Rheinisches Ärzteblatt 01/2023

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2023 37 Kulturspiegel In einer knalligen Inszenierung zeigt das Kölner Schauspielhaus die Uraufführung von „Phaedra“ frei nach Seneca und Jean Racine von Thomas Jonigk in einer Inszenierung von Ersan Mondtag. von Jürgen Brenn Erst einmal eine Line ziehen. Dann noch eine und noch eine. Dann die letzte und dann noch die allerallerletzte. Phaedra sitzt mit ihrer besten Freundin Oenone zuhause und langweilt sich. Die beiden Frauen konsumieren hemmungslos legale und illegale Drogen und kommen so auf dumme Gedanken. Sie versuchen, die ältere Dame aus dem Nachbarhausmit einemTelefonstreich zuärgern. Margot Gödrös spielt die Grande Dame der Nachbarschaft ineinerMischungausQueen und Mrs. Boggle aus der britischen Fernsehserie „Agatha Raisin“. Glucksend und auf Zehenspitzen schleichen die bekoksten Hausfrauen zum Haus der Nachbarin und spielen bei der alten Dame Klingelmäuschen. Diese steht abwehrbereit hinter der Haustür und vertreibt die beiden ungerührt mit einer Schrottflinte. Ersan Mondtag inszeniert die Uraufführung des Stücks „Phaedra“ von Thomas Jonigk amKölner Schauspielhaus. Er zeichnet auch für das Bühnenbild und die Videoeinspielungen verantwortlich. Der Dramaturg und stellvertretende Intendant am Schauspiel Köln Thomas Jonigk hat den antiken Mythos von „Phaedra“ nach den Vorlagen von Seneca und des französischen Dichters der Klassik, JeanRacine, bearbeitet und ins Hier und Jetzt geholt. Mondtag verlegt die Geschichte in eine quietschbunte Kulisse, die an eine amerikanische Vorstadtsiedlung der 1950er-Jahre erinnert: in Pastelltönen angestrichene Häuschen mit kleinen Vorgärten und Garagen, in denen schmucke Autos mit Weißwandreifen stehen. Angetrieben werden diese, wie der Wagen von Barney Geröllheimer, mit den Füßen. Auch das Outfit der Schauspieler passt in diese Kulisse. Phaedra, gespielt vonBenny Claessens, trägt eine toupierte wallende Mähne und Oenone, gespielt von Lola Klamroth, eine mit Haarspray fixierte Föhnfrisur. Beide stecken in Kleidern mit knalligen Farben. Ein weiterer Verfremdungseffekt entsteht durch die Gesichtslarven, die die Augenpartie bis zu den Wangen verdecken und so eine maskenhafte, beinahe unheimliche Mimik erzeugen. Phaedra ist in der griechischen Mythologie die zweite Gattin des Theseus. Dieser, in Köln gespielt von Benjamin Höppner, ist König von Athen und seit sechs Jahren abwesend. Kriege halten ihn fern vom heimischen Herd und von der Gattin, die in ihrer Langeweile zerfließt, sich gehen lässt und Nachbarschaft und auch die Polizei involviert. Das Chaos nimmt seinen Lauf. Allein Margot Gödrös, in ihrer Rolle als Chronistin, hält die Zuschauer in der Spur des historischenDramenverlaufs. Phaedra glaubt, dass Theseus nach so langer Abwesenheit im Krieg gefallen und sie Witwe ist. Aber plötzlich kehrt er in einem Triumphzug siegreich nach Hause zurück. Mit im Gepäck hat er Peirithoos, gespielt von Kei Muramoto. In der griechischen Mythologie ist er der König der Lapithen. In der modernen Kölner Variante ist er ein Vietnamese, den Theseus als eine Art lebende Siegestrophäe, persönlichen Sklaven und Liebhaber mit in das Vorstadtidyll bringt. Phaedra ist so erstaunt Desperate Housewives Das Kölner Schauspielhaus zeigt „Phaedra“ in einer quietschbunten Puppenhauswelt in einer Inszenierung von Ersan Mondtag. Benny Claessens ist als Phaedra unterwegs, um Whiskey zu kaufen. Foto: Birgit Hupfeld immer wunderlicher wird. Phaedra hat ein Auge auf Hippolytos geworfen. Er wohnt nur ein Haus weiter. Mit Schnauzer und Seitenscheitel gespielt von Yvon Jansen. Diese Liebe hat allerdings zwei Haken. Hippolytos ist der Sohn von Theseus aus erster Ehe und damit ihr Stiefsohn. Auch wird Phaedras Liebe, die sich vulgär bei einer Vorgartenparty Bahn bricht, von dem jungen Mann nicht erwidert. Im Gegenteil, er versucht, zarte Bande mit Aricia, gespielt von Kristin Steffen, zu knüpfen. Die beiden jungen Leutewagen bei der Grillparty ein Tänzchen und Phaedra drängt sich rüde dazwischen. Ihre plumpen Annäherungsversuche bleiben jedoch ohne Wirkung. Phaedra wäre keine richtige Drama-­ Queen, wenn sie nicht aus allem und vor allem aus ihrer verschmähten Liebe eine Tragödiemachenwürde, in die sie die ganze von der Rückkehr ihres Gatten, dass sie ihn erst einmal nicht ins Haus lässt und er sich mit Peirithoos in einer Garage einquartieren muss. Selbst Theseus schafft es nicht, das Durcheinander, das Phaedras Gefühlskarussell angerichtet hat, zu ordnen. Auch die Beziehung zu seinem Sohn Hippolytos ist getrübt, da Oenone das Gerücht streut, dass dieser sich an seine Stiefmutter herangemacht hätte. Am Ende bleibt ein emotionaler Scherbenhaufenübrig. InPhaedras durchDrogen und Alkohol getrübten Augen hat sich die ganze Welt gegen sie verschworen, und sie ermordet einen nach dem anderen. Einzig die Chronistinwirdmit denWorten „Dubist in Ordnung!“ verschont. Informationen auch zum aktuellen Hygienekonzept des Theaters unter www.schauspiel.koeln und unter 0221 2212 8400.

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