsmitglied gelangte zur Beurteilung, dass denvonder Patientin inAnspruch genommenen Orthopäden anlässlich der Wechseloperation imMai 2018 einBefunderhebungsfehler anzulasten sei. Trotz sehr dringlichen Hinweises auf einen Low-grade- Infekt präoperativhabeman fehlerhaft keine Gelenkpunktion zur mikrobiologischen Abklärung eines möglichen Keimbefalls und

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