Rheinisches Ärzteblatt 5/2023

28 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2023 vorgesehenen Thiamin im Rahmen einer Zustandsverschlechterung bei V.a. mitochondrialer Zytopathie mit entsprechend schwerer Symptomatik. Da Thiamazol nur in 20 mg-Tabletten zur Verfügung stand, mussten jeweils zehn Tabletten verabreicht werden – ein Umstand, der erst am dritten Tag hinterfragt wurde und zum Absetzen führte. Das TSH war nachfolgend auf 0,11 µU/ml supprimiert, ein wesentlicher Schaden ist dem Kleinkind durch die passagere Hypothyreose nicht entstanden. 4. Arzneimittelgabe ohne Risiko- und therapeutische Aufklärung – An einer therapeutischen Aufklärung fehlte es in 31 Fällen. Unterlassen wurden beispielsweise Hinweise a uf die dringend gebotene weitere Abklärung massiv erhöhter TriglyceridWerte bei einem Anfang 30-jährigen Patienten im Rahmen einer Gesundheitsvorsorge. Dieser Fehler war mitursächlich für die nach einem Jahr aufgetretene schwere Pankreatitis und a uf unverzügliche fachärztliche Behandlung bei diagnostiziertem Herpes zoster bei einem Krebspatienten im Notdienst, da auf jeden Fall eine sofortige anti- virale Behandlung indiziert war und sich die Ärztin damit nicht auskannte. Dadurch wurde die Chance auf eine Verkürzung der Akutsymptomatik versäumt, die chronischen Beschwerden sind allerdings schicksalshaft entstanden. Risikoaufklärungsrügen waren bei den zur Überprüfung gelangten 1.268 Arzneimittelfällen mit 57 Fällen (4,5 Prozent) etwas häufiger berechtigt als im Gesamtkollektiv (Anteil 3,5 Prozent), darunter in knapp der Hälfte der Fälle bei ansonsten sachgerechter Therapie (n=25, zwei Prozent). So hätte beispielweise bei einem Mitte 90-jährigen, nicht einwilligungs- fähigen Patienten mit mittelschwerer Demenz im Jahr 2015 mit dem als Betreuer eingesetzten Sohn über die Risiken einer indizierten Umstellung des Neuroleptikums Melperon auf das hochpotente Benperidol 1mg bei neu diagnostizierter organisch wahnhafter Störung gesprochen werden müssen, da insbesondere die blockierende Wirkung der dopaminergen Übertragung in den Basalganglien so stark ist, dass Patienten bei der Verabreichung fast immer unter den typischen Begleiteffekten zu leiden haben. Die in der Folge notwendige komplexere geronto-­ psychiatrische Behandlung aufgrund temporärer extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen war den Gutachtern zufolge den behandelnden Ärzten anzulasten, die dauerhafte Pflegebedürftigkeit war durch die 16-tägige Einnahme jedoch nicht zu erklären. Fazit In Anbetracht der hohen Zahl an Arzneimittelverabreichungen kommt es äußerst selten zu Patientenbeschwerden. Dabei stellt jede Verordnung eines Arzneimittels einen Eingriff in die körperliche Integrität der Patientinnen und Patienten dar. Ärztinnen und Ärzte handeln unter Wahrung der zugelassenen Indikation (Ausnahme Off-­ Label-Use) nach Aufklärung über Wirkung und Nebenwirkungen, also im „informed consent“. Zu beachtende Wechselwir- kungen mit anderen eingenommenen Arzneimitteln, die zu erfragen sind, wie auch Kontraindikationen, Anwendungsbeschränkungen, Dosierungen und Warnhinweise beispielsweise zur Toxizität, müssen Ärzte nicht nur bei der Erstverordnung sondern auch für Folgerezepte stets wieder in den Blick nehmen, das heißt abfragen. Ein Verstoß gegen bewährte Empfehlungen kann bei den Patienten schwerwiegende akute und chronische Gesundheitsstörungen bis hin zum Tod (siehe Fehlerhafte Behandlung mit Colchicin, RÄ Heft 11/20) zur Folge haben mit zuletzt auch haftungsrechtlichen Konsequenzen für die Ärztinnen und Ärzte. Gefahren bestehen beispielsweise bei Präparaten mit geringer therapeutischer Breite, bei älteren Patientinnen und Patienten, nicht erkannter eingeschränkter Nierenfunktion/Exsikkose sowie nicht dokumentierter Arzneimittelanamnese zu bestehenden Unverträglichkeiten und Allergien. In knapp 40 Prozent der Fälle wurden vermeidbare Fehler bei der Medikation erst durch die Gutachterkommission aufgedeckt, möglichweise weil kausale Therapiefolgen für Patientinnen und Patienten schwerer zu erkennen sind. Zu Arzneimittelverordnungen wurde in knapp einem Fünftel der 6.893 Begutachtungen gutachterlich Stellung genommen, neben 380 Behandlungsfehlern wurden 57 Risikoaufklärungsversäumnisse festgestellt. Gerade bei der Arzneimitteleinnahme spielt die Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten mit der Hoffnung auf Linderung ihrer Beschwerden eine nicht unerhebliche Rolle, sodass anzunehmen ist, dass selbst wenn Ärztinnen und Ärzte sachgerecht über potenzielle typische, wenn auch seltene Nebenwirkungen aufklären, die Patientinnen und Patienten eine ärztlicherseits für geboten gehaltene Medikation im Beisein der Ärztin oder des Arztes kaum ablehnen würden, es sei denn sie haben bereits damit Erfahrungen gemacht. Die festgestellten Risikoaufklärungsmängel erwecken den Anschein, dass Rügen erst dann erhoben werden, wenn nicht erwartete Nebenwirkungen aufgetreten sind. Ärztinnen und Ärzten sei daher angeraten, die verpflichtende mündliche Aufklärungspflicht ernst zu nehmen und ausreichend, das heißt mit Einzelheiten zum geführten Gespräch, zu dokumentieren, sodass erkennbar wird, dass die Patientinnen und Patienten die potenziellen Chancen, aber auch die Risiken verstanden haben und ihre Bereitschaft erklären, sich darauf einzulassen. Gleiches gilt für die therapeutische Aufklärungspflicht zum weiteren Procedere (frühere Sicherungsaufklärung). Dr. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung der Begutachtungen zuständige Referentin in der Geschäftsstelle der Gutachterkommission Nordrhein. Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 137 Die unter www.aekno.de verfügbare Online-Version zeigt in der Tabelle 2 die festgestellten Einzelfehler auf. Grafik 1 stellt die pro Begutachtungsjahr erfassten Einzelfehler vergleichend zu den zwei Vorjahreszeiträumen dar, die Grafiken 2 bis 6 beziehen sich auf die vier häufigeren und die sonstigen gutachterlich überprüften Arzneimittel. Grafiken zum Artikel „Fehler bei der Arzneimitteltherapie“ in der Online-Version auf www.aekno.de verfügbar

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