Rheinisches Ärzteblatt 5/2023

20 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2023 achtung von Regularien an die Spitze der Organisationen beförderten. Nähe zur Rassenhygiene Ein deutlicher Widerspruch der „arischen“ Ärztinnen und Ärzte gegen das, was man nach 1933 den jüdischen Kollegen antat, lässt sich nicht erkennen. Manche werden sicherlich mit Unbehagen oder Abscheu verfolgt haben, wie das NS-Regime hier vorging. Aber es scheint bei vielen Ärzten eine große Nähe zum Konzept einer Volksgesundheitspflege („Vom Arzt des Individuums zum Arzt der Nation“) gegeben zu haben, die durch „Rassenhygiene“ und Leistungsmedizin bestimmt war. Sofern man von der NSDAP-Zugehörigkeit auf die Affinität einer Berufsgruppe zur nationalsozialistischen Ideologie schließen kann, so war diese in der deutschen Ärzteschaft deutlicher als bei anderen Berufen ausgeprägt. Dass hier das Rheinland keine Ausnahme darstellt, zeigen die Angaben zur NSDAPMitgliedschaft von Ärzten in den damaligen Ärztekammern Köln-Aachen, Düsseldorf und Moselland in der Reichsärztekartei zu Beginn des Jahres 1944. Von den dort erfassten 5.966 Ärztinnen und Ärzten gehörten 3.339 (56 Prozent) der NSDAP an (Männer: 60,3 Prozent; Frauen: 24,6 Prozent), wobei unterschiedliche Organisationsgrade in den Bezirksvereinigungen zu verzeichnen sind (Aachen 62,1 %, Köln 58,1 %, Bonn 45,2 %, Siegburg 70,7 %, Krefeld 50,2 %, Mönchengladbach 46,2 %, Wuppertal 57,7 %, Solingen 55,9 %, Düsseldorf 58,1 %, Moselland 52,3 %). Gering war dagegen die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die im Zuge der Entnazifizierung nach 1945 Einschränkungen in der Berufsausübung hinnehmen mussten. Selbst von denjenigen, die wegen ihrer NS-Aktivitäten nicht mehr nur als Mitläufer eingestuft werden konnten, war zwei Jahre nach Kriegsende kaum noch jemand von Sanktionen betroffen. Viele jüdische Ärztinnen und Ärzte in Deutschland überlebten das Kriegsende nicht. Nach dem Approbationsentzug zum 1. September 1938 durften zunächst noch rund 700 jüdische Ärzte als „Krankenbehandler“ tätig sein. Ihnen war ausschließlich die ärztliche Versorgung jüdischer Patienten sowie deren Angehöriger gestattet. Ein Jahr später wurden nur noch knapp 300 jüdische „Krankenbehandler“ verzeichnet. Es ist davon auszugehen, dass rund zwei Drittel der jüdischen Ärztinnen und Ärzte noch rechtzeitig vor dem endgültigen Ausreisestopp 1941 Deutschland in eine mehr als ungewisse Zukunft verlassen konnten. Die meisten derjenigen, die dies nicht mehr auf sich nehmen wollten oder konnten, wurden in den Jahren seit 1941 deportiert, starben in den Konzentrationslagern oder wurden in den Vernichtungslagern getötet. Manche jüdischen Ärztinnen und Ärzte kamen der Deportation durch Suizid zuvor – Schätzungen gehen von rund 300 Selbsttötungen aus. Angenommen wird, dass ein Viertel der jüdischen Ärztinnen und Ärzte, also rund 2.000, dem Holocaust zum Opfer fielen. zu, die weiterhin ihren jüdischen Arzt aufsuchten; Beamten wurde die Konsultation jüdischer Ärzte untersagt. Letztlich reduzierten sich die Einkünfte der noch bis zum Approbationsentzug 1938 tätigen jüdischen Ärzte auf das, was sie den noch verbliebenen Patienten privat in Rechnung stellen konnten. Vollzug der Gleichschaltung Auch in den eigenen Reihen hatten die ärztlichen Organisationen rasch für einen Ausschluss jüdischer Ärzte gesorgt. Angesichts der Drohung des späteren Reichsärzteführers Gerhard Wagner, die alten ärztlichen Organisationen niederzureißen oder sich aber „kollegialiter“ zu einigen – so zu lesen im Deutschen Ärzteblatt vom 6. April 1933 – vollzog man rasch die Gleichschaltung. Kurz zuvor war bereits der lang- jährige Schriftleiter des Deutschen Ärzteblattes, Dr. Siegmund Vollmann, beurlaubt worden. Wenig später empfahl ihm der Vorstand des Ärztevereinsbundes seine Pensionierung. Als erster Beschluss des Geschäftsausschusses des Deutschen Ärztevereinsbundes mit Wagner an der Spitze erging die Aufforderung an die Ärztevereine, „jüdische und solche Kollegen, die sich der neuen Ordnung innerlich nicht anschließen können, zur Niederlegung ihrer Ämter in Vorständen und Ausschüssen zu veranlassen“. Rasch wurde dies offenbar in Ärztekammern und ärztlichen Verbänden auf Landesebene umgesetzt; es waren vor allem Vertreter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes, die sich unter MissSpezial Aus Anlass des 70. Jahrestages des Approbationsentzuges jüdischer Ärztinnen und Ärzte legten im Jahr 2008 Dr. Hansjörg und Ursula Ebell den Grundstein für die prämierte Ausstellung „Fegt alle hinweg …“. Mit ausgewählten Biografien erinnert die Ausstellung seitdem an die systematische Entrechtung und Verfolgung jüdischer Ärztinnen und Ärzte im Nationalsozialismus. In den letzten vier Jahren ist die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit den Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein und der Kuratorin Ursula Ebell um insgesamt neun Porträts jüdischer Ärztinnen und Ärzte aus Nordrhein erweitert worden. Anlässlich des 85. Jahrestages des Approbationsentzuges wird die so ergänzte Ausstellung im Rahmen des 127. Deutschen Ärztetages durch den Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, und die Kuratoren in der Alten Synagoge Essen eröffnet und dort vom 15. Mai bis zum 21. Juni gezeigt. Die Wanderausstellung macht anschließend vom 1. September bis 2. Oktober Station im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf. 127. Deutscher Ärztetag Ausstellung über verfolgte jüdische Ärzte

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